Ghanaian migrants in Germany and the status paradox of migration: a multi-sited ethnography of transnational pathways of migrant inclusion

Boris Nieswand
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Date of defense | Tag der Verteidigung
22.04.2008

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Richard Rottenburg

Findings of this PhD project resulted in the following publication:
Nieswand, Boris 2011. Theorising Transnational Migration. The status paradox of migration. London: Routledge.

German summary | Deutsche Zusammenfassung

Ghana hat sich seit seiner Unabhängigkeit 1957 bis heute von einem der bedeutendsten Einwanderungsländern Westafrikas zu einem der bedeutendsten Auswanderungsländer des subsaharischen Afrikas nach Europa und Nordamerika gewandelt. Die Massenauswanderung ghanaischer Migranten hat zu einer neuen Form der Transnationalisierung der ghanaischen Gesellschaft beigetragen. Ein Ziel dieser Dissertation ist es, diesen historischen Prozess nachzuzeichnen und einige seiner wesentlichen sozialen Konsequenzen zu benennen und zu analysieren. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass Versprechungen und Vorstellungen von Modernität, die auch und gerade durch Bildungsinstitutionen vermittelt worden sind, innerhalb dieser Entwicklungen eine wichtige Rolle gespielt haben.

Ethnographisch stehen Prozesse simultaner und multipler Inklusion transkontinentaler ghanaischer Migranten in verschiedene sozial-räumliche Kontexte im Mittelpunkt der Beschreibung. Die wirtschaftliche Entwicklung Ghanas seit den 1960er Jahren enttäuschte systematisch die Aufstiegserwartungen von Personen mit hoher und mittlerer Bildung. Transkontinentale Migration versprach aus der ghanaischen Perspektive einen Ausweg aus einer Situation der Statusinkonsistenz. Statt das Problem zu lösen, verschob die Migration allerdings die Statusinkonsistenz oftmals nur von der nationalen Arena in den transnationalen Raum. Mit der Beschreibung des transnationalen Statusparadoxons und seinen Prozessierungen liefert die Arbeit einen ethnologischen Beitrag zur Migrationsforschung und zur sozialen Ungleichheitsforschung. In beiderlei Hinsicht ist ein methodologischer Transnationalismus kennzeichnend für die analytische Perspektive der präsentierten Fallstudie.

Im ersten Kapitel der Arbeit wird argumentiert, dass sozialwissenschaftliche Migrationstheorien stets implizite Annahmen über den Charakter und die sozialräumliche Ausdehnung von Gesellschaft beinhalten, welche wiederum Einfluss auf den ausgewählten Typus von Migration haben, der im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses steht. Insgesamt werden drei Paare von paradigmatischen Migrantentypen und Gesellschaftsvorstellungen identifiziert – der Immigrant im Nationalstaat, das Mitglied der „traditionellen“ Gesellschaft in der Stadt und der Transmigrant in der Weltgesellschaft –, die drei verschiedenen Traditionen von ethnologischen und soziologischen Migrationstheorien entsprechen. Vor diesem theoretischen Hintergrund wird das Konzept des methodologischen Transnationalismus vorgestellt. Unter methodologischem Transnationalismus wird der der Studie zugrunde liegende analytische Beobachtungsrahmen verstanden, innerhalb dessen sich Prozesse simultaner und multipler Inklusion von Migranten und deren relevanten Anderen in verschiedene sozialräumliche Kontexte innerhalb der Weltgesellschaft beschreiben lassen.

Im zweiten Kapitel folgt eine historische Übersicht über die Veränderung der Migrationsmuster von Ghanaern seit Beginn des 20. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang wird die Entstehung des Migrationssystems der kolonialen Goldküste beschrieben. Vor allem Migranten aus dem Norden (der Savannenregion der Goldküste und den angrenzenden französischen Kolonien) sowie aus dem Osten (der Voltaregion, dem heutigen Togo und dem heutigen Nigeria) migrierten von der Jahrhundertwende bis in die 1960er Jahre massenhaft in die Metropolen, zu den Kakaoplantagen und den Minen der südlichen und der zentralen Goldküste. Das koloniale Migrationssystem, das von dem Wirtschaftsboom der Jahrhundertwende, der kolonialen Befriedung des Landes und der Ausweitung der Transportinfrastruktur profitierte, zeichnete sich durch ein hohes Maß an Freizügigkeit über koloniale Grenzen hinweg aus, das erst wieder durch das Entstehen der postkolonialen Nationalstaaten eingeschränkt wurde.

