Irish/ness is all around us: the Irish language and Irish identity in Catholic West Belfast

Olaf Zenker
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Date of Defense |  Tag der Verteidigung
16.12.2008

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Richard Rottenburg

OPAC

German summary | Deutsche Zusammenfassung

Den Ausgangspunkt dieser Studie bildet die Kombination aus einer spezifischen Unzufriedenheit mit dem in der Ethnologie weitgehend akzeptierten Grundmodell von Ethnizität[1] und einer empirischen Beobachtung im Hinblick auf irische Identität im katholischen Teil West Belfasts (Nordirland). Im Folgenden skizziere ich kurz diesen Ausgangspunkt und leite daraus die Suchbewegung dieser Arbeit ab, bevor ich die Entwicklung des Gesamtarguments innerhalb der verschiedenen Kapitel nachzeichne.

Wie ich im Rahmen einer ausführlichen Diskussion von Ethnizitätstheorien in Kapitel 2 nachweise, ist das paradigmatische Grundmodell von Ethnizität im Wesentlichen von einer Argumentationsfigur dominiert, die ich als „Konstruktivismus im engeren Sinne“ bezeichne. Als locus classicus für diese Argumentationsfigur wird üblicherweise Barths Einleitung [1969a] zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband Ethnic Groups and Boundaries [1969b] angeführt. Dort argumentiert Barth, dass Akteure ihre ethnischen Identitäten in der Interaktion mit Gruppenmitgliedern und Nicht-Mitgliedern konstruieren, indem sie nur diejenigen ihrer kulturellen Praktiken selektieren und als ethnische Marker repräsentieren, die diese Akteure innerhalb der Gruppe teilen, während diese Praktiken sie zugleich von Nicht-Mitgliedern unterscheiden. Barth schlägt also nicht nur vor, ethnische Identitäten generell als Produkte sozialer Praktiken anzusehen (diese Argumentationsfigur nenne ich “Konstruktivismus im weiteren Sinne“), sondern argumentiert zudem, dass die entscheidenden Prozesse eher auf der Ebene der repräsentierenden Praktiken anzusiedeln sind, welche die „ethnische Grenze“ ziehen, als auf der Ebene der darin repräsentierten Praktiken, dem „kulturellen Zeug“ (Barths Begriff). Wie ich weiter zeige, hat sich dieser Konstruktivismus (im engeren Sinne) in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zum dominanten Paradigma innerhalb der Ethnizitätsforschung entwickelt. Dabei ist eine Radikalisierung zu beobachten, die häufig postuliert, alles, was letztlich zähle, seien Repräsentationen von vorgeblichen kulturellen Differenzen, unabhängig davon, ob diese Differenzen auch tatsächlich existierten oder nur imaginiert seien. In diesem Spektrum verschiedener Positionen des Konstruktivismus (im engeren Sinne) wird „das kulturelle Zeug“ de facto als vernachlässigbar theoretisiert, indem es entweder wie von Barth als gegebenes Repertoire potenzieller ethnischer Marker einfach vorausgesetzt wird oder von radikaleren Konstruktivisten als irrelevant abgetan wird, da ja angeblich nur zähle, was Akteure entsprechend ihrer Repräsentationen (vorgeblich) glauben.

Wie ich jedoch argumentiere, erscheint diese theoretische Vernachlässigung der tatsächlichen Kultur für die Konstruktion (im weiteren Sinne) von ethnischen Identitäten als voreilig. Denn es ist immerhin möglich, dass das, was im Hinblick auf Kultur tatsächlich der Fall ist, einen Einfluss darauf hat, was Akteure glauben und repräsentieren. Mit anderen Worten, die Beziehung zwischen Repräsentationen und Praktiken sollte eher empirisch bestimmt als im Vorfeld theoretisch beschlossen werden. Darüber hinaus unterhalten Akteure ein vielfältigeres Spektrum an propositionalen Einstellungen als bloß „glauben/überzeugt sein dass“ und dieser Beobachtung werden weder Barth noch radikalere Konstruktivisten gerecht: Barths Akteure selektieren und repräsentieren einfach nur bestehende kulturelle Praktiken und sind dabei offenkundig überzeugt, dass sie auch tun, was sie repräsentieren. Demgegenüber bildet der Anschein von „Glaube“ an die Richtigkeit von Repräsentationen den definitorischen Kern radikalerer Ansätze im Konstruktivismus, von dem sich die Vernachlässigbarkeit tatsächlicher Kultur entsprechend des Thomas-Theorems überhaupt erst ableitet.

