The Ädamo of the Kara. Rhetoric in Social Relations on the Lower Omo
Felix Girke
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
OPAC
Date of Defense | Tag der Verteidigung
30.04.2009
Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Richard Rottenburg
German Summary - Deutsche Zusammenfassung
Wie schaffen es die Kara, eine ethnische Gruppe Südäthiopiens, trotz ihrer geringen Größe sowohl ihre Feinde in Schach zu halten, als auch die notwendige Distanz zu ihren Freunden aufrecht zu erhalten? Dieser Frage widmet sich diese Dissertation.[1]
Die Kara sind eine ethnisch heterogene Population, die jedoch dahingehend als autonome Einheit zu sehen ist, dass sie durch gemeinsame gepflegte soziale Institutionen eindeutig von anderen, ähnlichen Gebilden abgegrenzt wird. Seit der bereits klassischen Vorarbeit von Fredrik Barth (1969) ist es dementsprechend eine Grundannahme der Ethnizitätforschung, dass die kulturelle Praktiken einer Gruppe immer auch kommunikative Funktion haben, indem sie Grenzen deutlich machen.
Dies ist von evidenter Bedeutung im unteren Omo-Tal, da hier eine große Anzahl verhältnismäßig kleiner ethnischer Gruppen auf engem Raum lebt. Die Kara zählen rund 1,400 Personen. Ihre wichtigsten Nachbarn, die bereits zu den größten regionalen Akteuren gehören werden, sind merklich größer, aber immer noch von verschwindend geringer Bedeutung im äthiopischen Maßstab: sowohl die Hamar als auch die Nyangatom zählen etwa 25,000. Diese und zahlreiche andere Gruppen sind verflochten in einer gemeinsamen Geschichte, und interagieren in einer Vielzahl von Arenen, teils friedlich, teils kriegerisch. Das südliche Omo- Gebiet ist zwar seit rund hundert Jahren ein Teil von Äthiopien, die ansässigen Gruppen haben sich aber nach wie vor nur teilweise dem Gewaltmonopol des Staates unterworfen.
Die Kara haben eine besondere Stellung in diesem ethnischen Mosaik. Zum einen befindet sich ihr Gebiet an den Flussufern des Omo in einer bemerkenswerten geographische Gunstlage, und zum anderen bilden die Kara einen besonderen Nexus: während ihre Sprache als omotisch klassifiziert wird, und auch die meisten ihrer Institutionen und Rituale denjenigen der eine nah verwandte Sprachen sprechenden Hamar stark ähneln, so haben die Kara doch zugleich enge Beziehungen zu nilotisch klassifizierten Gruppen (Nyangatom, Mursi), sowie zu Sprechern kuschitischer Sprachen (Arbore, Dassanech). Das Territorium der Kara liegt zwischen all diesen Einflusssphären, und wenn es auch auf den ersten Blick naheliegend ist, die Kara als eine Splittergruppe der weitaus zahlreicheren Hamar zu verstehen, wird genau dies von den Kara vehement geleugnet. Sie verweisen auf mythische Ursprungsgeschichten, die sie als direkte Verwandte der sprachlich und kulturell sichtbar unterschiedlichen Arbore und Dassanech darstellen. Zugleich ist es auffällig, dass die Kara von all ihren Nachbarn die engsten Beziehungen ausgerechnet zu den Nyangatom pflegen. Dieses Verhältnis ist überaus komplex, da hier eine gegenseitige Bewunderung und Wertschätzung mit nahezu permanenten gewaltförmigen Konflikten einhergehen: die Nyangatom expandieren nach Osten, und haben bereits die Kara fast vollständig vom westlichen Ufer des Omo-Flusses verdrängt. Ungeachtet dessen geht von den Nyangatom eine ungebrochene Faszination aus, und viele Kara pflegen enge, persönliche Bindungen mit ihnen über diese Grenze hinweg.