Der 1957 für unabhängig erklärte Nationalstaat Ghana starte mit relativ guten wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und viel Optimismus in eine ungewisse Zukunft. Aufgrund komplexer wirtschaftlicher Prozesse und der politischen Destabilisierung des Landes begann in den 1960er Jahren ein Abwärtstrend, der in einer schwerwiegenden Gesellschaftskrise in den späten 1970er und frühen 1980er Jahre gipfelte.

Die Unabhängigkeit Ghanas wurde von Modernisierungserwartungen begleitet, die sich unter anderem in der Expansion des Bildungssystems und der Nachfrage nach Bildung niederschlugen. Die Entwertung von Einkommen und Bildungsabschlüssen wurde vielfach von den betroffenen Personengruppen als Exklusion von einer „globalen Moderne“ erfahren. Während der 1970er und 1980er Jahre verschob sich die Projektionsfläche für Modernisierungserwartungen – vor allem verstanden als Zugang zu Wohlstand, Infrastruktur, Bildung und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen – von der Zukunft des „eigenen Landes“ zu einem gleichzeitig existierenden „Anderswo“. Die Migration nach Europa und Nordamerika wurde zu einer immer wichtigeren Möglichkeit, legitim empfundene Statusaspirationen zu verwirklichen. In diesem Sinne gab es einen Zusammenhang zwischen der Massenmigration von Ghanaern und den Modernisierungsbemühungen des ghanaischen Entwicklungsstaates. So gelang es dem Staat zwar eine Bildungsexpansion zu forcieren, die bereits in der Kolonialzeit ihren Ausgang nahm, allerdings scheiterte er daran, angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten für die wachsende Anzahl der Schulabsolventen zu schaffen.

Zunächst gingen nur wenige Ghanaer als Arbeitsmigranten nach Europa, weil der Großteil der Unzufriedenen seit Mitte der 1970er Jahre nach Nigeria und etwas später in die Elfenbeinküste migrierten. Insbesondere nach der Vertreibung von mehr als 700.000 Ghanaern aus Nigeria im Jahre 1983 verschob sich der regionale Schwerpunkt der Migration von Ghanaern aber zusehends von Westafrika nach Westeuropa und Nordamerika.

Im dritten Kapitel wird die transkontinentale Migration von ghanaischen Migranten diachron und synchron kontextualisiert. Zunächst erfolgt ein kurzer Überblick über die Veränderungen transkontinentaler Migrationsmuster aus Ghana bzw. der Goldküste seit dem 19. Jahrhundert. Anschließend werden die Ergebnisse einer quantitativen Erhebung von Verwandtschaftseinheiten in einem Dorf im Dormaa Distrikt im mittleren Westen Ghanas vorgestellt. Anhand von mehr als 1400 erfassten Personen werden Muster interner, transnationaler Migration innerhalb Afrikas und transkontinentaler Migration aufgezeigt und zueinander in Beziehung gesetzt. In diesem Zusammenhang kann gezeigt werden, dass es sich bei der Gruppe der transkontinentalen Migranten vor allem um junge Männer mit „mittleren“ Schulabschlüssen handelt. Insbesondere diese Personengruppe kann aufgrund der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft ihre Statusaspirationen in Ghana oft nicht verwirklichen. Darüber hinaus zeigte sich überraschender Weise, dass trotz der restriktiven Migrationspolitik der Länder des globalen Nordens, die Zahl der transkontinentalen Migranten in dem Sample größer war als die der transnationalen Migranten innerhalb Afrikas. In diesem Sinne reflektiert die Wanderung von Ghanaern in den globalen Norden auch den Mangel an innerafrikanischen Alternativen. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass Verwandtschaftsbeziehungen eine wichtige Rolle für die Finanzierung und logistische Unterstützung transkontinentaler Migration spielen.

Im vierten Kapitel werden Prozesse der Lokalisierung ghanaischer Migranten in Deutschland beschrieben. Es beginnt mit einer statistischen Bestandsaufnahme von ghanaischer Migration nach Deutschland im Allgemeinen und nach Berlin im Besonderen. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich in den letzten 20 Jahren eine signifikante Gruppe von Ghanaern in Berlin lokalisiert hat. Dies zeigt sich insbesondere in der Veränderung der Altersstruktur der ghanaischen Bevölkerung, der Gründung von Familien und dem Aufbau von ghanaischen Institutionen wie Kirchen, Vereinen und Geschäften, die Produkte für den Bedarf afrikanischer Migranten anbieten.
Besonderes Gewicht wird auf die Beschreibung lokalisierter Identitätsdiskurse gelegt. Es werden Identifikationen mit rechtlichen, ethnischen, regionalen und religiösen Identitätskategorien beschrieben, die in ihrer sozial-räumlichen Referenz variieren. Diese reflektieren auf unterschiedliche Weisen die Mehrfachinklusion der Migranten und verweisen gleichzeitig auf die Spezifität des lokalen Kontextes des Handlungsvollzuges.