Vor dem Hintergrund dieser kurz skizzierten Unzufriedenheit mit dem paradigmatischen Ethnizitätsmodell begegnete mir im Rahmen meiner vierzehnmonatigen Feldforschung 2003-2004 im katholischen West Belfast die lokale Revitalisierungsbewegung der irischen (d.h. gälischen) Sprache. Die irische Sprache weckte dabei mein Interesse nicht nur, weil sie einerseits lokal als wesentliches Merkmal irischer Identität repräsentiert wird und andererseits im Hinblick auf tatsächliche kulturelle Praxis empirisch untersucht werden kann. Vielmehr faszinierte mich darüber hinaus die lokale Sprach-Revitalisierung, gerade weil sie – als ethnizistische Revitalisierung tatsächlicher kultureller Praktiken – durch das Standardmodell des Konstruktivismus (im engeren Sinne) de facto nicht erklärt werden kann. Mit anderen Worten: da für diesen Konstruktivismus kulturelle Praktiken entweder einfach gegeben (Barths Position) oder irrelevant sind (das Credo des radikaleren Konstruktivismus), ist es dieser Argumentationsfigur nicht möglich, eine theoretisch fundierte Antwort auf die Frage zu geben, warum sich Akteure überhaupt bemühen sollten, aus ethnizistischen Gründen ihre tatsächlichen kulturellen Praktiken zu verändern und nicht bloß ihre Repräsentationen. Dies bedeutet freilich nicht, dass Erklärungen von revitalistischem Verhalten grundsätzlich mit Konstruktivismus (im engeren Sinne) unvereinbar seien. Aber derartige Erklärungen stehen notwendig außerhalb des beschriebenen Grundmodells von Ethnizität, da letzteres keine brauchbare theoretische Grundlegung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen repräsentierenden Praktiken einer vorgeblich eigenständigen ethnischen „Kultur“ einerseits und verschiedentlich repräsentierbaren, aber tatsächlich realisierten kulturellen Praktiken andererseits bereithält. Vor diesem Hintergrund setzt sich diese Studie zum Ziel, das empirisch beobachtbare Verhältnis zwischen Repräsentationen und Praktiken im Hinblick auf das Wechselverhältnis von irischer Sprache und irischer Identität im katholischen West Belfast zu analysieren, um dabei nicht nur diesen Einzelfall zu erklären, sondern zugleich einen allgemeingültigen Mechanismus ethnizitistischer Revitalisierungen abzuleiten.

Dieser Suchbewegung folgend beginnt diese Arbeit in Kapitel 1 mit der Beschreibung eines Spaziergangs im katholischen West Belfast, die zugleich als erste Einführung in mein „Feld“ und als vorläufige Orientierung bezüglich der Allgegenwart lokaler Ethnizitäten zu verstehen ist. Ich kennzeichne dabei „das katholische West Belfast“ als segregierten Raum, dessen Grenzen durch physische Marker (u.a. Fahnen) gekennzeichnet sind, die einen katholischen Hintergrund, eine ethnische Selbstidentifikation als irisch sowie die politischen Zielsetzungen des irischen Nationalismus und Republikanismus als weitgehend deckungsgleiche Identifikationen akzentuieren. Daneben beschreibe ich die lokale Klassenstruktur, wobei sich zeigt, dass dieser Teil der Stadt als Arbeiterklasse-Viertel gelten kann, auch wenn eine beträchtliche interne Variation vorherrscht und viele Mitglieder der Mittelklasse ebenfalls dort leben. Ich hebe hervor, dass die katholische Kirche sowohl durch ihr eigenständiges Schulsystem als auch durch die Kontrolle der religiösen Praxis weiterhin einen beträchtlichen Einfluss auf die lokale Bevölkerung ausübt, wenngleich die Kirche als eine den status quo stützende Institution von sehr vielen Gläubigen in West Belfast mit Argwohn betrachtet wird. Schließlich beschreibe ich eine Reihe von irischen Sprachorganisationen, die sich v.a. in dem Teil West Belfasts niedergelassen haben, in dem ich selbst gewohnt habe. Dort befindet sich auch eine Wandmalerei, die den titelgebenden Slogan für diese Arbeit beinhaltet: „Irish is all around us“.