Generell gesprochen erzeugen die Kara und die anderen relativ autonomen Gruppen (polities) der Region durch ihre Diskurse und stereotypenreichen Narrative, sowie durch eine Vielzahl von persönlichen und institutionalisierten Kontakten untereinander, eine symbolisch reiche, durch persönliche Erfahrungen gestützte Welt gegenseitiger Relevanz. Ich nenne dies die kulturelle Nachbarschaft (cultural neighborhood).
Sowohl ober- als auch unterhalb dieser Betrachtungsebene gibt es aber weitere ethnische Differenzierung. Sogar die augenfällig kleine Population der Kara weist im Inneren eine Unterteilung in fünf klar bestimmbare ethnische Kategorien auf, deren Unterschiede im rituellen Bereich am deutlichsten werden. Ansprüche auf rituelle Reinheit bringen zwar Verhaltenseinschränkungen mit sich, sie erlauben Akteuren aber auch, soziale Hierarchien zu legitimieren. Innerhalb Karas stehen die echten Kara (true Kara) auf der höchsten Stufe dieser Klassifizierung, gefolgt von den Bogudo, den Gomba, den Nyangatom-Kara, und den Moguji. Zum Teil stellen dies Einwanderer dar, zum Teil verweisen diese Kategorien auf in der Vergangenheit eigenständige, doch seit langer Zeit von den Kara absorbierten Gruppen. Zwischen ihnen bestehen zahlreiche Exogamieregeln, sowie Einschränkungen in der Kommensalität. Jede dieser ethnischen Subkategorien gibt einen eigenen Katalog an Ritualen vor, welche die Lebensabschnitte von Individuen markieren, sowie Fruchtbarkeit regulieren. Etwas weniger augenfällig ist, dass ebenfalls markante Unterschiede in der Verteilung der Produktionsmittel bestehen: die Felder der Kara, klar abgegrenzte Segmente des Flussufers, sind die grundlegende Basis allen Wirtschaftens, und nicht alle ethnischen Kategorien der Kara haben gleichermaßen Zugangsrechte. Auch im politischen Bereich ist festzustellen, dass obwohl die grundlegende Gleichheit aller Kara regelmäßig beschworen wird, liegen die meisten Entscheidungskompetenzen bei den echten Kara. Der Ausdruck ädamo, den ich im Titel dieser Dissertation führe, bezieht sich auf diese Problematik: während das Wort äda sich recht konkret mit Verwandtschaft übersetzen ließe, und sowohl auf affinale Beziehungen als auch auf Deszendenz verweist, ist ädamo ungleich komplexer. Im sozialen Leben Karas wird ädamo oft als normative Verhaltensrichtlinie beschworen, die darauf verweist, dass es nicht reicht, verwandt zu sein – Verwandte sollen sich auch verwandtschaftlich verhalten. Daraus lässt sich bereits ableiten, dass persönliche Beziehungen im Allgemeinen für Kara eine starke aktive Komponente haben: das Individuum, vor allem der gesellschaftlich aktive, verantwortungsvolle verheiratete Mann, gestaltet seine soziale Umwelt aktiv.
In anderen Kontexten ist ädamo oft weniger klar zu fassen, und scheint dann generelle Kooperationsbereitschaft und den Willen zu guten Beziehungen zu evozieren. Eine Untersuchung dieser Kontexte jedoch zeigt, dass es entscheidend ist, wer spricht. Parallel zu den ungleich verteilten Feldern am Flussufer gibt es auch ungleichen Zugang zu der kommunikativen Ressource, ädamo: es sind vor allem die echten Kara, die mit Verweisen auf ädamo von den Angehörigen der anderen ethnischen Kategorien Karas Solidarität einfordern. Das Verständnis dieser Verwendungsweise lässt die Vielgestaltigkeit und die rhetorische Kraft dieses Konzepts, die sich aus seinen positiven Konnotationen und der zugleich unbestimmten Bedeutung speist, hervortreten. Ich diskutiere ädamo daher auch als Ideologie, hier schlicht definiert als die Verwendung normativer Konzepte zu Zwecken von Machtausübung.
