After Corporate Paternalism: Material renovation and social change in times of ruination

Christian Straube
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Date of Defense | Tag der Verteidigung
02.07.2018

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Robert Home

German Summary | Deutsche Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit untersucht die Praktiken, mit denen sich die Bevölkerung der ehemaligen Bergbau-Township Mpatamatu in Luanshya auf dem Kupfergürtel Sambias die von der Mine aufgegebene soziale Infrastruktur neu angeeignet hat. Die Township Mpatamatu als materielle Lebenswelt ist seit der Privatisierung des sambischen Staatskonzerns Zambia Consolidated Copper Mines (ZCCM) 1997 von materiellen und sozialen Zerfallsprozessen geprägt. Mit dem Rückzug der auf ZCCM folgenden privaten Bergbauunternehmen aus Bars, Klubs, Kliniken, Gemeindezentren und Sportstätten wurden jene Gebäude, die bis dahin den privilegierten Status der Bergleute und ihrer Familien markierten, dem Verfall überlassen. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen vereinnahmten Mpatamatus ehemalige soziale Einrichtungen für neue Zwecke.
Ausgangspunkt meiner Arbeit sind die Überlegungen Stolers zu „ruination“ (2008, 2013, 2016), d.h. materiellen und sozialen Zerfallsprozessen in post-kolonialen und post-industriellen Räumen. Stoler richtete die Forschung zu Ruinen neu aus, indem sie das Augenmerk auf die unterschiedlichen Zersetzungsprozesse, die von Ruinen ausgehen, legte. Die Ergebnisse, welche meine fünfzehnmonatige Feldforschung von Juli 2015 bis Oktober 2016 hervorgebracht hat, zeigen, dass Stolers Konzeption von „ruination“ mit dem Fokus auf hinterlassene materielle Überbleibsel und räumliche Ordnungen weiter gedacht werden muss. Mein Blick richtet sich daher nicht auf „die Ruine“ als Quelle von Zerfallsprozessen in Form von „ruination“, sondern darauf was Menschen mit ihnen machen. Beitrag dieser Arbeit ist es, kreative Praktiken, die Neues in einer von Zerfallsprozessen geprägten Umgebung hervorbringen, konzeptionell im Rahmen der Forschung zu „ruination“ anzuerkennen. Meine zentrale Forschungsfrage lautete daher: Wie eignen sich Menschen die materiellen Überreste früherer räumlicher Ordnungen im Kontext von Mpatamatu neu an?
Meine zentrale Forschungsfrage war mit drei weiteren Fragen in Bezug auf die materiellen und sozialen Zerfallsprozesse in der Township Mpatamatu verbunden. Welche spezifischen Zerfallserscheinungen traten in Mpatamatu seit 1997 auf? Welche Praktiken brachten die ehemals vom Bergbauunternehmen geprägte Township wieder in Einklang mit den sich verändernden Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung? Wie wurde die Township neu positioniert hinsichtlich ihrer Stellung in der Stadt Luanshya und darüber hinaus? Um diese Fragen zu beantworten, untersuchte ich die Entstehungsgeschichte von Mpatamatu als Bergbau-Township mit ihrer von der Mine errichteten sozialen Infrastruktur. Ziel der Feldforschung war es, die spezifischen Praktiken zu ergründen, durch die die Gebäude eine neue Funktion innerhalb der Township bekamen.
Der industrielle Kupferabbau in Luanshya wurde 1927 durch das Unternehmen Roan Antelope Copper Mines (RACM) aufgenommen. 1957 wurde die „company town“ (Crawford 1995, 6-7, 151), die bereits eine Bergbau-Township für europäische und eine für afrikanische Angestellte und deren Angehörige umfasste, um Mpatamatu erweitert. Die Township wurde im Zuge des Ausbaus der Kupferproduktion über zwanzig Jahre stetig ausgebaut. Mpatamatu umfasste schließlich sieben Sektionen mit vom Bergbauunternehmen zur Verfügung gestellten Wohnhäusern für über 20.000 Menschen. Nach vierzig Jahren, die vom Paternalismus des Unternehmens gegenüber ihren Angestellten und deren Familien geprägt waren, konzentrierten sich die Minenbetreiber nach 1997 fast ausschließlich auf die Mine als Ort des Kupfererzabbaus. Die sozialen Investitionen außerhalb der Schächte und Gruben wurden schrittweise reduziert, so dass zur Zeit meiner Feldforschung lediglich eine Klinik noch von der Mine betrieben wurde. Dabei handelte es sich um ein Tochterunternehmen des chinesischen Staatskonzerns China Nonferrous Metal Mining (Group) Corporation (CNMC), welches die Mine in Luanshya 2009 übernommen hatte.
Im Folgenden stelle ich den theoretischen und methodischen Rahmen, einen Abriss meiner Feldforschung sowie den Aufbau und die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit dar. Meine Zusammenfassung greift dabei auf Reflexionen und Analysen aus allen vier Kapiteln, der Einleitung und dem Schluss zurück. Die vier Kapitel basieren auf Spannungsverhältnissen ausgewählter Personengruppen, anhand deren schrittweisen Umkehrung ich die Rolle der sozialen Einrichtungen Mpatamatus vor und nach der Neustrukturierung der sambischen Kupferindustrie untersuche. Im Vordergrund dieser Zusammenfassung stehen jedoch Einleitung und Schluss der Dissertation, die den Rahmen der Arbeit bilden.