Vor dem Hintergrund dieser ersten Kennzeichnung des Forschungsfeldes befasst sich das Kapitel 2 systematisch mit dem analytischen Ansatz, der Methodologie sowie der Gesamtstruktur der Arbeit. Zunächst entwickle ich das oben angerissene Argument, welches sich für die Ausweitung des Konstruktivismus (im engeren Sinne) hin zu einem Model ausspricht, welches nicht mehr grundsätzlich Repräsentationen von „Kultur“ gegenüber tatsächlichen kulturellen Praktiken privilegiert, sondern stattdessen die empirische Erforschung des variablen Verhältnisses zwischen beiden Ebenen ermöglicht. Darauf aufbauend entwerfe ich den dieser Studie zugrundeliegenden analytischen Rahmen, welcher drei Dimensionen umfasst: erstens, die Beziehung zwischen repräsentierenden Praktiken einer ethnischen „Kultur“ und verschiedentlich repräsentierbaren kulturellen Praktiken, die sich zwischen den beiden idealtypischen Polen „Selektion“ (d.h. Repräsentationen von kulturellen Praktiken, die aus Sicht der Akteure tatsächlich gegeben sind) und „Prätention“ (d.h. Repräsentationen von kulturellen Praktiken, die aus Sicht der Akteure nur unzureichend gegeben sind) bewegt; zweitens, die potenziell asymmetrische Beziehung zwischen individueller Agency und verschiedenen strukturellen Kontexten, innerhalb derer konkrete Praktiken im Sinne zweckrationaler, wertrationaler, emotionaler und traditionaler Motive analysiert werden können; und drittens, biographische Zeit.

Die nachfolgende Methodologie-Diskussion kennzeichnet kurz meinen Feldzugang, meine wandelnden Rollen im Feld, die Bedeutung von irischer und englischer Sprache im Forschungsprozess sowie die insgesamt verwendeten Methoden. Im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie Quellenkritik im Hinblick auf gegenwärtige Darstellungen vergangener Ereignisse durchzuführen ist, argumentiere ich, dass die quellenkritische Interpretation derartiger Daten unabhängig vom Forschungsinteresse immer sowohl den gegenwärtigen Repräsentationsprozess als auch die tatsächliche Vergangenheit rekonstruieren muss, da eine Interpretation des einen Aspekts unvermeidlich eine Interpretation des jeweils anderen Aspekts impliziert. Diese methodologische Position betont dabei entsprechend des übergeordneten Arguments dieser Arbeit die Notwendigkeit, sowohl repräsentierende als auch darin repräsentierte Praktiken in ihrer wechselseitigen Verschränkung zu analysieren, und sie dabei in soviel zusätzlichen Kontextinformationen einzubetten, wie ethische Überlegungen es erlauben.

