Das Alumni-Interview: 10 Fragen an Dominik Müller

17. Mai 2022

In loser Reihenfolge veröffentlichen wir an dieser Stelle Interviews mit Alumni des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung. Wir wollen wissen, wo sie leben und arbeiten, woran sie forschen und welche Rolle die Zeit am MPI für sie heute noch spielt. Und sie erzählen uns, welchen Rat sie ihren Studierenden mit auf den Weg geben und welches Buch sie in letzter Zeit beeindruckt hat.

1. Von wann bis wann waren Sie am MPI und was haben Sie hier gemacht?
Von 2016 bis 2019 habe ich ein Emmy-Noether-Projekt an der Abteilung „Recht & Ethnologie“ geleitet, „The Bureaucratization of Islam and its Socio-Legal Dimensions in Southeast Asia“. Infolge meines Rufs an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wurde das Projekt 2020 dorthin übertragen, war und ist aber weiterhin mit dem MPI als Kooperationspartner verbunden und endet dieses Jahr.

2. Wo sind Sie jetzt und was machen Sie dort?
Ende 2019 hatte ich zunächst eine W2-Professur für Kultur- und Sozialanthropologie an der FAU angetreten, die drittmittelbedingt befristet war. Diese Professur war mit der Sprecherrolle des ethnologisch und asienwissenschaftlich orientierten bayerischen Elitemasterstudiengangs „Standards of Decision-Making Across Cultures (SDAC)“ verbunden. In die Leitung dieses recht ungewöhnlichen Studiengangs habe ich in den letzten beiden Jahren viel Arbeit investiert. Seine Drittmittelfinanzierung wurde kürzlich infolge meines Antrags bis 2027 verlängert.
Im April 2022 habe ich nun einen neugeschaffenen dauerhaften W3-Lehrstuhl für Kultur- und Sozialanthropologie an der FAU angetreten, dessen Aufgabe es ist innerhalb des Instituts für Soziologie einen neuen Teilbereich für Kultur- und Sozialanthropologie aufzubauen. Meine W3-Professur vertritt die Ethnologie in ihrer fachlichen Breite und entwickelt gleichzeitig einen neuen Schwerpunktbereich mit dem Titel „LawTech in globalen Rechtskulturen“. Damit ist auch der Aufbau der Projektgruppe „LawTech Ethnographies“ verbunden. Ermöglicht wurde dies durch meine 2022 erfolgte Aufnahme in das Heisenberg-Programm der DFG sowie durch die Hightech Agenda Bayern (HTA). Gleichzeitig leite ich fortan als Co-Direktor und als einer von drei Projektleitern das an der FAU neu entstehende Center for Advanced Studies (Kollegforschungsgruppe) „Alternative Rationalities and Esoteric Practices from a Global Perspective“. Es wird von der DFG mit zunächst 4,6 Millionen Euro gefördert und wird nach meinem Kenntnisstand das weltweit größte Forschungsprojekt zur globalen Esoterikforschung – interdisziplinär ausgerichtet, mit religionswissenschaftlichen, ethnologischen und regionalwissenschaftlichen Komponenten. Ich bleibe weiterhin Sprecher des SDAC-Elitestudiengangs, muss aber aufgrund meiner diversen neuen Rollen und Arbeitsbereiche meine bisherigen Aufgaben im Studiengang reduzieren und an Kolleg*innen weitergeben.

3. Wie sehr hat Ihre Tätigkeit am MPI Ihre jetzige berufliche Situation geprägt?
Grundlegend. Die Umgebung am MPI hat meinen fachlichen Horizont sowie mein Verständnis wissenschaftlicher Arbeit enorm erweitert. Zudem habe ich viel über das Organisieren von Forschung gelernt, über Projektarchitekturen und deren praktische Gestaltung, gerade auch in größeren Gruppen- und Verbundzusammenhängen. Auf inhaltlicher Ebene wurde meine Entscheidung, zukünftig eine Projektgruppe zum Thema „LawTech Ethnographies“ aufzubauen, die sich mit gegenwärtigen rechtstechnologischen Transformationen aus einer globalethnologischen Perspektive befassen wird, ebenfalls entscheidend durch meine Zeit an der Abteilung Recht & Ethnologie inspiriert. Ich hatte zwar auch vorher einmal ein Einführungsseminar zur Rechtsethnologie unterrichtet und mich in Frankfurt lange interdisziplinär mit normativen Ordnungen befasst, aber tiefergehend habe ich die gegenwärtige Rechtsethnologie erst in Halle kennenlernen dürfen. Daraus entstand letztlich meine Idee, in dieser Richtung etwas Neues zu entwickeln, wozu ich nun langfristig explorative Grundlagenforschung organisieren möchte. Meine Zeit am MPI hat mir hierfür auf allen Ebenen entscheidende Weichenstellungen geboten.

4. Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an die Zeit am MPI zurückdenken?
Neben vielen unvergesslichen Veranstaltungen und teilweise sehr unterhaltsamen Momentaufnahmen leidenschaftlicher Diskussionen vor allem die exzellente Unterstützung, die ich auf allen Ebenen erfahren habe, von der Abteilungsleitung bis zur Verwaltung und Forschungskoordination. Gerade die Verwaltung erfährt ja im Alltag oft nicht die Wertschätzung, die sie verdient. Aber für die erfolgreiche Umsetzung größerer Drittmittelprojekte ist diese organisatorische Unterstützung extrem wichtig. Mir wurde erst rückblickend sowie in Gesprächen mit Kolleg*innen, die ähnliche Projekte an anderen Orten geleitet haben, so richtig klar, wie außergewöhnlich gut das MPI diesbezüglich aufgestellt ist. In diesem Sinne ein großes Dankeschön an alle Beteiligten!