Die ädamo der Kara ist damit ein dynamisches Feld von Ansprüchen und Rechtfertigungen. Dieses Verständnis des Konzepts ermöglicht nicht nur einen Einblick in die Art und Weise, wie die Angehörigen der ethnischen Unterkategorien von Kara ihre Interaktion formulieren und regulieren, sondern auch, wie diese ethnischen Unterkategorien angesichts vielfältigster alltäglicher Beziehungen überhaupt intakt gehalten werden.
Sowohl diese intensiven sozialen Aushandlungen, die außerhalb von Kara kaum wahrgenommen werden, als auch die aufgeladene und oft antagonistische Interaktion zwischen den Gruppen der kulturellen Nachbarschaft verlieren zunächst ihre Bedeutsamkeit und Dramatik, wenn auch der äthiopische Staat und seine Vertreter als Akteure miteinbezogen werden. Auch über hundert Jahre nach der imperialen Eroberung der Süd-Omo-Region durch die Armeen von Kaiser Menelik bestehen noch in allen gesellschaftlichen Bereichen kaum überbrückbare Barrieren zwischen den Habescha, den Hochländern, Vertreter des Staatsgebildes, und den Schankilla, die noch vor Meneliks Zeiten die Peripherie zum Zentrum der Habescha bildeten. Schankilla wird seit Jahrhunderten als abwertender Begriff für die potentiellen Sklaven gebraucht, die Bewohner der äthiopischen Tieflande, die stereotyp als „schwarz“, „wild“, und unzivilisiert verstanden wurden. Auch heute noch sind sie sprachlich, politisch, und wirtschaftlich marginalisiert. Die Kara und die anderen Gruppen der kulturellen Nachbarschaft haben diesen Begriff allerdings aufgenommen, und zeigen damit an, dass sie ihre grundsätzliche Ähnlichkeit im Angesicht der Habescha akzeptieren. In diesem Bereich stellt sich nun die Frage, wie man die Beziehung zwischen so ungleichen sozialen Kategorien methodologisch erfassen kann. Für die Kara ist die Erfahrung der unfreiwilligen Inkorporation in den äthiopischen Staat eine Erfahrung, die ihre ganze soziale Welt prägt. Zugleich wissen die meisten Habescha nicht einmal, dass es die Kara gibt. Zu beobachten ist dementsprechend nur die konkrete Interaktion zwischen Vertretern beider Seiten. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern eine solche Begegnung denn sinnvoll als interethnisch zu verstehen ist.
Bedeutsamer scheint viel mehr der Aspekt der Verschiedenartigkeit der Kategorien. Während die Kara, Hamar und Nyangatom in ihrer Interaktion stets die prinzipielle Vergleichbarkeit ihrer Gruppen verteidigen, stehen ihnen die Habescha als Andere gegenüber. Das zeigt sich bereits sprachlich darin, das in Kara die Worte für Habescha, Regierung, und Staat oft synonym verwendet werden.
Diese letztlich koloniale Situation hat fundamentale Auswirkung auf das Selbstbild der Kara und ihrer Nachbarn. Wie gehen nun die Gruppen der kulturellen Nachbarschaft mit dieser Unverhältnismäßigkeit um, die sie marginalisiert und ihnen Macht und Selbstbestimmung abspricht?
Sogar eine kurze Beschreibung dieser komplexen Beziehungslandschaft verweist zurück auf die geringe Größe der Kara, sowie die einleitenden Frage, wie es ihnen gelingt, ihren politischen Handlungsspielraum zu bewahren. Dahingehend thematisiere ich in meinen vier ethnographischen Kapiteln (3-6) jeweils eine spezifische Beziehung zwischen ethnisch markierten Kategorien. Mein Argument ist, dass jede dieser Beziehungen, sowohl formalistisch beschrieben als auch in Bezug auf die beobachtbaren Interaktionsformen, eigene Qualitäten besitzt. Ethnische Grenzen, so zeigt sich, werden auf unterschiedliche Art und Weise gesetzt und manipuliert. Ich stelle eine Reihe von Beispielfällen vor, die deutlich machen, inwieweit in der Aushandlung von ethnischen Beziehungen in und um Kara gewisse ontologische Vorstellungen sowie normative Behauptungen zum Tragen kommen.
