Pétrole et changement social: rente pétrolière, dé-agriculturation et monétisation des interactions sociales dans le canton Béro au sud du Tchad

Remadji Hoinathy
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

OPAC

Date of Defense | Tag der Verteidigung
03.07.2012

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Richard Rottenburg

German Summary - Deutsche Zusammenfassung

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro

Die vorliegende Dissertation untersucht Prozesse sozialen Wandels, die im Zusammenhang mit der Erschließung und Ausbeutung von Erdölvorkommen im Tschad eingesetzt haben. Sie basiert auf einer 13-monatigen Feldforschung, die zwischen 2008 und 2011 im Süden des Landes durchgeführt wurde. Die dortige Forschung war regionen- und distriktübergreifend angelegt,  auch wenn sie größtenteils in einem der drei Distrikte, über die sich das Ölfeld von Komé erstreckt, stattfand. Als Hauptforschungsgebiet wurde der Béro-Distrikt, dessen Hauptstadt (Béro) sieben Kilometer südlich der Hauptstadt der Logone Oriental Region (Doba) liegt, ausgewählt. Dieser ländliche Distrikt umfasst 25 administrative Dörfer und ca. 18 000 Einwohner, die mehrheitlich der ethnischen Gruppen der Mango (Sara- Untergruppe) angehören und von der Landwirtschaft leben. Zu den Minderheiten, die im Béro-Distrikt mit den bäuerlichen Mango interagieren und Rinderhaltung betreiben, zählen arabisch-sprechenden Gruppen, die ursprünglich aus den Salamat- und Batha-Regionen im östlichen bzw. nördlichen Tschad stammen. Der Lebensstandard in dem Hauptforschungsgebiet ist deutlich niedriger als in städtischen Gebieten.

Meine Daten zum sozialen Wandel im Ölgebiet des südlichen Tschads, und insbesondere im Béro-Distrikt wurden im Rahmen einer „multi-sited ethnography“ erhoben. Während der Feldforschung ging ich induktiv vor, d.h. ohne im Vorfeld Hypothesen zu formulieren, sondern entwickelte anhand meiner Daten fortlaufend meine Ergebnisse, um meine Schlussfolgerungen bestmöglich empirisch zu belegen. Die vor Ort angewandten Methoden umfassten Diskussionen in Fokusgruppen, informelle Gespräche, freie und semi-strukturierte Interviews sowie gezielte teilnehmende Beobachtung. Ich unterhielt mich mit einer Vielzahl im Béro- Distrikt lebender Akteure wie etwa Bauern, Rinderhalter und traditionelle Autoritäten. Zudem führte ich Interviews mit tschadischen Verwaltungsangestellten, Mitarbeitern von NGOs und Mitarbeiter der Ölkonzerne, die innerhalb sowie außerhalb des Hauptsforschungsgebiets tätig sind. Durch die Teilnahme an verschiedenen Treffen und Seminaren von NGOs im Tschad und in Deutschland konnte ich Sekundärmaterial zum Thema Öl sammeln. Während meiner Feldforschung stellte sich aber die Kontaktaufnahme zu den Ölkonzernen trotz beständiger Versuche als sehr schwierig dar. Das gleiche gilt für Vertreter des tschadischen Staates, die auch nicht gern zum sensiblen Thema Öl befragt werden. Selbst Reisen innerhalb des stark kontrollierten Ölgebietes waren nicht immer möglich. Diese und ähnliche Unwägbarkeiten zeugen meiner Meinung nach von der Geheimniskrämerei, die den Ölkapitalismus zu umhüllen scheint. Zugleich können sie zur Steigerung des Interesses an Erdöl als Forschungsthema beitragen.

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro

Erdöl ist eine strategisch wichtige Ressource und eine der begehrtesten weltweit. Es ist ein wesentlicher Bestandteil aller Industrieprozesse, das ‚Blut’ der mechanischen Produktion und der Kraftstoff motorisierter Gesellschaften; volumenmäßig stellt Erdöl die meistgehandelte Ware der Welt dar (Yates 1996: 1). Bereits viel früher als Ethnologen haben Ökonomen, Politologen und Umweltwissenschaftler Öl als Forschungsthema entdeckt. In ihren Studien bedienen sich sie Konzepten wie etwa „resource curse“ (Ressourcenfluch), „oil curse“ (Ölfluch), des „paradox of plenty“ (Paradox des Überflusses) oder der „Dutch disease“ (holländisches Syndrom) und des Rentierstaates, die alle für eine anthropologische Analyse von Erdöl und seine Auswirkungen von Interesse sind. Im Zusammenhang mit Ölstaaten wird der Begriff des Ressourcenfluchs benutzt, um auf eine Situation hinzuweisen, die durch stagnierende soziale Entwicklung und anhaltende Armut trotz hoher Staatseinnahmen, durch viele Konflikte (meist gewalttätige) und durch eine Neigung zu einer autoritären Regierungsform (Reyna und Behrends 2011: 6) gekennzeichnet ist. In einem solchen Staat, der als Rentierstaat bezeichnet wird (u.a. Yates 1996), entstehen die Staatseinnahmen vor allem aus Ölförderlizenzen, während produktive Aktivitäten und andere Mehrwertleistungen fortschreitend vernachlässigt werden. Korruption nimmt zu und politische Institutionen werden geschwächt (Ali Alayli 2005). Infolgedessen erhöht sich die Abhängigkeit von Öleinnahmen und von Importen, wobei nicht Öl bezogenene Exporte zurückgehen. Eine solche Entwicklung wird auch als „Dutch disease“ bezeichnet, weil sie zuerst für Holland – wenn auch in Verbindung mit der Ausbeutung von Gasvorkommen – beschrieben wurde (u.a. Corden 1984). In den Ländern, wo das eben genannte Syndrom sich breit macht, verteidigen die Eliten ihre Vorteile eindringlich und stützen das etablierte Regime mit so großem Nachdruck, dass Autoritarismus und Militarisierung hervorgerufen bzw. prolongiert werden. Zugleich verschlechtern sich die sozio-ökonomischen Bedingungen und die Umweltsituation des Landes.