Methodisches Grundgerüst

Den theoretischen Rahmen dieser Arbeit bilden die erkenntnistheoretischen Reflexionen von Burawoy zu seiner eigenen Feldforschung auf dem Kupfergürtel von 1969 bis 1970 (Burawoy 1998) und Reeds Typologie epistemischer Modi innerhalb der Sozialwissenschaften (Reed 2011). Burawoy erkannte, dass seine ethnografische Arbeitsweise die Prinzipien der „positiven Wissenschaft“, d.h. Reaktivität, Standardisierung, Stabilisierung und Stichproben, verletzte. Er schlussfolgerte, dass die Ethnografie als Methodenkomplex einem erkenntnistheoretischen Gegenpol zuzurechnen sei, der „reflexiven Wissenschaft“. Diese basiert auf einem Dialog auf drei Ebenen: vom Beobachter zum Beobachteten, von lokalen Prozessen zu Kräften außerhalb des Forschungsfeldes und zwischen bestehender Theorie und den auf erhobenen Daten beruhenden theoretischen Schlussfolgerungen. Laut Burawoy folgt dieser Dialog vier Prinzipien: einer „Intervention“ des Ethnografen beziehungsweise der Ethnografin, der Aggregation von sozialen Situationen zu einem sozialen „Prozess“, dem Blick auf soziale Phänomene von der Perspektive ihrer „Strukturierung“ durch externe Kräfte und der „Rekonstruktion“ von bestehender Theorie mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse. Die zentrale Vorgehensweise der reflexiven Wissenschaft ist für Burawoy die von den Sozialanthropologen des Rhodes-Livingstone Institute (RLI) und der Manchester School entwickelte „extended case method“, die soziale Situationen zu Prozessen akkumuliert und deren machtpolitische Durchdringung untersucht. Reed beschreibt die Erkenntnisleistung der reflexiven Wissenschaft als den “interpretativen epistemischen Modus“.
Im Spiegel der der „extended case method“ zugrundeliegenden Vorgehensweise habe ich während meiner Feldforschung folgende Forschungspraktiken angewandt: teilnehmende Beobachtung an und in den Gebäuden von Mpatamatus sozialer Infrastruktur, Interviews und Gespräche mit den Pächtern und Pächterinnen der Gebäude sowie mit Langzeitbewohnern und -bewohnerinnen der Township, Fotodokumentation der Gebäude im Rahmen von geführten Touren mit ehemaligen und aktuellen Nutzern und Nutzerinnen der Gebäude, Kartierung der räumlichen Struktur Mpatamatus,  Archivarbeit zur Geschichte der Township und der Mine in Luanshya, Ndola und London sowie Internetrecherche zur Vervollständigung der Archivarbeit. Alle gesammelten Daten habe ich in einer eigens für meine Feldforschung entwickelten Feldnotizendatenbank digitalisiert.
Meine Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen ließen sich in vier „Erfahrungskohorten“ (Bryceson & Jønsson 2014, 33) einteilen. Sie assoziierten ihre soziale Erfahrung und die materielle Umwelt der Township in Form der sozialen Infrastruktur mit unterschiedlichen Perioden in der Geschichte der sambischen Kupferindustrie: kolonial (1900-1964), kapitalistisch-paternalistisch (1927-1997), staatssozialistisch (1970-1991) und neoliberal (seit 1997).
Die erste Erfahrungskohorte umfasste ehemalige Bergleute. Die ältesten von ihnen nahmen Ende der 1960er Jahre die Arbeit in der Mine von Luanshya auf, jüngere in den 1970er und 1980er Jahren. Ein Großteil dieser Bergleute wurde nach der Insolvenz des ersten Minenbetreibers nach der Reprivatisierung in den frühen 2000er Jahren entlassen. Diese ausschließlich männliche Kohorte besaß ein detailliertes Wissen über das Leben in Mpatamatu als „company town“ mit einer umfassenden sozialen Infrastruktur. Bei diesem Wissen handelt es sich um die Perspektive einer ehemals privilegierten Klasse vor dem Hintergrund ihres sozialen Abstiegs und des materiellen Zerfalls der Township. Die zweite Kohorte bildeten Frauen, die der ersten Kohorte seit den 1970er Jahren nachgezogen waren oder eine Anstellung bei der Mine fanden. Diese Frauen lieferten das Erfahrungsgegenstück aus einer Genderperspektive zur ersten Kohorte. Zur dritten Kohorte zählten die Söhne bzw. registrierten Verwandten der ersten Kohorte. Sie wuchsen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren in Mpatamatu auf. Die vierte und letzte Kohorte umfasste Männer, die sowohl vor als auch nach den Umbrüchen Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre in Mpatamatu gearbeitet haben. Bei ihnen handelt es sich jedoch nicht um Bergleute, sondern um Lehrer an den staatlichen Schulen der Township. Sie lieferten ein Gegenstück zu den Schilderungen der ersten Kohorte aus der Sicht einer vormals unterprivilegierten Klasse von Staatsangestellten in einer „company town“.
Den von mir verfolgten biografischen Ansatz in Bezug auf meine Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen bezog ich ebenfalls auf die Bars, Klubs, Kliniken, Gemeindezentren und Sportstätten. Den Ausgangspunkt dafür lieferte Kopytoffs methodischer Ansatz der „kulturellen Biografie der Dinge“ (Kopytoff 2011).