Vor dem Hintergrund dieser beiden einführenden Kapitel des Prologs präsentieren die folgenden acht Kapitel meine Daten und entwickeln dabei das übergeordnete Argument. Da ich letztendlich das Wechselverhältnis von irischer Sprache und irischer Identität im katholischen West Belfast in den Blick nehmen möchte, betrachte ich zunächst jedes der beiden Phänomene für sich allein genommen in eigenständigen Hauptteilen, bevor ich im abschließenden Epilog (Kapitel 11) beide Argumentationslinien zusammenführe. Diese beiden Hauptteile mit jeweils 4 Kapiteln folgen dabei derselben Struktur: das je erste der vier Kapitel führt zunächst in den jeweiligen Bereich „irische Sprache“ bzw. „irische Identität“ ein, indem es relevante Hintergrundinformationen anhand einer exemplarischen Situation entwickelt. Das je zweite der vier Kapitel untersucht die Biographien von zehn ausgewählten Schlüsselinformanten im Hinblick auf das entsprechende Hauptthema. Aufbauend auf diesen fokussierten Biographien analysieren die jeweils verbleibenden zwei Kapitel das Thema „irische Sprache“ bzw. „irische Identität“ anhand der drei Dimensionen des analytischen Rahmens. Die Beziehung zwischen den individuellen Lebensgeschichten einerseits und den je zwei Analyse-Kapiteln andererseits wird dabei im Sinne einer „wechselseitigen Substanziierung“ aufgefasst: die Analysen betten die Lebensgeschichten in Erklärungszusammenhänge ein und versehen sie dabei mit weiterer Substanz, während die Biographien zugleich die verallgemeinernden Narrative der Analysekapitel mit Leben füllen und dadurch substanziieren.

Dieser Struktur folgend beginnt der erste Hauptteil zur irischen Sprache im katholischen West Belfast mit Kapitel 3, wo der Leser anhand des Beispiels des Sprach-und Kulturzentrums „Cultúrlann MacAdam Ó Fiaich“ allgemein in die lokale Sprachszene eingeführt wird. Kapitel 4 zeichnet für zehn Schlüsselinformanten nach, wie jeder/jede dieser Personen seinen/ihren Weg in die irische Sprache fand. Da der Älteste dieser Informanten zur Zeit der Befragung 63 Jahre alt war, decken diese Biographien einen Zeitraum seit den 1940er Jahren ab. Wie sich zeigt spielten bei dieser Entwicklung hin zum Irischsprecher sowohl individuelle Faktoren (häufig bedingt durch lebenszyklische Entwicklungen) als auch breitere soziale Veränderungen eine Rolle, insbesondere der jüngere Nordirlandkonflikt seit 1969, die sogenannten „Troubles“.

Vor diesem Hintergrund beginnt die eigentliche Analyse in Kapitel 5, in dem ich eine Zeitgeschichte der lokalen irischen Sprachentwicklung rekonstruiere. Dabei gehe ich dem sich entfaltenden Wechselspiel zwischen individueller Agency und strukturellen Kontexten (Dimension 2) im Verlauf der biographischen Zeit meiner Informanten (Dimension 3) nach, d.h. beginnend in den 1950er Jahren. Nachdem ich im Rahmen einer „Vorgeschichte“ die strukturellen Ausgangsbedingungen der 1950er Jahre entworfen habe, argumentiere ich, dass unter den für die irische Sprache widrigen Bedingungen des nordirischen Staates nur ein „machtvoller“ Aktivismus zu einer lokalen Sprach-Revitalisierung führen konnte. Deren Entwicklung entwerfe ich dann als eine Folge aufeinander aufbauender Agency-Typen, die ich metaphorisch mit den Rollen des „Propheten“, „Paten“, „Rebellen“ und der „Prostituierten“ identifiziere: die „Propheten“ der lokalen Sprachbewegung inspirierten unzählige zukünftige Irischsprecher durch ihren puristischen und kompromisslosen Sprachidealismus, der lokale politische und religiöse Grenzen überschritt (und überschreitet). Dieser „Prophezeiung“ folgend, machten sich seit den 1960er Jahren die „Paten“ an die pragmatische Umsetzung dieses Idealismus, indem sie ihre eigene irischsprachige Siedlung, irischsprachige Schule und zahlreiche andere Sprachprojekte erfolgreich gegen den Widerstand des Staates durchsetzten. Obwohl die damit einhergehende Ausweitung des lokalen Sprachangebots auch ihre eigene Nachfrage an Sprachaktivitäten mitproduzierte, war es dann v.a. dem Nordirlandkonflikt zu verdanken, dass für eine wachsende lokale Minderheit ihre eigene irische Identität derartig an Bedeutung gewann, dass sie es als ihre Pflicht ansahen, ihre „Muttersprache Irisch“ zu erlernen. Dieser lokale Zuwachs an tatsächlich gesprochener irischer Sprache wurde dabei häufig von außen als intrinsisch rebellischer Akt wahrgenommen, wenngleich tatsächlich nur die politischen „Rebellen“ in der IRA und in Sinn Féin ihren Sprachaktivismus so begriffen, während kulturelle „Rebellen (wider Willen)“ sich redlich bemühten, genau diesen scheinbaren Automatismus zwischen irischer Sprache und irisch-nationalistischer Politik zu bekämpfen. Der Friedensprozess seit den 1990er Jahren führte dann zunehmend zu einer „Normalisierung“ der Sprachsituation in West Belfast, so dass es schließlich möglich wurde, mittels der irischen Sprache einen Lebensunterhalt zu bestreiten, was von manchen Sprachpuristen als „Prostitution“ der irischen Sprache gebrandmarkt wurde und wird. Im Zuge dieser zeitgeschichtlichen Herleitung der lokalen Sprach-Revitalisierung zeige ich, dass dabei die wertrationale Motivation, die „eigene Muttersprache Irish“ zu erlernen, von entscheidender Bedeutung war.