Die eben erläuterten Konzepte fassen Entwicklungen zusammen, die auf der Makro- Ebene auftreten können. Allerdings halte ich die mit diesen Konzepten verbundenen Thesen für übergeneralisierend. Tatsächlich tritt Ölkapitalismus immer in spezifischen historischen, kulturellen, institutionellen und politischen Kontexten auf, die bei der Untersuchung der Auswirkungen der Erschließung und Ausbeutung von Ölvorkommen berücksichtigt werden müssen. Diesem Anliegen folgend stützt sich meine Arbeit zu sozialem Wandel im südlichen Tschad seit Beginn des sogenannten Tschad-Kamerun Ölprojekts (2000), das die Erschließung und die Ausbeutung des Ölfelds von Komé umfasst, auf verschiedene theoretische Ansätze.

In der vorliegenden Dissertation wird sozialer Wandel (1972: 366) in Anlehnung an Moore (1972: 366) als deutliche Veränderung von sozialen Strukturen (u.a. Mustern von sozialem Handeln und sozialen Interaktionen) und als Veränderung von Normen, Werten und kulturellen Produkten und Symbolen, in denen sich soziale Strukturen manifestieren, verstanden. Um die Veränderungen zu beleuchten, die im Béro-Distrikt seit der Ankündigung der Renten (1998) und dem Beginn der effektiven Auszahlung in Form von Gehältern und Entschädigungen (2000) eingesetzt haben, beziehe ich mich zum Teil auf die Theorie des Rentierstaates (u.a. Madhavy 1976) und insbesondere auf das Konzept der Ölrenten (u.a. Yates 1996). Ich stütze mich auf Berrys vergleichende Studie (1993) des veränderten Zugangs zu Land, Produktionsmitteln und Arbeitskraft in ländlich-agrarischen Kontexten in Ghana, Nigeria, Sambia und Kenia, um eine Verbindung herzustellen zwischen Veränderungen im landwirtschaftlichen Bereich und sozialem Wandel als Folge der Erschließung und Ausbeutung von tschadischen Ölvorkommen. Aber auch andere ergänzende theoretische Ansätze fließen in die einzelnen Kapitel ein, die jeweils einen besonderen Aspekt von sozialem Wandel behandeln.

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro

Im einleitenden Kapitel stelle ich die Fragestellung meiner Arbeit vor und gebe einen Abriss zur weltweiten Entwicklung der Ölförderung. Zudem präsentiere ich theoretische Ansätze zum Thema Öl, die für die vorliegende Studie relevant sind, sowie die Methoden, die ich zur Datengewinnung während meiner 13-monatigen Feldforschung in Tschad angewandt habe.

Kapitel 1 enthält allgemeine Informationen über den Tschad und das Hauptforschungsgebiet, den Béro-Distrikt in der Logone Oriental Region. Somit liefert es die Grundlage für ein besseres Verständnis der anderen Kapitel.