Forschungschronologie

In den folgenden Absätzen gebe ich einen kurzen Überblick über meinen Aufenthalt in Sambia mit meiner Familie und der zeitlichen Entwicklung meiner Feldforschung sowie der zugangsbedingten Änderung der ursprünglichen Fragestellung meines Dissertationsthemas.
Nach einer einjährigen Vorbereitungszeit am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung kam ich mit meiner Familie Ende Juli 2015 in Sambia an. Zunächst nahm ich an einem Seminar und einer Konferenz meines Affiliierungspartners, des Southern African Institute for Policy and Research (SAIPAR), in Lusaka und Livingstone teil. Mitte August zogen wir auf den Kupfergürtel in die Nähe der Stadt Kitwe. Dort nahm ich an einer lokalen Schule im September privaten Bemba-Sprachunterricht auf. Zwischen November 2015 und April 2016 betrieb ich Netzwerkarbeit in sambischen Ministerien, deren Behörden und zwei Botschaften, um Zugang zu einem von CNMCs Tochterunternehmen zu bekommen. Als Sinologe wollte ich ursprünglich die sozialen Beziehungen zwischen chinesischen und sambischen Angestellten bei einem chinesischen Bergbauunternehmen auf dem Kupfergürtel untersuchen. Im Februar 2016 wurde klar, dass dieses Vorhaben unmöglich sein würde. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle, die ich persönlich nicht beeinflussen konnte: der anhaltend niedrige Kupferpreis, Sambias Energiekrise, anti-chinesische Stimmungen in der sambischen Öffentlichkeit sowie CNMCs zunehmende Verschwiegenheit seit einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) im Jahr 2011.
Im März und April 2016 richtete ich meine Feldforschung neu aus. Anhaltspunkt für einen Neubeginn war für mich die Geschichte der Stadt Luanshya und die anthropologische Literatur über sie (insbesondere Epstein 1958; Powdermaker 1962; Schumaker 2008; Mususa 2014). Diese historische Spur führte mich zur Insolvenzverwaltung des ersten Minenbetreibers nach der Zerschlagung von ZCCM. Dort erfuhr ich von der Trennung der Mine als Ort des Erzabbaus von der Mine als Ort sozialer Investitionen, den angesprochenen Gebäuden in Mpatamatu. Von April bis Oktober 2016 fand anschließend meine Feldforschung in der ehemaligen Bergbau-Township statt.
Neben der Neuausrichtung meines Forschungsprojektes war es vor allem die alle drei Monate wiederkehrende Beantragung einer Verlängerung für die Aufenthaltsgenehmigung meiner Frau und meines Sohnes bei der sambischen Einwanderungsbehörde, die für eine akute psychische Belastung sorgte. Die Verlängerungen waren jeweils nur am letzten Geltungstag möglich. Beamte widersprachen sich häufig hinsichtlich der einzureichenden Unterlagen bzw. dem Mitführen temporärer Ausweisdokumente. Diese Tatsache führte in einem Fall beinahe zu meiner Verhaftung. Unser Kontakt mit der sambischen Bürokratie war bis zum Ende unseres Aufenthaltes eine stetige Herausforderung.

