From process to procedure: Mediation by elders, formality and peace (Eastern Shewa, Ethiopia)

Andrea Nicolas
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht am
Department of Political and Social Sciences, Free University Berlin (2005)

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
PD Dr. Thomas Zitelmann

German Summary | Deutsche Zusammenfassung

Es ist bekannt, dass Kommunikation nicht immer einfach ist, wo Fremdheit oder Feindschaft ihr entgegenstehen. Weniger bekannt (oder anerkannt) ist, dass viele gesellschaftliche Institutionen nichts anderes als standardisierte Lösungsmechanismen für die Überwindung zwischenmenschlicher Kommunikationsbarrieren darstellen. Insbesondere die Mediation kann als ein perpetuierter Problemlösungsmechanismus aufgefasst werden, der immer dann zur Anwendung kommt, wenn bestimmte Probleme in der menschlichen Interaktion auftreten. Die Mediationsforschung, die als spezieller Zweig der Rechtsethnologie (oder aber der juristischen Lehre) gilt, hat diesem Umstand bisher jedoch kaum Beachtung geschenkt, und sich vorzugsweise der Frage gewidmet, welche Macht Mediatoren im Verhandlungsprozess 'besitzen'- oder gerade nicht. Dabei ist diese Frage vielleicht falsch gestellt.

Der lateinische Begriff mediare lässt sich zu Deutsch als 'vermitteln' übersetzen, ein Wort, das auf eine 'zwischengängerische' Tätigkeit hinweist, und sowohl auf den Vermittler in einem Konflikt (den Schlichter), als auch auf den Vermittler eines Geschäftsabschlusses (den Makler) oder einen Heiratsvermittler angewandt werden kann. Die Breite dieser Übersetzung, die sich im Englischen terminologisch nur unzureichend widerspiegelt, trifft jedoch genau den Kern der Vermittlertätigkeit: anstelle der unmittelbaren Betroffenen oder Interessenten treten Dritte in Kontakt mit der anderen Seite und arrangieren den gewünschten Abschluss (oder bereiten ihm zumindest den Boden), ohne dass die eigentlichen Parteien einer direkten Konfrontation miteinander ausgesetzt wären. Das Konzept der Meidung wird dabei hervorragend umgesetzt, obwohl die Kommunikation zwischen den Parteien induziert und aufrechterhalten werden kann. Unangenehmen Situationen für die Betroffenen und einem möglichen Ausbruch von Feindseligkeiten wird damit weitgehend vorgebeugt, und doch bleiben die Verhandlungen 'am laufen'. Im Falle einer drohenden Konflikteskalation kann solch eine Strategie von unschätzbarem Vorteil sein. Dies macht das Medium 'Vermittlung' so attraktiv für Friedensstifter und Heiratsvermittler in aller Welt.

Die westliche Vorstellung davon, was unter einem 'Mediator' zu verstehen ist, ist dem gegenüber sehr eingeschränkt. Die kulturell und historisch spezifische Institution des 'Mediators', die erst in der jüngeren Vergangenheit in größerem Maßstab für die Konfliktlösung 'wiederentdeckt' wurde, kam dabei bevorzugt bei Verteilungskämpfen zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, in internationalen Verhandlungen, oder aber bei privaten Zwistigkeiten, insbesondere zwischen Eheleuten, zur Anwendung. Typisch für die letzteren Fälle war, dass sie von vornherein als 'außergerichtliche Einigungen' definiert wurden (und nicht zuletzt als Entlastung für überbeanspruchte Gerichte dienen sollten), und damit ihre Klassifizierung als 'freiwillige' Einigung auf dualistischer Verhandlungsbasis im Kontrast zum staatlichen Gerichtsverfahren von Anfang an feststand. Der Mediator musste somit per definitionem als 'Erleichterer' erscheinen, der niemals 'Durchsetzer' oder 'Urteilsfäller' sein kann. In dieser erzwungenen Einschränkung ist die Definition des Mediators zwar kulturspezifisch (oft) zutreffend, jedoch problematisch, falls sie ausnahmslos auf alle menschliche Gesellschaften anwendet wird.