Aufbauend auf dieser Analyse, befasst sich dann Kapitel 6 abschließend mit der komplexen Beziehung zwischen Repräsentationen und Praktiken der irischen Sprache (Dimension 1), wobei ich diesem Verhältnis auf drei Analyseebenen nachgehe. Zunächst behandle ich die Mikro-Dynamik des tatsächlichen Sprachgebrauchs, indem ich zeige, wie situative und konversationelle Formen des „code-switching“ ebenso wie die Definition des „wahren“ irischen Codes selbst von einer fundamentalen Spannung zwischen Sprachpurismus und -pragmatismus gekennzeichnet sind. Anschließend betrachte ich die Meso-Ebene der lokalen Sprach-Revitalisierung, auf der der umstrittene Vorwurf verhandelt wird, Sinn Féin und Republikaner insgesamt hätten diese Sprachbewegung für ihre eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert. Schließlich analysiere ich die irische Sprache als generalisierte Praktik, wobei ich drei Makro-Positionen im Hinblick auf die Frage unterscheide, wie die lokal verbreitete Repräsentation der irischen Sprache als „unserer Muttersprache“ interpretiert wird: während Rechtsaktivisten diese Vorstellung insgesamt ablehnen, hängen ihr sowohl Sprachethnizisten als auch Sprachnationalisten an. Allerdings fordern Sprachethnizisten die Trennung zwischen Sprachaktivismus und nationalistischer Politik, während Sprachnationalisten beide Aspekte als untrennbar repräsentieren. Trotz dieses Unterschieds stimmen Sprachethnizisten und –nationalisten jedoch darin überein, die Repräsentation des Irischen als „unserer Muttersprache“ als klaren Fall von Prätention aufzufassen. Der Wunsch, diese Prätention – d.h. die Überzeugung unter Akteuren, dass diese Repräsentation weitgehend etwas behauptet, was in der tatsächlichen kulturellen Praxis nur unzureichend der Fall ist – aus wertrationalen Motiven in eine Selektion zu überführen, wird abschließend als treibende Kraft hinter der lokalen Sprach-Revitalisierung insgesamt beschrieben.