Aufbau und Erkenntnisse der Arbeit

Im ersten einleitenden Kapitel der Dissertation führe ich die Leser und Leserinnen in das Thema der Arbeit aus einer persönlichen Perspektive ein. Ausgehend von Stolers Konzept „ruination“ benenne ich die zentrale Forschungsfrage. Ich stelle die Stadt Luanshya vor (Abschnitt 1.1) und erläutere die theoretischen und methodischen Ausgangspunkte der Arbeit (Abschnitt 1.2). Nach einer Skizzierung der Forschungs- und Lebensbedingungen auf dem Kupfergürtel und einer Forschungschronologie (Abschnitt 1.3), erläutere ich den Aufbau der Arbeit und die einzelnen Kapitel (Abschnitt 1.4).
Das zweite Kapitel widmet sich der Gründungsgeschichte Luanshyas im Spannungsfeld von Kapital und kolonialer Regierung. Basierend auf der Arbeit von Stoler & McGranahan zu „imperialen Formationen“, d.h. in Dominanz strukturierten Praktiken (Stoler & McGranahan 2007), analysiere ich die koloniale Aneignung des Territoriums auf dem später die Mine von Luanshya eröffnet wurde (Abschnitt 2.1) und die Errichtung der Stadt als „company town“ mit drei Bergbau-Townships (Abschnitt 2.2). Im Mittelpunkt des Kapitels steht die vom Bergbauunternehmen errichtete und verwaltete soziale Infrastruktur mit ihren Bars, Klubs, Kliniken, Gemeindezentren und Sportstätten (Abschnitt 2.3). Das Kapitel schließt mit der Aufgabe dieser Gebäude im Rahmen der Privatisierung des Staatskonzerns ZCCM 1997 (Abschnitt 2.4).
Ausgangspunkt des dritten Kapitels ist die schrittweise Umstellung der Kupferindustrie von temporären männlichen Arbeitskräften zu einer dauerhaften Ansiedlung der Bergleute mit ihren Familien seit den 1930er Jahren (Abschnitt 3.1). Anhand der Gemeindezentren in Mpatamatu untersuche ich die Rolle der Frau als Hausfrau in Bergarbeiterfamilien und ihr sozio-ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis zum Mann (Abschnitt 3.2). Die zentrale Rolle des Mannes als Ernährer der Familie, welche auf seinem Lohn, Zulagen, Sachleistungen und Zugangsmöglichkeiten beruhte, zerbrach mit der Reprivatisierung der Mine und den Massenentlassungen der frühen 2000er Jahre (Abschnitt 3.3). Frauen ersetzten ihre Männer als zentrale Einkommensträger (Abschnitt 3.4).
Im vierten Kapitel beschreibe ich Mpatamatu aus der Perspektive von Lehrpersonal an den staatlichen Schulen der Township als exklusiven Ort für Bergleute (Abschnitt 4.1), einer „Arbeiteraristokratie“ (Burawoy 1972, 2; 2003, 533). Mit ihrem Arbeits- und Wohnort in Mpatamatu, aber ohne ein Anstellungsverhältnis zur Mine, waren Lehrer und Lehrerinnen zugleich in die „company town“ integriert und innerhalb dieser separiert (Abschnitt 4.2). Da sie unter dem Staatsunternehmen ZCCM Teile der sozialen Infrastruktur mit nutzen durften, waren auch sie von den Umwälzungen der 1990er und 2000er Jahre betroffen. Die Gründung von Privatschulen durch Lehrer und Lehrerinnen in ehemaligen sozialen Einrichtungen der Mine, führte zur Umkehrung der Zugangsverhältnisse (Abschnitt 4.3). Die nach der Reprivatisierung zurückgelassenen materiellen Überbleibsel des unternehmerischen Paternalismus wurden zu privaten Renovationsprojekten (Abschnitt 4.4).
Das fünfte Kapitel beleuchtet die Geschichte und Funktion der Freizeitgebäude innerhalb der sozialen Infrastruktur Mpatamatus. Dabei handelt es sich um Bars und Klubs (Abschnitt 5.1) sowie das Stadion und den Sportkomplex der Township (Abschnitt 5.2). Ich widme mich der Frage, wie weit die soziale Kontrolle des Bergbauunternehmens über seine Arbeiterschaft und deren Angehörige ging und welchen Tätigkeiten außerhalb der Angebote durch die Mine die Bevölkerung Mpatamatus nachging. Kirchengemeinden fungierten an dieser Stelle als Gegenpol zu diesen Angeboten. Ihre Präsenz vergrößerte sich enorm seit der Abkehr der Mine von der Township (Abschnitt 5.3). Freizeitgebäude wurden zu Gotteshäusern und ehemalige Bergleute zu Priestern in global agierenden Pfingstbewegungen (Abschnitt 5.4).