Komplementär zu dem Prozess der Lokalisierung werden im fünften Kapitel Prozesse der Transnationalisierung der Lebenswelten ghanaischer Migranten in Berlin beschrieben. Es wird ausgeführt, dass sich die transnationalen Beziehungen der Migranten insbesondere über wirtschaftliche Anreizstrukturen und die Logik generationsübergreifender verwandtschaftlicher Reziprozität stabilisieren.
Wirtschaftlich hat ein Prozess doppelter Polarisierung – zwischen armen und reichen Ländern einerseits und zwischen Ober-und Unterschicht innerhalb der Länder des Nordens andererseits – zu der Extensivierung und Intensivierung transnationaler Beziehungen beigetragen. Aufstiegsambitionen von Migranten ließen sich aufgrund der Arbeitsmarktstruktur in Deutschland oft nur schwer verwirklichen. Allerdings bieten globale Lohn-und Kaufkraftdifferenzen und die gesunkene Opportunitätskosten für transnationale Inklusion, insbesondere Transport und Kommunikation, ghanaischen Migranten die Möglichkeit, mit den in Deutschland erwirtschafteten Ersparnissen Symbole eines Mittelklassestatus im Herkunftsland zu erwerben. In diesem Sinne schafft der doppelte Prozess der Einkommenspolarisierung eine wirtschaftliche Infrastruktur für transnationale Inklusion. Intergenerationale Reziprozität und Solidarität innerhalb von Verwandtschaftsgruppen haben in Ghana eine wichtige Funktion für die soziale Absicherung im Alter sowie in Fällen von Krankheit und Not. Die meisten Ghanaer in Deutschland bleiben trotz ihrer Migration in dieses verwandtschaftliche System sozialer Absicherung inkludiert und erfüllen ihre Verpflichtungen insbesondere gegenüber ihren Eltern, etwaigen Kindern und Geschwistern in Ghana. Durch Unterstützung von jüngeren Verwandten generieren Migranten ihrerseits Ansprüche auf Unterstützung, auf die sie sich im Fall einer Rückkehr nach Ghana berufen können. Ausführlich werden drei Fallbeispiele transnationaler Verwandtschaftsbeziehungen und der damit verbundenen Transferleistungen beschrieben. Die beiden Männer unter den drei ausgewählten Pioniermigranten haben, nachdem sie ihre Verpflichtungen gegenüber Eltern, etwaigen eigenen Kindern und Geschwistern erfüllt haben, auch einzelne Kinder ihrer Schwestern unterstützt. In diesem Sinne kann gezeigt werden, dass die matrilineare Verwandschaftslogik, die im vorkolonialen Süden Ghanas weit verbreitet war und die vom europäischen Modell der bilateralen Kernfamilie historisch überlagert wurde, auch unter den Bedingungen transkontinentaler Migration weiterhin eine Bedeutung für verwandtschaftliche Umverteilungsprozesse spielt. Darüber hinaus belegen die Fallstudien, dass in vielen Fällen die Verwandten der Migranten Kettenmigration der Gewährung von Investitionskapital zur Gründung eines Unternehmens in Ghana vorzogen.