Ich untersuche diese Fragestellung anhand eines Vokabulars, das der Rhetorik entlehnt ist. Die verwendeten Begriffe und ihre methodologische Bedeutung werden in meinem zweiten Kapitel hergeleitet und in ihrem Zusammenwirken erklärt. Hier beziehe ich mich vornehmlich auf eine Denkrichtung in den Kulturwissenschaften, die sich unter anderem auf Georg Simmel und Siegmund Freud bezieht. Unter Verweis auf Freud's Narzissmus der kleinen Unterschiede betont eine Reihe von zeitgenössischen Ethnologen (u.a. Anton Blok und Simon Harrison), dass soziale Konflikte nicht durch besonders markante Unterschiede motiviert sein müssen. Vielmehr ist es oft so, dass eine zu enge Beziehung, oder ein Empfinden von unzureichender Differenzierung, ein Mangel an identitätsstiftenden Unterschieden zu Abgrenzungsprozessen führt. Zur Modellierung solchen Handelns dient das von mir vorgestellte Rad der Autonomie (the Wheel of Autonomy). Dieses Modell folgt dem Zusammenspiel von sozialer Eigenständigkeit (autonomy), der Handlungsfähigkeit von Akteuren (agency), sowie öffentlich anerkannten Wesensmerkmalen (distinction), und zeigt, wie diese drei Momente sich gegenseitig definieren. Soziale Eigenständigkeit wird (im Anschluss an die oben erwähnte Denkschule) rein heuristisch als der Motor dieser Dynamik angesehen, da soziale Akteure überhaupt nur handeln können, wenn sie einen gewissen Grad an Autonomie besitzen. Zugleich jedoch ist das Modell absichtlich zirkulär. Da Akteure nie völlig steuern können, wie Beobachter ihre Handlungen interpretieren, kann man ebenso gut spezielle Wesensmerkmale einer Person oder Gruppe als Startpunkt nehmen, da diese auf bereits erfolgte Abgrenzungsprozesse veweisen.
Dies macht deutlich, dass solche Abgrenzungen in performativ zu verstehenden Handlungen vorgenommen werden, oder, wie ich meinen Ansatz entwickle, in rhetorischem Handeln.
In einer grundlegenden Setzung verweise ich auf zwei zentrale Bereiche der Rhetorik, die bereits in der Zeit der griechischen Sophisten entwickelt waren: die figurative Tropologie, sowie den persuasiven Aspekt von sozialem Handeln.
Aus diesem zweiten Bereich ergeben sich vor allem eine Reihe von methodologischen Konsequenzen. So ist ein zentraler Bestandteil meines Ansatzes, dass jede menschliche Handlung in einem sozialen Kontext als Behauptung (claim) zu betrachten ist. Eine Behauptung ist immer empirisch und/oder normativ; sie besteht in einer Aussage über ein Sollen oder ein Sein. Ich sehe es als einen unvermeidlichen Aspekt von Interaktion, dass Menschen das Verhalten ihrer Gegenüber immer im Hinblick auf mögliche, implizite Behauptungen hin betrachten. Dies ist besonders evident in einer so alltäglichen Handlung wie dem Grüßen, das grundsätzliche eine Aussage über den Stand der Beziehungen zwischen zwei Menschen trifft. Ädamo ist damit auch leicht als eine Behauptung zu betrachten, allerdings von höherer Komplexität (language of claims).