Im sechsten Kapitel, der Schlussfolgerung zur vorliegenden Dissertation, fasse ich die einzelnen Kapitel zusammen und präsentiere die Ergebnisse meiner Feldforschung in Mpatamatu. Wie sich Zerfallsprozesse in der Township entfalteten, mit welchen Praktiken Menschen die materiellen Überbleibsel der sozialen Infrastruktur neu für sich vereinnahmten, wie sie dem Bruch von materieller und sozialer Lebenswelt begegneten und welche neue Stellung Mpatamatu in Luanshya und darüber hinaus einnimmt, beantworte ich mit vier von mir identifizierten Prozessen: Relokation, Renovation, Reintegration und Rekonnektion.
Im Zuge der Neustrukturierung von Sambias Kupferindustrie 1997 kam es zu Relokationsprozessen (Abschnitt 6.1). Unternehmerisches Kapital floss vornehmlich in die Produktionsstätten. Minen waren keine integrierten Arbeits- und Lebenswelten mehr. Mpatamatu als Township und ihre Infrastrukturen wurden aus dem Verantwortungsbereich der Mine entfernt und unterstanden einer Vielzahl von Akteuren, von Privatpersonen und der Stadtverwaltung bis hin zu Privatunternehmen, der Provinz- und Nationalregierung. Es entstand ein Instandhaltungsvakuum, Katalysator für den materiellen Verfall in Mpatamatu. Die Gebäude, die vormals die soziale Infrastruktur der Township ausmachten, gerieten in einen Zustand der Unsicherheit zwischen Insolvenzverwaltung, formaler Privatisierung, städtischer Nutzung, Pächtern und Pächterinnen sowie den Erwartungen seitens der Bevölkerung Mpatamatus. Wirtschaftliche Aktivität verlagerte sich von der Mine mit ihren zahlreichen Einrichtungen und Programmen auf Privathaushalte und landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Diese Relokationsprozesse führten zu einem sozialen Abstieg der Bergleute und einem Aufstieg anderer sozialer Gruppen wie beispielsweise ihren Frauen oder den Lehrern und Lehrerinnen ihrer Kinder.
Renovationsprozesse gaben den ehemaligen sozialen Einrichtungen der Mine eine neue Funktion in Mpatamatu (Abschnitt 6.2). Ehemalige Bergleute, Lehrer und Lehrerinnen, Priester und Priesterinnen übernahmen und belebten die Gebäude. Ihre eigenen Erfahrungen und Vorstellungen, darunter auch Aspekte der paternalistischen Vergangenheit Mpatamatus, beeinflussten, wie sie die Gebäude neu vereinnahmen wollten. Neue und alte Verwendungen traten in einen Dialog mit den materiellen Charakteristika der Gebäude. Renovationsprozesse berührten nicht nur die Gebäude im Fokus dieser Arbeit, sondern auch die Wohnhäuser in der Township, die staatlichen Schulen sowie ungenutzte Freiflächen in Mpatamatu.
Bars, Klubs, Kliniken, Gemeindezentren und Sportstätten wurden nach dem Rückzug der Mine aus Mpatamatu neu in die Township integriert (Abschnitt 6.3). Diese Reintegration ging von der Fähigkeit der Gebäude, Menschen zu versammeln, aus. Bars und Klubs wurden weitergeführt als Orte des Austausches und der politischen Diskussion. Minenkliniken wurden vom Gesundheitsministerium übernommen. Die Privatschulen und das Lehrercollege in den Gemeindezentren boten der Bevölkerung Mpatamatus neue Bildungsmöglichkeiten. Der Sportkomplex wurde zum größten Gotteshaus der Township. Nachdem ein Großteil der vormals an die Mine gebundenen Bevölkerung Mpatamatus den Zugang zu den Gebäuden verloren hatte, wurden die materiellen Überreste der Mine wieder in das Leben der Menschen integriert.
Mpatamatu wurde nach der Separierung der Township von der Mine und ihrem Betreiber neu mit der Außenwelt verbunden (Abschnitt 6.4). Mit Blick auf Fergusons Reflexionen zu einer „globalen Entkopplung“ des Kupfergürtels von der Welt seit dem Niedergang des Kupfersektors Ende der 1970er Jahre (Ferguson 1999, 234-254; 2006, 48-49; 2009) konnte ich während meiner Feldforschung zahlreiche Neuverbindungen beobachten. Auch wenn Mpatamatu von einer Bergbau-Township nah an den Produktionsstätten zu einer kommunalen Township in der Peripherie Luanshyas degradiert wurde, so begründeten die Privatschulen, das Lehrercollege und die Pfingstgemeinden neue Verbindungen mit der Außenwelt. Lehramtsanwärter aus anderen Regionen Sambias kamen nach Mpatamatu. Gläubige setzten sich in Bezug zu globalen Pfingstbewegungen, verstärkt durch die Präsenz von Fernsehpredigern auf den TV-Bildschirmen in den Wohnhäusern. Die Wichtigkeit neuer Infrastrukturen, wie dem durch neu errichtete Masten vertretenen Mobilfunk, überlagerten ältere wie die von Schlaglöchern gezeichnete Straße nach Mpatamatu.

