Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia

Dereje Feyissa
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia


Die 1990er Jahre haben neue Belohnungsstrukturen in die Gambelaregion gebracht. Das Hilfsregime ist schwächer geworden und die Errichtung des Regionalstaates Gambela hat denjenigen mit einer äthiopischen Staatsbürgerschaft neue Wege der sozialen Mobilität und der individuellen Förderung versprochen. Durch die Anywaa bei der Verteilung dieser neuen Belohnungen marginalisiert, haben die Nuer mit einer Inklusionspolitik auf der Grundlage „relativer Deprivation“ reagiert. Dies hat sich noch verstärkt durch die Tatsache, dass die Bezugsgruppe (die Anywaa) ehemals politisch zweitrangig in den traditionellen Spielregeln war, bei denen lokale Formen der Macht (z.B. Größe, Kriegerschaft, wirtschaftliche Schlagkraft, ein inklusiver Identitätsdiskurs) die Bedingungen für einen Austausch in den interethnischen Beziehungen bestimmen. Auf dem neuen politischen Spielfeld, wo Verwaltungsmacht am meisten zählt, ist eine reaktive Nuerethnizität entstanden, die die politische Vorherrschaft der Anywaa durch Gegenansprüche und kreative Strategien der Inanspruchnahme herausfordert, besonders durch die Übernahme des staatlichen Diskurses wie z.B. die Manipulation der Ergebnisse der Volkszählung. Beispiele: 1) die Volkszählung von 1994 hat neue politische Tatsachen geschaffen, indem die Nuer über Nacht aus „Ausländern“ zu einer „ethnischen Mehrheit“ im Regionalstaat Gambela gemacht wurden; 2) die heroische Teilnahme der Nuer am Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea 1998-2000; 3) die symbolische Erteilung einer Vollmacht über natürliche Ressourcen durch den Staat, wobei der Anspruch des Staates bestätigt und existierende lokale Vereinbarungen über den vereinbarten Zugang zu den Ressourcen unterwandert wurden. Das Ergebnis dieses dyadischen Kampfes wird daher nicht länger auf lokaler Ebene zwischen den Anywaa und den Nuer entschieden, sondern auch durch das veränderte Bündnis zwischen ihnen und dem äthiopischen Staat, welcher seine eigenen Pläne von Überwachung verfolgt und verschiedene Kriterien der Bewertung einer Gruppe anwendet, sowie auch durch den relativen Erfolg jeder einzelnen Gruppe beim Anzapfen transnationaler politischer Netzwerke, besonders in Verbindung mit neuen politischen Akteuren, die im Zusammenhang mit der Befreiungspolitik im Südsudan hervorgetreten sind. Dadurch benutzten Nuer und Anywaa plötzlich nationale und globale Legitimierungsdiskurse und -strategien, um ihre Lebensweise für gültig zu erklären und um Ansprüche auf Ressourcen in einem lokalen Kampf zu erheben.

Die Dissertation besteht aus vier Teilen und sieben Kapiteln. Teil eins enthält ein Einführungskapitel, in dem die theoretische Richtung vorgegeben, die wichtigsten Argumente zusammengefasst sind und das studierte Gebiet vorgestellt wird. Es enthält außerdem Informationen über Geographie, über den sozialen Rahmen, den historischen Hintergrund und den politischen Kontext, sowie eine Beschreibung der Forschungsmethoden und Erfahrungen im Feld. Teil zwei besteht aus zwei Kapiteln und enthält eine Beschreibung der Identitätsregister im studierten Gebiet. Kapitel zwei diskutiert ausführlich ethnische Identität und ihre Bedeutung in sozialen Beziehungen und als Teil der politischen Aktion. Es baut auf einem Hauptthema der Dissertation auf (die unterschiedlichen Formen der ethnischen Identitätsbildung) und entwickelt dieses weiter. Das geschieht durch eine gesonderte Besprechung der Anywaa und der Nuer als zwei Arten ethnischer Gruppen, was in der Konfliktanalyse in Teil vier noch einmal angesprochen wird. Die in diesem Kapitel besprochenen Themen unter den Überschriften Ethnogenese, ethnische Symbole und Grenzen und das Fortdauern ethnischer Identität im Kontext des sozialen Wandels werden jeweils für die Anywaa und die Nuer diskutiert. Kapitel drei besteht aus drei Teilen. Teil eins problematisiert die ethnische Gruppe durch eine Besprechung intra-ethnischer Variationen und Interessengruppen, sowie interner Spaltungen, die die Qualität inter-ethnischer Beziehungen stark beeinflussen. Der zweite Teil führt eine nicht-ethnische, pseudo-rassische Einheit der Identifizierung ein, in der die Anywaa und die Nuer zusammen in derselben Kategorie aufgeführt werden, wobei die ethnische Grenze aufgelöst wird. In diesem Teil wird auch eine Kategorie/Gruppe von Menschen eingeführt, die „Hochländer“, die als „signifikante Andere“ in den Anywaa-Nuer-Beziehungen als Vertreter und aufgrund ihrer Identifizierung mit dem äthiopischen Staat auftreten. Der letzte Teil in Kapitel drei führt noch einmal das ethnische Register ein und diskutiert das nationale Identitätsregister mit Hilfe der Debatte um die Staatsbürgerschaft, in die nationale Identitäten von den Anywaa und den Nuer als Rahmen eingebracht werden, in dem Ethnopolitik euphemistisch praktiziert wird.

Teil drei beschreibt im Einzelnen den Konflikt zwischen den Anywaa und den Nuer. Er enthält einen historischen Überblick und zwei ausführliche Fallstudien aus heutigen Konflikten. Die Bedeutung früherer Konflikte wird in der Konfliktanalyse unter der Überschrift „Soziales Gedächtnis“ gezeigt, welches über die Verlustgeschichte (narrative of loss) der Anywaa informiert. Die zwei Fallstudien wurden ausgewählt, weil sie die zugrunde liegenden Prozesse, die den Konflikt erzeugt haben, aufzeigen. Außerdem stehen sie für unterschiedliche Interaktionsrahmen: einen aus dem ländlichen Umfeld (Itang Distrikt), wo es um einen Wettstreit um natürliche Ressourcen geht, und ein anderer aus einem städtischen Umfeld (Gambela Stadt), wo es um Verwaltungsposten und neue Mittel des sozialen Aufstiegs geht (Bildung). Diese ausführlichen Fallbeispiele dienen als Grundlage für die Konfliktanalyse in Teil vier, wo die oben beschriebenen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Variablen des Anywaa-Nuer-Konfliktes in den Kapiteln fünf, sechs und sieben beschrieben werden.

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