Aus dieser Herangehensweise heraus bietet sich auch eine Perspektive auf soziale Konflikte. Ich untersuche jegliche Art von Konflikt im Hinblick darauf, welche antagonistischen Behauptungen durchgesetzt werden sollen. Damit wende ich Persuasion auf eine allgemeine Ebene an, die Sprechhandeln nur als Sonderfall von Handeln im Allgemeinen versteht. Jede Art von Verhalten kann von Beobachtern als intentional und einer Behauptung verpflichtet interpretiert werden, und im Bezug auf Alltagshandeln können formelle Redesituationen nicht sinnvoll als notwendige Bedingung für das Auftreten von Rhetorik angenommen werden. Solche Aushandlungskonflikte haben das Ziel, die soziale Situation zu definieren (definition of the situation). Dies ist ein althergebrachtes Interesse in der Soziologie, welches sich in der Anwendung auf Mikroprozesse unbedingt bewährt hat. Hier beziehe ich mich vor allem auf die Arbeiten des Ethnologen FG Bailey. In den thematisierten Kontexten findet die Definition einer Situation hauptsächlich dahingehend statt, dass verschiedene Akteure versuchen, spezielle soziale Kategorien mit all ihren verbundenen Regeln und Implikationen geltend zu machen. Ein Mann mag einem anderen gegenüber seine Zugehörigkeit zu einem Klan, zu einer Siedlungseinheit, zu einer ethnischen Kategorie, oder zu einer anderen Schicksalsgemeinschaft behaupten – jede einzelne dieser paradigmatischen Kategorien hat unterschiedlichen Einfluss darauf, in welcher Form Interaktion stattfindet. Normative Regeln unter Nachbarn sind anders als die unter Brüdern, darum gibt es, wo Brüder auch Nachbarn sind, immer Möglichkeiten der Aushandlung. Kara ist hier ein besonders ergiebiges Feld, da es aufgrund der multiplexen Beziehungen von Individuen zueinander immer mehrere Kategorien gibt, die rhetorisch durchgesetzt werden könnten.
Der zweite Teil meiner rhetorischen Herangehensweise greift zurück auf Tropologie. Er beruht auf der methodologischen Anwendung der vier, laut Giambattista Vico und neueren Autoren wie Kenneth Burke, wichtigsten Tropen: Metonymie, Metapher, Synekdoche, und Ironie. Wie bereits Vico im 18. Jh. vorschlug, können anhand der formalen Struktur dieser vier rhetorischen Formen nicht bloß verbalisierbare Argumente, sondern überhaupt alle denkbaren Beziehungen zwischen zwei Objekten modelliert werden. Dieser Ansatz hat, wie ich ausführe, eine lange Reihe von Anwendungen in verschiedenen Kultur- und Sozialwisssenschaften hervorgebracht. Im Bezug auf meine Fragestellung im Kontexten des sozialen Feldes von Süd-Omo verhelfen mir diese vier Tropen zu einer exakten und komparativen Beschreibungsweise.
In meinen vier ethnographischen Kapiteln diskutiere ich jeweils eine spezifische interethnische Beziehung durch die Linse einer der Tropen. Kapitel 3 wendet sich den eingangs erwähnten Bogudo zu. Ich zeige hier, wie sowohl die Kategorie Bogudo metonymisch definiert ist, als auch, dass sie in innerhalb von Kara in einem metonymischen Verhältnis zur Gesamtheit der Gruppe steht. Metonymie bezieht sich in meiner Verwendung auf eine aspektive Teil-Ganzes- Beziehung. So steht das Material in einer metonymischen Beziehung zum Objekt, das es bildet; ebenso für Wirkung und Ursache, oder Behälter und Inhalt. Im Fall der Bogudo stellte sich heraus, dass in den Augen der echten Kara die gesamte Kategorie Bogudo auf ihre Eigenschaft reduzierbar war, das yekinta Ritual durchzuführen. Dieses Ritual, das in ganz Kara nur ein Teil des rituellen Katalogs der echten Kara und der Bogudo ist, und dadurch einen hohen Anspruch auf rituelle Wertigkeit ausdrückt, gehört zu einer Reihe von Ritualen, welche die Legitimität von Schwangerschaften regeln. Als eine Sektion der Bogudo beschloss, dieses Ritual aufzugeben (was größeren Freiraum in der Nachwuchsplanung mit sich bringt), reagierten die echten Kara prompt, und rekategorisierten die abtrünnigen Bogudo als Gomba, eine andere, rituell weniger geachtete ethnische Unterkategorie der Kara. Alle anderen Aspekte, die Bogudo-heit ausmachten, wie z.B. Abstammung und Landbesitz, wurden damit für irrelevant erklärt, angesichts der Bedeutung der yekinta. Ich argumentiere, dass die Reaktion der echten Kara auf mehreren Ebenen zu verstehen ist. Zum einen ließen sie es damit nicht zu, dass jemand anderes als sie selber unilateral die Regeln des Zusammenlebens in Kara ändert. Damit wurde die Situation zu einer Machtfrage. Zum anderen verteidigten die echten Kara dadurch eine transzendente Bedeutung der Kategorie Bogudo – so wird nicht die Kategorie induktiv durch ihre Mitglieder gebildet, sondern die Mitglieder müssen sich an die Regeln der Kategorie halten. Für die echten Kara war es wichtig, diese Kategorie zu schützen, da ihre Privilegien in Kara darauf basieren, dass es unterschiedliche ethnische Subkategorien gibt.