Der zweite Hauptteil zur irischen Identität im katholischen West Belfast beginnt mit Kapitel 7, in dem ich am Beispiel sogenannter „Gaelic games“ dem methodologischen Problem nachgehe, wie sich Identität empirisch identifizieren lässt. Im Zuge dieser Diskussion identifiziere ich diese „Gaelic games“, irische Musik sowie irischen Tanz (neben der irischen Sprache) als exemplarische Bereiche, in und an denen sich lokal die Konstruktion von Irischsein vollzieht. Entsprechend bilden diese drei Bereiche den weiteren Fokus des zweiten Hauptteils. Wie bereits Kapitel 4 so begleitet auch Kapitel 8 dieselben zehn Schlüsselinformanten auf einem Teil ihres rekonstruierten Lebensweges, diesmal jedoch im Hinblick auf Ethnizität. Wie sich zeigt, wurden die meisten Informanten wesentlich durch den Ausbruch der Troubles und die folgenden Jahrzehnte des offenen Konflikts geprägt. Während sich viele dabei immer mehr mit ihrer eigenen irischen Identität identifizierten, entwickelten andere eher eine ethnische Identitätskrise.

Vor diesem Hintergrund nimmt die eigentliche Analyse ihren Anfang in Kapitel 9, wo eine Zeitgeschichte des lokalen Irischseins im Hinblick auf das sich entfaltende Wechselspiel zwischen individueller Agency und strukturellen Kontexten (Dimension 2) im Verlauf der biographischen Zeit meiner Informanten (Dimension 3) rekonstruiert wird. Zunächst skizziere ich den Status, den Irischsein seit der Gründung „Nordirlands“ insgesamt einnehmen konnte und musste. Bereits sehr früh etablierte sich dabei als dominante Ideologie der vom Staat unterstützte britische, protestantische Unionismus, der Irischsein eher marginalisierte. Zugleich erlaubte diese Spaltung der Gesellschaft aber auch die Entstehung einer katholischen Parallelwelt, in der nicht nur die ethnische Selbstzuschreibung „irisch“ aufrechterhalten wurde, sondern in der auch eine ganze Reihe interner struktureller Kontexte reproduziert wurde.

Ausgehend von dieser allgemeinen Beschreibung wende ich mich dann den drei exemplarischen Bereichen „Gaelic games“, irischer Musik und irischem Tanz zu. Wie ich im Hinblick auf die lokalen Besonderheiten West Belfasts zeige, ist die tatsächliche Praxis irischer Sportarten seit den 1950er Jahren auf einem hohen und weitgehend konstanten Niveau geblieben, auch wenn eine zunehmende Medienberichterstattung und kommerzielle Vermarktung diese „Gaelic games“ noch zusätzlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Bezüglich irischer Musik ist zu beobachten, dass auch Nordirland vom Irland-weiten „Folk-Revival“ der 1960er Jahre angesteckt wurde. Angesichts der Troubles wurde irische Musik dabei jedoch lokal mit zusätzlichen politischen Bedeutungen aufgeladen und entwickelte sich zudem in eine dominante Unterhaltungsform in hochgradig segregierten Stadtvierteln, die ihre Einwohner aus Angst vor drohender Gewalt nur selten verließen. Seitdem sich im Zuge des Friedensprozesses der 1990er Jahre die Situation vor Ort deutlich entspannt hat, büßte auch irische Musik etwas an Attraktivität ein. Schließlich zeige ich für irischen Tanz, dass dieser in Form kompetitiven Solotanzes seit jeher lokal ein beliebtes Hobby v.a. für Mädchen darstellte, welches durch weltweit gefeierte Tanzshows wie „Riverdance“ noch weiter an Attraktivität gewonnen hat. Bezogen auf irische Gruppentänze ist zu beobachten, dass zuvor äußerst beliebte “céilí dances” während der Troubles nahezu verschwanden, während sogenannte „set dances“ seit den 1980er Jahren eine Irland-weite Revitalisierung erfahren haben, die auch in West Belfast ihre Spuren hinterließ.
Im Zuge meiner Diskussion dieser drei exemplarischen Bereiche argumentiere ich, dass neben anderen Motivationen durchgängig auch ein starkes Element der Gewohnheit oder der traditionalen Motivation eine wesentliche Rolle dabei spielte, meine Informanten zu einer aktiven Teilhabe an „Gaelic games“, irischer Musik und irischem Tanz zu bewegen. Denn wie ich zeige, haben zahlreiche strukturelle Kontexte über die vergangenen Jahrzehnte hinweg allesamt ein ähnliches „Identitätsnetz“ in West Belfast ausgeworfen, welches es durch seine netzartige Prädispositionsstruktur wahrscheinlich machte, dass nachfolgende Generationen ebenfalls in „irische Kultur“ involviert wurden. Diese Reproduktion von Irischsein in Praktiken und Repräsentationen wird dabei abschließend als intern durch den Katholizismus und extern durch den nordirischen Staat stabilisiert ausgewiesen.