Die vorliegende Arbeit liefert den Beleg dafür, dass Vermittler - in diesem Falle afrikanische Älteste - zwar tatsächlich als Überbringer von Botschaften und 'Erleichterer' fungieren können, dass sie aber, wenn es die Umstände zulassen (oder erfordern), durchaus ihre Rolle wechseln können. Älteste mögen in ein und demselben Prozess zu verschiedenen Zeitpunkten einmal als 'Bittsteller' oder einfache 'Boten', als subtile 'Beeinflusser', freundliche 'Schlichter' oder weise 'Ratgeber' auftreten, und ein andernmal als drängende, gängelnde, ja selbst erpresserische Entscheidungsträger oder autoritäre 'Richter'. Sie gehen als Vermittler oft gerade soweit, wie es der jeweilige Fall zulässt, und ändern ihr Verhalten überdies entsprechend dem jeweiligen Stadium, in dem sich der betreffende Prozess zu diesem Zeitpunkt befindet. Eine eindeutige Trennlinie zwischen Vermittlung, Schlichtung, Schiedsspruch und Urteilsverkündung lässt sich hier schlicht nicht ziehen. 'Mediation' soll deshalb in dieser Arbeit nicht als starre typologische Klasse von Prozedere verstanden werden, in die sich jeder ethnografische Fall gleichermaßen entweder einsortieren lässt oder aber ausdrücklich aus der Kategorie ausgeschlossen werden muss. Vielmehr wird sie als Strategie betrachtet, die sich graduell anwenden, mit anderen Techniken kombinieren, oder zwischen diesen wechseln lässt, und unter Umständen je nach 'Verhandlungsbasis' und spezifischer Fallkonstellation variieren kann.

Nun kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Grad der Druckausübung durch zwischengeschaltete Dritte, die Frage ob Strafe angedroht oder gar angewendet wird oder nicht, für die betroffenen Parteien überaus relevant ist. Allerdings sind die Übergänge zwischen 'Überzeugungskraft', 'Druck' und 'Zwang' bisweilen recht fließend. Zudem nimmt die Androhung von Sanktionen in außereuropäischen Gesellschaften oft nicht wirklich einen geringeren Grad der Schärfe, sondern unter Umständen nur eine andere Form an. Es ist in der Tat eine Frage der Auslegung, ob wir im Falle von Ältesten wirklich von 'fehlenden' Sanktionsmöglichkeiten sprechen können. Ein Fluch, soweit daran geglaubt wird, kann ebenso die 'Todesstrafe' bedeuten. Glaubt man nicht daran, ist seine Verkündung allerdings allenfalls 'unnett'. Älteste gehen in der Regel sparsam mit der Verhängung von Flüchen um, und schieben diese als äußerst hart eingestufte Form der Sanktion meist bis zuletzt auf. Sie vermeiden damit zugleich eine mögliche inflationäre Verwendung diese letzten Mittels – und den möglichen Gegenbeweis seiner Wirksamkeit. Damit stellt sich die unmittelbare Frage nach der Macht der Ältesten. Bedeutet Macht dass man strafen kann? Dass man es auch tut? Oder bedeutet es, dass man - selbst gegen den Willen einer betroffenen Partei - sein Ziel erreichen kann? Anders als es das traditionelle Bild einer gerontokratischen Gesellschaft vermittelt, können Älteste sich oft nicht ungefragt einmischen, willkürliche Entscheidungen treffen und diese dann den Betroffenen aufzwingen. Im hier beschriebenen ethnografischen Kontext müssen sie sich vielmehr gewissen Normen und Rollenvorgaben unterwerfen, und darüber hinaus erhebliche Mühe aufwenden, um einen gegebenen Vermittlungsfall zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Andererseits ist ihre Erfolgsquote beträchtlich - und das, obwohl in der Regel zumindest eine der beiden Parteien anfänglich ihrer Vermittlung ablehnend, ja geradezu feindselig gegenübersteht. Und wenn am Ende die Ältesten die beiden Parteien ermahnen, sich künftig an die getroffenen Abmachungen zu halten, ist von ihrer anfänglichen Unterwürfigkeit, die so typisch für die Phase des Bittgangs ist, nichts mehr zu spüren.