5. Haben Sie noch Kontakt zum MPI und wenn ja, welchen und zu wem?
Ja, wir organisieren nun Kooperationsdissertationen zwischen dem MPI und meiner Universität. Ich würde dies gerne fortführen und ausbauen. Ich habe nun den Status des MPI-Forschungspartners und bin zudem Mitglied des Consultative Committee der Abteilung Recht & Ethnologie, wodurch ich die neuen Entwicklungen des Instituts weiterhin mitverfolgen und begleiten kann. Ich besuche Halle immer wieder gerne, da ich mich in dieser schönen und lebendigen Stadt auch privat sehr wohl gefühlt hatte.

6. Woran forschen Sie im Augenblick?
Diese Frage habe ich weiter oben unter 2 schon im Wesentlichen beantwortet.

7. Was planen Sie in der Zukunft?
Ich verfolge fortan das zugegebenermaßen ambitionierte Ziel, an meiner Universität, der FAU, einen neuen forschungsstarken Standort der Kultur- und Sozialanthropologie in der deutschen Universitätslandschaft zu etablieren, und dies möglichst nachhaltig und strukturenbildend. Dies ist freilich ein langfristig ausgerichtetes Vorhaben, welches viel Beharrlichkeit und einen langen Atem erfordern wird. Es ist großartig, dass ich mir bei meinen Plänen auch zukünftig der unterstützenden Kooperation des MPI gewiss sein kann. Gleichzeitig möchte ich nach zwei Jahren des Erarbeitens diverser Drittmittelanträge die bewilligten Projekte nun endlich auch praktisch umsetzen. Die „LawTech Ethnographies“ Initiative, die ich sehr langfristig denke, liegt mir dabei ganz besonders am Herzen und ich hoffe, viele Studierende und Promovend*innen dafür gewinnen zu können.

8. Was kann die Ethnologie besser als andere Sozialwissenschaften?
Die Ethnologie kann per se nichts besser oder weniger gut als andere Sozialwissenschaften. Von solchem boundary-making halte ich nicht viel. Die Ethnologie ist ja oft gerade dann besonders gut, wenn sie Wissensbestände anderer Disziplinen aufgreift, ihre eigenen Formen des Wissens in einen unkonventionellen interdisziplinären Austausch einbringt und dadurch neue Perspektiven und methodologische Zugänge zu drängenden Problemen der Gegenwart entwickelt. Übrigens ist die Trennlinie zwischen der Ethnologie und Soziologie gerade im Bereich der Socio-Legal Studies längst völlig überholt, was beispielsweise Larissa Vetters – eine Kollegin am MPI – in einem wunderbaren Aufsatz kürzlich verdeutlicht hat. Glücklicherweise gibt es immer mehr Institute, an denen beide Bereiche unter einem Dach gut zusammenarbeiten, in Deutschland zum Beispiel in Konstanz und Bielefeld sowie international in Leiden und der National University of Singapore. Ich hoffe, dass auch deutsche Rechtsfakultäten und ethnologische Institute zukünftig stärker aufeinander zugehen werden. Aber auch in Bereichen der Technologie- und Naturwissenschaften wäre eine engere Kooperation wünschenswert. In multidisziplinären Formaten des Austauschs sehe ich langfristig das größte Potenzial unseres Fachs, auch wenn sie natürlich alles andere als einfach sind.

9. Was würden Sie heutigen Studierenden der Ethnologie raten?
Neben einer guten ethnologischen Ausbildung empfehle ich, sich stets auch jenseits der Komfortzone eigener disziplinärer Gewissheiten und Sprachspiele zu bewegen und sich in disziplinenübergreifender Mehrsprachigkeit zu üben. Dafür kann zum Beispiel die Kombination eines fachlichen BA-Studiums und eines inter- oder multidisziplinären MA-Studiengangs eine gute Wahl sein. Wir brauchen aus meiner Sicht viel mehr Ethnolog*innen, die ihre fachlichen Perspektiven in Bereiche hineintragen, in denen sie normalerweise kaum bis nicht präsent sind. Dies erfordert das Einüben der Fähigkeit zu Übersetzungen, zur Zugänglichmachung ethnologischen Wissens, und dabei auch eine gewisse Flexibilität und Kompromissbereitschaft, um einen größeren Impact unseres Fachs zu erzielen, als dies bisher gelungen ist. Ich empfehle Studierenden jeglicher Fächer zudem, so oft wie möglich Forschungskolloquien und Vorträge außerhalb ihres regulären Studienprogramms zu besuchen, dort aktiv an Diskussionen teilzunehmen und Kontakte zu Wissenschaftler*innen in für sie interessanten Bereichen zu knüpfen.

10. Welcher Text – Buch oder Artikel – hat Sie in letzter Zeit beeindruckt?
Ethnologisch das Buch „Sharia Transformations: Cultural Politics and the Rebranding of an Islamic Judiciary” von Michael Peletz (2020), außerhalb der Ethnologie der Aufsatz “Space Aliens and Deities Compared” von Darlene Juschka (2022). Ein neues Großprojekt, das mich beeindruckt und das ich deshalb hier gerne auch nennen möchte, ist Bart Barendregts „One Among Zeroes |0100|: Towards an Anthropology of Everyday AI in Islam” in Leiden.

 

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