Dies leitet über zu Kapitel 4, in welchem ich die Gruppe diskutiere, denen die echten Kara in mythischer Vorzeit das fruchtbare Land am Omo durch ihre überlegene Gerissenheit abgerungen haben: die Moguji. Laut dem Mythos der Kara waren die Moguji früher Jäger und Fischer, und verstanden nichts von der Viehzucht oder dem Ackerbau. So war es ein leichtes für die Kara, als sie das Omo-Tal erreichten, sich Landrechte zu sichern. Heute besitzen Moguji kein fruchtbares Land mehr, und sind in dieser Hinsicht stark von den echten Kara, aber auch den Bogudo und Gomba abhängig. Zwischen ihnen und den echten Kara bestehen starke weiterhin Einschränkungen in der Kommensalität, und sie sind auch dahingehend marginalisiert, dass sie endogam heiraten müssen.
Die Beziehung zwischen echten Kara und Moguji wird durch die Trope Metapher beschrieben. Dies trägt zunächst der Tatsache Rechnung, dass sich in Kara eine starke metaphorische „Veranderung“ der Moguji findet. Zahllose Metaphern betonen ihre Unkultiviertheit und ihre Ungezügeltheit. Analog zum Opportunismus der ihnen zugeschriebenen Wirtschaftsweisen Jagen und Fischen, wird ihnen generell abgesprochen, kreativ und produktiv zu sein. Es ist zunächst markant, dass es nichts Vergleichbares für Gomba oder Bogudo gibt – dies ist ein Hinweis darauf, dass die Kategorie Moguji dahingehend spezifisch ist, dass sie Metaphorisierung einlädt. Ich betrachte diese Praxis als eine strukturelle Zähmung, die den mythischen Landraub der Kara legitimiert. Indem sie auf die Moguji alles projiziert, was nicht Kara ist, dient sie zugleich dazu, die sozialen Verhältnisse in Kara zu legitimieren.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit der bereits erwähnten kulturellen Nachbarschaft anhand von Synekdoche. Synekdoche, im Gegensatz zur Metonymie, drückt eine formelhaftere pars-pro-toto Beziehung aus, und modelliert so die Zugehörigkeit der ethnischen Gruppen von Süd-Omo zur Kategorie Schankilla. In taxonomischer Sprache bildet Schankilla den Genus, und die einzelnen Gruppen die dazugehörigen Spezies. Es ist allerdings zu beachten, dass diese Zugehörigkeit nicht unproblematisch ist. Die verschiedenen Schankilla stehen sich oft antagonistisch gegenüber, und müssen stets ihre spezifischen Wesensmerkmale und ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Dass die Kara ihre Verwandtschaft mit den Hamar leugnen, aber zugleich eine solche auf Arbore und Dassanech projizieren, während sie mit den Nyangatom trotz zunehmender Konfliktintensität ädamo zu praktizieren versuchen, ist ein Beispiel für den erfolgreichen Nachweis von Autonomie und Handlungsfähigkeit. Wie das Beispiel der Moguji zeigt, gibt es auch ethnische Gruppen, die nicht in einem Verhältnis der ontologischen Äquivalenz stehen. Die Moguji können nicht als Gleiche unter Gleichen in der kulturellen Nachbarschaft agieren; sie sind immer der Definitionsmacht der Kara unterworfen. Dies gilt genauso für die Gomba und Bogudo, die heute Überbleibsel von einstmals autonomen ethnischen Gruppen bilden. Diese Dynamik gefährdeter Eigenständigkeit wird durch das Rad der Autonomie abgebildet. Tatsächlich verfolgt eine Gruppe von Moguji das Ziel, sich der Macht der Kara zu entziehen, das Land ihrer Vorväter zurück zu gewinnen, und einen Grad an Autonomie zu erreichen, wie ihn die Kara selber besitzen. Die Kara widersetzen sich dem, da was es heißt, Kara zu sein, immer auch dadurch bestimmt wird, dass es in den Moguji einen hinreichend Anderen gibt.