Mächtig, so das Ergebnis dieser Arbeit, sind im eigentlichen Sinne nicht die Ältesten, sondern die Mittel und Techniken, die sie anwenden. Dieses Buch handelt daher von der Bedeutsamkeit der Formalität, die in der Interaktion der Ältesten mit den Adressierten 'ganze Arbeit' leistet, sowie des Rituals, das im Vermittlungsverfahren zum bindendem Versprechen wird. Es berichtet von der Wahl effektiver kommunikativer Strategien, und von der Ausdauer der Mediatoren. Alle zusammen führen am Ende oft zum Erfolg, und machen die Ältestenvermittlung in der Region zur wahrhaft 'machtvollen' Institution.

In der vorliegenden Arbeit wird eine Form der Vermittlung durch Älteste vorgestellt, wie sie im zentralen Hochland Äthiopiens von Angehörigen zweier ethnischer Gruppen - Oromo und Amharen - gemeinsam praktiziert wird. Sie stellt Älteste als gereifte männliche Haushaltsvorstände vor, die typischerweise nicht nur Konflikte schlichten, sondern auch die wichtige Aufgabe der Heiratsanbahnung und -durchführung für die Angehörigen der jüngeren Generation übernehmen. Die verschiedenen Anlässe der Vermittlung gehören hierbei zu einem gemeinsamen Korpus von sogenannten 'Dingen, die die Ältesten tun'. Ihnen sind - trotz spezifischer, der Fallart angemessener, Ausprägung - wichtige Züge gemeinsam. So kehren bestimmte Elemente, symbolische Handlungen und Phaseneinteilungen in ihnen immer wieder. An Konflikten werden im übrigen nicht nur 'leichte' Fälle durch Mediation behandelt, die vielleicht zu 'unerheblich' für ein staatliches oder anderes Gerichtsverfahren wären, sondern ebenso besonders schwerwiegende und konfliktträchtige Fälle. Die Anlässe reichen hier von verbalen Beschimpfungen, über Diebstahl und körperliche Übergriffe, bis hin zu Tötungsfällen und Gruppen-Fehden. Brautraub nimmt hier als Falltyp eine Zwischenstellung zwischen der 'rechtmäßigen' Herstellung familiärer Bande zwischen Haushalten oder Abstammungsgruppen, und der 'unrechtmäßigen' Verletzung der sozialen Ordnung, dem 'Verbrechen', ein.

Die Darstellungsweise des ethnografischen Materials in der vorliegenden Studie ist von Mehrsprachigkeit, der Beachtung diachroner Entwicklungen, sowie der relativ ausführlichen Beschreibung aufeinander abfolgender Aktivitäten gekennzeichnet. Sprachbeispiele werden bewusst nicht nur in ihrer 'geglätteten' englischen Übersetzung, sondern auch in der jeweiligen Originalsprache angegeben. Die Methodologie der Arbeit orientiert sich hier an der Sprechakt-Theorie und dem von ihr bevorzugten, emisch ausgerichteten, Ansatz einer 'neuen Ethnografie'. Zugleich hat die Studie ein stark kommunikationstheoretisches Interesse. Dabei finden nicht nur verbale Äußerungen und rhetorische Strategien Beachtung, sondern auch andere, non-verbale, Formen der Kommunikation, wie Gesten, Posen, Platzierungen, Ortswahlen, sowie die gezielte Verwendung von Bekleidung und anderen materiellen Objekten. Es soll allerdings nicht nur beschrieben werden, welche Elemente und ritualisierten Abläufe in den Vermittlungsprozess eingebunden sind, sondern darüber hinaus klar gemacht werden, wie diese Elemente in Bezug auf die Erreichung des prozessualen Zieles wirksam werden.