Eine Problematik, die an verschiedenen Stellen thematisiert wird, ist die Beziehung zwischen moralischer und zweckrationaler Aspekte im Rahmen von transnationalen Verwandtschaftsbeziehung. Allgemein wird festgestellt, dass in der Mehrzahl der Fälle die Motive unentschieden bleiben. Nur in problematischen oder ungewöhnlichen Situation mussten die Akteure diese beiden möglichen Kalküle analytisch trennen und gegeneinander abwägen. Insgesamt zeigen sich Verwandtschaftsbeziehungen als so flexibel, dass sich sehr verschiedenartige und unterschiedlich motivierte Transaktionen in ihrem Rahmen vollziehen lassen. Weil die Unterstützung von Verwandten in Ghana immer auch Abhängigkeiten und Verpflichtungen schafft, über die sich wiederum transnationale Handlungen initiieren lassen, wirkt sie sich oft selbstverstärkend auf die transnationale Inklusion der Migranten aus.
Das sechste Kapitel befasst sich mit dem Statusparadoxon der Migration. Dieses referiert auf eine lebensweltlich konstituierte Statusinkonsistenz, die vielfach mit Formen transkontinentaler Migration von Ghanaern einhergeht. Einerseits bezeichnet das Statusparadoxon der Migration die gleichzeitige und beibehaltene Integration der Migranten in zwei nationale Statussysteme mit divergierenden Statuszuschreibungen. Andererseits verweist es auf die transnationale und paradoxe Verbindung dieser beiden Statusidentitäten: Der Statusverlust im Zuwanderungsland geht mit einem Gewinn von Status im Herkunftsland einher. Das Statusparadoxon referiert auf eine normative Vorstellung von Statuskonsistenz, die sich vor allem auf die Erwartung eines engen Zusammenhangs von Bildungsabschlüssen, Einkommen und Stellung in der Berufshierarchie innerhalb eines Nationalstaates bezieht. Das Statusparadoxon, als originär transnationales Phänomen, fordert diese Konstruktion heraus und bleibt gleichzeitig auf sie bezogen.

In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass Schulbildung nach westlichem Vorbild sich über einen Diskurs legitimiert, der besagt, dass diejenigen, die in den nationalen Bildungsinstitutionen erfolgreich sind, Positionen in der Gesellschaft übernehmen können, die gleichermaßen zum kollektiven Fortschritt des Landes als auch zu dem individuellen Wohlergehen der jeweiligen Personen beitragen. Aufgrund der Zentralität dieser Form der Legitimation für das Schulsystem und, vermittelt darüber, für die Legitimation moderner Staatlichkeit scheint sie sich nicht einfach durch empirische Gegenevidenzen, wie sie im Fall Ghanas durch die Entwertung der Bildungsabschlüsse während der langjährigen Krise offensichtlich wurden, widerlegen zu lassen. Die Abweichung von den Normen des „modernen Bildungsdispositivs“ erzeugte bei Ghanaern mit mittleren und gehobenen Schulabschlüssen vielfach das Gefühl von problematischer Statusinkonsistenz, auch wenn diese in den 1970er und 1980er Jahren in Ghana Normalität war.

Historisch wird dargestellt, wie sich seit dem späten 18. Jahrhundert das „moderne Statusdispositiv“ in Ghana zusammen mit Schulen, dem Kolonialstaat und Beschäftigungsmöglichkeiten im „modernen Sektor“ verbreitete.

Am Beispiel des Burgers, einer migrationsspezifischen ghanaischen Variante der sozialen Figur des Parvenüs, werden die performativen und wissenssoziologischen Komponenten der Konstruktion und Aufrechterhaltung von Mittelklasse-Statusidentitäten von transkontinentalen Migranten in Ghana beschrieben. Der Statusgewinn jener Arbeitsmigranten, für die das Statusparadoxon der Migration gilt, hängt davon ab, dass ihre transnationale Statusinkonsistenz in Ghana interaktiv unsichtbar gemacht wird. Es wird argumentiert, dass das verbreitete Nichtwissen in Ghana über die Art der Beschäftigung der Migranten und deren soziale Positionierung in den Zuwanderungsländern eine Form personalisierten Nichtwissens ist, die nur auf der Basis eines allgemeinen Wissens über die Strukturen des Statusparadoxons überhaupt aufrechterhalten werden kann. Das Schweigen über bestimmte Aspekte des Lebens in Westeuropa erfordert seitens der relevanten Anderen der Migranten in Ghana ein Minimum an Information darüber, welche Fragen aus welchen Gründen ausgespart werden müssen, um die Statusidentität der Arbeitsmigranten nicht zu beschädigen. Für die interaktive Aufrechterhaltung des Status der Migranten in Ghana spielen soziale und ökonomische Abhängigkeiten, Möglichkeiten der Konvertierung von ökonomischem in soziales Kapital sowie Höflichkeitsnormen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus werden Rezeptionssperren beschrieben mittels derer die diskursive Kopplung von Migration, sozialem Aufstieg und Erfolg gegen Falsifikation immunisiert wird. Abweichende Beispiele, von denen es in Ghana zahlreiche gibt, werden sozial marginalisiert oder den unzureichenden Bemühungen der erfolglosen Migranten zugerechnet. Die Legitimation des Statusgewinns der Migranten, es aufgrund von Leistung und Findigkeit „zu etwas gebracht zu haben“, wird zum Problem im Fall des Scheiterns. Zu versagen, wo andere behaupten aufgrund eigener Leistung erfolgreich gewesen zu sein, wird zum Makel individueller Unzulänglichkeit.