Meine Feldforschung dokumentierte am Beispiel Mpatamatus wie sich der planerische Aspekt eines urbanen Raumes auflöst. Die von der Mine aufgegebene Township wurde durch die Praktiken ihrer Bevölkerung und die Renovation der ehemaligen sozialen Infrastruktur neu ausgestaltet. Diese Ausgestaltungsprozesse beinhalteten alle eine reflexive Komponente. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Neustrukturierung der sambischen Kupferindustrie 1997 einen deutlichen Bruch in der Lebensrealität der Township-Bevölkerung verursachte und Bezüge zur paternalistischen Vergangenheit der Mine in die Neunutzung der ehemaligen sozialen Einrichtungen hineingewoben wurden. Schließlich geht diese Rückbesinnung so weit, dass nicht die Gebäude als post-industrielle Ruinen eine Verletzung normativer Vorstellungen wie bei Edensor (Edensor 2005, 169) darstellen, sondern die anhaltenden Zerfallsprozesse in denen die in dieser Arbeit erforschten Renovationsprojekte stattfinden. Es bleibt zu hoffen, dass die Insolvenzverwaltung des ersten auf das Staatsunternehmen ZCCM gefolgten Privatunternehmen die Projekte unterstützt und ungeklärte Eigentums- und Privatisierungsangelegenheiten im Sinne der Pächter und Pächterinnen in naher Zukunft regelt.

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