Aufbauend auf dieser Analyse, behandelt dann Kapitel 10 abschließend die komplexe Beziehung zwischen Repräsentationen und Praktiken des Irischseins (Dimension 1). Zunächst konzentriere ich mich auf die Frage, was jemanden aus Sicht meiner Informanten zum Iren macht. Dabei zeigen sich insbesondere drei Kriterien: erstens, in Irland geboren zu sein (d.h. Geburtsort), wobei explizit die gesamte Insel Irland gemeint ist; zweitens, Teil einer eigenständigen „irischen Kultur“ zu sein, welche u.a. „Gaelic games“, irische Musik, irischen Tanz und die irische Sprache umfasst; und drittens, die Selbstidentifikation als Ire. Entgegen meiner eigenen Erwartung werden jedoch sowohl „gemeinsame Abstammung“ als auch ein katholischer Hintergrund als notwendige Kriterien zumeist abgelehnt.

Im zweiten Schritt untersuche ich, wie lokale Protestanten im Hinblick auf ihre Ethnizität von meinen katholischen Informanten gesehen werden. Diese Frage ist insofern interessant als dass Protestanten eine „klassifikatorische Anomalie“ darstellen, indem sie über denselben Geburtsort wie Katholiken verfügen, während sie zumeist keine „irische Kultur“ praktizieren und sich selbst auch nicht als „Iren“ sehen. Wie sich zeigt insistiert eine Vielzahl meiner Informanten darauf, dass Protestanten dennoch ebenfalls Iren seien, da diese gleichermaßen Anspruch auf „irische Kultur“ hätten. Zudem mache ein Praktizieren dieser „irischen Kultur“ jemanden nicht wirklich „mehr“ zum Iren, sondern man fühle sich nur persönlich als „mehr“ irisch. Mit anderen Worten: meine Informanten behandeln das Kriterium des „Geburtsorts“ als offenkundig wichtiger als eine praktische Teilhabe an „irischer Kultur“. Nichtsdestotrotz ignorieren sie dabei ihr drittes Kriterium (Selbstidentifikation), was sich damit erklären lässt, dass die Argumentation des irischen Nationalismus und Republikanismus letztlich zwingend erfordert, dass Protestanten ebenfalls Iren sind.