Kapitel 6 ist die letzte ethnographische Sektion. Wie oben erläutert, erweitere ich hier den Blick und diskutiere die so unbalancierte Beziehung zwischen den Kara und den Habescha. Jenseits von unwidersprochenen internen Diskursen, zeigt die Untersuchung von spezifischer Interaktion zwischen Akteuren von beiden Seiten, dass die Kara die von außen an sie herangetragenen Narrative nicht ergeben akzeptieren. Stattdessen leugnen sie die scheinbar evidenten Sachverhalte, wie ihre Machtlosigkeit angesichts des Staatsapparates, sowie ihre Marginalisierung. Wie eine solche Position rhetorisch zu verteidigen ist, erschließt sich in dem Aufeinandertreffen von Kara und Habescha, da hier die eingeschränkte Macht und Handlungsfähigkeit der lokalen Verwalter deutlich wird. Sie selber sind auch Ausgestoßene des Zentrums. Wie als Strafversetzte müssen sie versuchen, angesichts bewaffneter, kühner und für sie letztlich undurchschaubarer Schankilla ihre Pflichten so zu erfüllen, dass sie weder den Unmut ihrer Vorgesetzten auf sich ziehen, noch in der Interaktion mit z.B. den Kara das Gesicht zu verlieren. Diese offenkundige Inkongruität von Anspruch (des Staates) und Wirklichkeit (der Mitleid erregenden Vertreter des Staates) wird von den Kara mit Ironie kommentiert, der letzten der vier Tropen. Ironie erkennt die Kontingenz aller Wahrheitsbehauptungen an, und ist damit sehr effektiv darin, die uneingelösten Versprechen von Entwicklung und Gleichberechtigung zu entlarven. Hier verorte ich ädamo in der Bereitschaft der Kara, die Menschlichkeit derer anzuerkennen, die gekommen sind, um ihnen Vorschriften zu machen.
Meine rhetorische Analyse der ädamo der Kara erweist, dass es nicht unproblematisch möglich ist, interethnische Beziehungen, oder Ethnizitäts-basierte Abgrenzungsprozesse als gleichartig anzusehen. Die formale Modellierung verschiedener Beispielfälle anhand der Tropen Metapher, Metonymie, Synekdoche, und Ironie erlaubt es, genauer zu beschreiben, wie unterschiedliche ethnische Beziehungen beschaffen sind. Die Untersuchung von Interaktion durch die Linse der Persuasionsforschung ergänzt die tropologische Beschreibung, da sich die Bedeutung der formalen Strukturen nur aus einer kontext- und akteurszentrierten Perspektive erschließen lässt. Diese Arbeit beruht auf einer empirischen Forschung, die mich seit 2003 fünf Mal nach Kara geführt hat.
[1] Einzelne englische Begriffe, die in Klammern beigefügt sind, verweisen auf das Vokabular das in der Dissertation zur Anwendung kommt.