Im siebten Kapitel wird argumentiert dass sich das transnationale Statusparadoxon nicht lösen, sondern nur prozessieren lässt. In diesem Zusammenhang werden drei soziale Prozessierungen vorgestellt: 1. Das Narrativ der Rückkehr, 2. das Wohlstands- und Erfolgsevangelium charismatischer Christen und 3. diasporische Identitäten. Grundsätzlich wird hervorgehoben, dass zwischen den beschriebenen Phänomenen und dem Statusparadoxon der Migration eine lose funktionale Beziehung besteht, die lediglich auf die Existenz von Wechselwirkungen verweist, diese Phänomene aber weder erschöpfend beschreibt noch sie erklärt.

Das Narrativ der Rückkehr, das unter ghanaischen Migranten sehr verbreitet ist, ist ein meta-kultureller Diskurs, der auf eine sehr allgemeine Erfahrung von Arbeitsmigration verweist und innerhalb dessen eine Temporalisierung des Statusparadoxons vorgenommen werden kann. Die Vorstellung der Rückkehr öffnet einem zeitlichen Horizont, vor dem die in der Gegenwart erlebten Inkonsistenzen und Widersprüche als vorübergehend beschrieben werden können, unabhängig davon als wie dauerhaft sie sich faktisch erweisen. Als zweite Prozessierung wird das Wohlstands-und Erfolgsevangelium charismatischer Christen in Berlin beschrieben. In diesem Diskurs werden religiöse Praktiken als Mittel zu wirtschaftlichem und sozialem Erfolg dargestellt. Im Kontext transkontinentaler Migration verweist das Wohlstands- und Erfolgsevangelium einerseits auf den bereits realisierten Statusgewinn, der mit der Migration von Ghana nach Europa verbunden ist, und erklärt andererseits die Statusverluste im Zuwanderungsland als vorübergehende Störungen auf dem Weg zu einem umfassenderen Erfolg. Die Gegenwart wird somit als unglückliche Überlagerung des Ungleichzeitigen dargestellt. Die negativen Aspekte der Vergangenheit sind noch nicht ganz überwunden, während die Zukunft, in der die Probleme der Gegenwart gelöst sein werden, noch nicht ganz erreicht ist. In diesem Sinne kreiert das Wohlstands- und Erfolgsevangelium charismatischer ghanaischer Christen in Berlin einen „Syntax der Disjunktion“, der auf eine ambivalente Gegenwart angewandt werden kann und innerhalb dessen sich Widersprüche diskursiv in ein Nacheinander überführt werden können.

Als dritte Form der Prozessierung des Statusparadoxons werden diasporische Identifikationen und die mit ihnen einhergehenden Praktiken beschrieben. In diesem Zusammenhang sind transnationale Wohltätigkeitsrituale von Migrantenorganisationen von besonderer Bedeutung. Sie schaffen soziale Arenen, sowohl in Deutschland als auch in Ghana, innerhalb derer die Migranten sich als ökonomisch erfolgreich und sozial nützlich präsentieren und wahrnehmen können. Ähnliche Funktionen erfüllen Treffen mit ghanaischen Politikern und „traditionellen“ Autoritäten in den Zuwanderungsländern, die im letzten Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen haben. Der in Ghana und anderswo florierende Diskurs der Diaspora erlaubt eine Versöhnung der Herkunftsidentität mit der Migrationssituation und schafft Anschlussstellen für transnationale Aktivitäten. Darüber hinaus lassen sich über den Diasporadiskurs Statuszuschreibung importieren, die sinnhaft auf den sozial-räumlichen Kontext Ghanas bezogen sind. Allerdings erweisen sich diese Relokalisierungen von Statusarenen als zu zeitlich und räumlich begrenzt, als dass sie die Erfahrungen des Statusverlustes im Zuwanderungsland dauerhaft überwinden könnten. In diesem Sinne handelt es sich sowohl bei ihnen als auch den Temporalisierungen des Statusparadoxons der Migration um Prozessierungen und nicht um Lösungen der beschriebenen Problematik.

Go to Editor View