Vor dem Hintergrund dieser Diskussion ergibt sich die Notwendigkeit einer Ausweitung meines bisherigen Ethnizitätsmodels, welches sich bislang nur mit der Beziehung zwischen repräsentierenden Praktiken einer ethnischen „Kultur“ und verschiedentlich repräsentierbaren kulturellen Praktiken befasste. Ich schlage hierbei ein umfassenderes Ethnizitätsmodell vor, das auf der Kausallogik von Autochthonie beruht. In dieser Kausallogik werden die drei Komponenten „Individuum“, „Territorium“ und „Gruppe“ zeitlich situiert und durch die Kausalbeziehungen „Geburtsort/Wohnort“, „Gruppenmitgliedschaft mit Landrechten“ sowie „gemeinsame Kultur/Abstammung“ miteinander verbunden. Hierbei können alle Kausalbeziehungen – nicht nur „gemeinsame Kultur“, wie in dieser Arbeit besonders fokussiert – im Hinblick auf die Beziehung zwischen Repräsentationen und Praktiken analysiert werden. Ich unterscheide zwischen den beiden Idealtypen „individualisierte Autochthonie“ und „kollektivierte Autochthonie“ mit Blick darauf, wie beide prototypisch dieselben Bestandteile durch entgegengesetzte Kausalrichtungen miteinander verbinden: individualisierte Autochthonie konzeptualisiert „gemeinsame Kultur/Abstammung“ als wahrscheinliche, aber nicht notwendige Folge eines gemeinsamen „Geburtsorts/Wohnorts“, während kollektivierte Autochthonie diese Kausalität umkehrt. In Übereinstimmung mit dem unter meinen Informanten vorherrschenden Idealtyp von Irischsein (d.h. individualisierte Autochthonie) zeige ich schließlich, dass ihre eigene praktische Teilhabe an den drei exemplarischen Bereichen „Gaelic games“, irische Musik und irischer Tanz tatsächlich von vielen Informanten als Folge ihrer Geburt in Irland angesehen wird, und nicht als Ergebnis eines wertrationalen Ethnizismus (wie bei der irischen Sprache). Dabei wird offenkundig, dass die meisten Informanten die drei lokal repräsentierten Kriterien „Geburtsort Irland“, „irische Kultur“ und „Selbstidentifikation als Ire“ zumindest im Hinblick auf ihre eigenen Praktiken als offenkundige Fälle von Selektion auffassen, d.h. als Repräsentationen von kulturellen Praktiken, die aus Sicht der Akteure tatsächlich gegeben sind.

Im letzten Kapitel 11, dem Epilog, versuche ich abschließend, die Argumentationslinien der beiden Hauptteile zu integrieren. Ich stelle dabei zunächst fest, dass sich die Daten aus den zwei Teilen zu widersprechen scheinen: der erste Hauptteil suggeriert, dass lokale Irischsprecher die Überzeugung vertreten (die sie dann ja auch praktisch umgesetzt haben), dass sie Irisch lernen und sprechen müssen, um „wirklich“ irisch zu werden; demgegenüber zeigt der zweite Hauptteil eindeutig, dass offenkundig das Gegenteil der Fall ist, dass nämlich entsprechend der Logik individualisierter Autochthonie eine eigenständige „irische Kultur“ bloß als potenzielle Folge davon angesehen wird, dass man aufgrund seines Geburtsorts bereits Ire ist. Zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs schlage ich abschließend jeweils einen allgemeinen und einen spezifischen Mechanismus vor, die im Verbund diese (und andere) ethnizistische Revitalisierung(en) erklären.

Der allgemeine Mechanismus besteht darin, Autochthonie-basierte Ethnizitäten als gleichzeitig kategorisch und prototypisch konstruiert zu entwerfen. Dies erklärt, dass Irischsprechen im katholischen West Belfast vor dem Hintergrund individualisiert-autochthonen Irischseins als nicht „wirklich“ (d.h. kategorisch) jemanden zum Iren machend verstanden wird, während es zugleich möglich ist, sich „persönlich“ (d.h. prototypisch) durch das Praktikzieren dieser „irischen Kultur“ als „mehr“ irisch zu fühlen. Anschließend zeige ich, wie der spezifische Mechanismus die lokalen Praktiken der irischen Sprache, die auf der Prätention des Irischen als der „eigenen Muttersprache“ basieren, in Repräsentationen des Irischseins im katholischen West Belfast integriert. Diese Repräsentationen des Irischseins sind wiederum durch Selektion an tatsächliche kulturelle Praktiken zurückgebunden, welche nicht auf identitätsbezogenen, sondern vielmehr ganz wesentlich auf traditionalen Motivationen beruhen. Dies erlaubt schlussendlich die Beobachtung, dass innerhalb ethnizistischer Revitalisierungen die Prätention im Sinne einer zeitlichen Logik durch die Selektion dominiert wird, und dies umso effektiver und anscheinend „natürlicher“, je mehr letztere auf der traditionalen Motivation struktureller Prädispositionen beruht.

[1] Jenkins [1997:3-15] spricht von dem „basic social anthropological model of ethnicity“.

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