Hier treffen wir auf eine weitere Herausforderung in der theoretischen Konzeption des Materials. Die Rechtsethnologie hat in den vergangenen Jahren einen (in der Tat bahnbrechenden) Paradigmenwechsel vom Studium der 'Regeln' zum Studium des 'Prozesses' ihrer Aushandlung vollzogen. 'Recht' gilt nicht mehr als ein von Experten gewissermaßen automatisch angewandtes Regelwerk, sondern als verhandelbare Reihe von Übereinkünften, die immer wieder auch manipuliert und dem jeweiligen Zweck gemäß interpretiert werden. Im vorliegenden Fall aber sehen wir uns immer wieder Verfahrensvorschriften und ungeschriebenen Gesetzen der Interaktion gegenüber, die trotz aller Aushandlung und individueller Anpassung regelhaft erscheinen, und in bestimmten Momenten sogar die Form eines 'Gesetzes' annehmen, das keinesfalls so einfach zu umgehen ist.

Aus dem ethnografischen Material geht klar hervor, dass den Abläufen der Ältestenvermittlung eine bestimmte Anordnung und Regelhaftigkeit zugrunde liegt; es gibt klar unterscheidbare Phasen, die sich in allen Prozesstypen wiederholen, sowie Eröffnungs-, und Abschlussmarkierungen, die den Teilnehmern ermöglichen, den Übergang zwischen den einzelnen Phasen wahrzunehmen. Wir haben es hier nicht nur mit einem 'Prozess' im Sinne eines 'Werdens' und 'Beeinflussens' von Recht und Rechtsprechung zu tun, sondern mit einem regelrechten 'Verfahren', das eigenen Gesetzen unterliegt, die der Mehrzahl der Teilnehmer bekannt sind. 'Älteste' sind demnach nicht als individuelle, 'weise Männer', sondern als Rollenbesetzungen zu betrachten, die einzelne Personen mehr oder weniger gut ausfüllen. In der Konsequenz verlangt diese Einsicht nach einer Verlagerung der Analyse vom 'Vermittler', als innovativem Gestalter des eigenen Auftritts, zur 'Vermittlung', als regelhaftem, weitgehend standardisiertem, Verfahren. Diese Erkenntnis führt zu der Schlussfolgerung, dass es einer Veränderung der wissenschaftlichen Betrachtungsweise der Mediation bedarf, einer Hinwendung 'vom Prozess zum Verfahren'.

Allerdings wird 'Verfahren' hier nicht als vom Menschen unabhängige, unabänderliche Entität verstanden. Als Produkt menschlicher Interaktion, Aushandlung und Auswahl, und als immerhin stets von Menschen mit spezifischem Ziel angewandte Technik, unterliegt es sowohl individueller Variation als auch einem langfristigen prozessualen Wandel. Insbesondere im interethnischen Kontakt kann ein Mediationsverfahren sogar eine ganz neue Form erhalten, die Elemente der alten Übereinkünfte vereinigt und neu arrangiert, und zugleich neue Elemente hervorbringt. Auf diese Weise werden nicht nur individuelle Fälle gelöst; vielmehr wird ein Zusammenleben der Angehörigen beider Gruppen auf breiter Basis möglich gemacht. Entscheidend ist dabei in jedem Falle, dass das neue 'Arrangement' des Verfahrens weiterhin für beide Seiten die Kriterien eines hilfreichen, und einigermaßen aussichtsreichen, Mittels der Problemlösung erfüllt. Das Verständnis, dass ein Verfahren, unabhängig davon wie es im Einzelnen gestaltet sein mag, immer eine Art 'Werkzeugkiste' für die Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme darstellt, mag als das wichtigste Fazit dieser Arbeit gelten. In ihrer theoretischen Schlussfolgerung stützt sich die Studie auf Ideen der linguistischen Pragmatik; sie modifiziert sie allerdings und nutzt sie zu einer rein sozialanthropologischen Behandlung eines Themas, das an der Schwelle zwischen Rechtsethnologie und der Theorie sozialer Organisation steht.

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