Kapitel 2 präsentiert internationale (Ölkonzerne, Weltbank) und nationale (tschadische Staat) Diskurse über das Tschad-Kamerun Ölprojekt, die von Beginn an kontrovers geführt wurden, zum Teil aber auch große Hoffnungen auf lokaler Ebene weckten. Einerseits äußerten sich NGOS sehr kritisch zum Zustandekommen und der Durchführung des Ölförderprojektes. Die Regierung des Tschads zusammen mit dem von ExxonMobil geführten Ölkonsortium und der Weltbank betonen dagegen, dass die Lizenzgebühren wichtige Einnahmen für die Entwicklung des Tschads darstellen werden. Es wurde eine wunderbare Vision eines Entwicklungsmythos präsentiert und angekündigt, dass mit dem Ölförderprojekt für den Tschad und seine Einwohner eine ‚goldene Ära’ beginnen würde. In ärmeren ländlichen Gebieten wie z.B. dem Béro-Distrikt verfestigte sich dieser Entwicklungsmythos sehr stark und hatte auch soziale Auswirkungen. In den Anfangsjahren des Projektes wurden einige wenige Bauern als Arbeiter für das Ölprojekt angestellt. Andere erhielten Sach- oder Geldentschädigungen für ihr Land, die darauf wachsenden landwirtschaftlichen Produkte und Bäume und die darauf gebauten Häuser, die für das Ölförderprojekt vereinnahmt oder deren Nutzung beeinträchtigt wurde. Viele dieser geringfügig Begünstigten hatten vollstes Vertrauen in den Entwicklungsmythos und gaben ihre Entschädigungen vielfach einfach aus, ohne sie langfristig anzulegen. Viele betrachteten das Geld als ‚Manna’, das vom Himmel fallen würde solange das Öl fließt. Acht Jahre später (2008) mussten die Bewohner feststellen, dass die Versprechen nicht gehalten wurden: ihre Entschädigungen hatten sie meist schon ausgegeben, Arbeitsplätze wurden rar und die Arbeitsbedingungen unsicher, Investitionen hatten sich amortisiert oder wurden nicht mehr genutzt, und die versprochenen Straßen, Krankenhäuser und andere Projekte waren entweder gar nicht oder nur unzureichend realisiert worden. Inzwischen ist aus dem mit dem Öl verbundenen Traum Enttäuschung geworden und die Diskurse der ländlichen Bevölkerung zu Öl haben sich nachhaltig verändert hin zu einem negativen Bild vom Öl, den Ölkonzernen und dem Tschad als öl-produzierendem Land. Ich verwende hier den Ansatz der Translation (Czarniawska und Joerges 1996, Sally 2006, Rottenburg 2008), um zu zeigen, wie die Diskurse zu Öl soziale Praktiken im Béro-Distrikt beeinflussen.

Kapitel 3 analysiert die veränderten Muster des Zugangs zu Land, die sich infolge des Ölprojektes für landwirtschaftliche Flächen ergaben. Für die Mango bilden die Beziehungen zum Raum und den darin vorhandenen Ressourcen die Grundlage für ihre soziale Organisation und ihre Wirtschaftsweise. Die vom Öl verursachten Veränderungen führten zu neuen sozialen Dynamiken in Verbindung mit dem Land. Zum einen wurden die traditionellen Landbesitzverhältnisse und Mechanismen des kollektiven Landmanagements abgeschafft zugunsten ‚modernen’ Landbesitzrechts. So wurden große Flächen von Feldern und Wäldern in kleine Flurstücke unterteilt und es blieb nur wenig Raum dazwischen übrig, der von den Menschen zum landwirtschaftlichen Anbau genutzt werden konnte. Es gibt keinen Raum mehr für großflächige landwirtschaftliche Nutzung mit Feuerrodungen und zeitweiser Brachlegung von Flächen. Viele Bauern besitzen gar kein Land mehr oder nicht genug, um sich und ihre Familien zu ernähren. Als Folge geht die landwirtschaftliche Produktion zurück und die Preise für Grundnahrungsmittel steigen inflationär, da die Bauern auch in der sonst so geschäftigen Regenzeit nichts anbauen können. Dies führt bei den Bauern zu einem allgemeinen Gefühl von Unsicherheit und Ungewissheit. Zum anderen hat Land aufgrund der Entschädigungen, die das Ölkonsortium an die Besitzer gezahlt hat, einen konkreten Geldwert erlangt. In Bezug auf die Ressource Land kamen neue Transaktionen wie Kauf, Miete und Pacht auf. Mit Referenz auf Schlees Ansatz zur Konfliktanalyse (2008) zeige ich, dass im Zuge des Ölprojekts Konfliktdynamiken, die zwischen einzelnen Bauern sowie zwischen den Bauern und den semi-nomadischen Rinderhaltern bereits existierten, neue Dimensionen erlangten. Hier gab es eine Verschiebung hin zu einer Identifikationsrhetorik zwischen Christen einerseits und Animisten und Muslimen andererseits. Auch gab es Gebietsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Distriktverwaltungen im Ölgebiet. Insgesamt bietet Kapitel 3 einen Überblick zur Situation der Bauern im Ölgebiet. Sie haben immer weniger Land für den Anbau, während Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft entweder nicht vorhanden sind oder sehr schlecht bezahlt werden. Gleichzeitig zeigen soziale Maßnahmen von ExxonMobil zur Bekämpfung der Projektauswirkungen, wie etwa die Umschulung der Bauern zu Mechanikern, Tischlern und Schneidern oder die Modernisierung der Landwirtschaft nur verschwindend geringe Wirkung.

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro


Kapitel 4 untersucht die Interaktionen zwischen den durch das Ölprojekt spontan neu entstandenen Dörfern und den bereits existierenden Dörfern. Infolge der Mythisierung des Öls und der Vorteile seiner Nutzung strömten viele Migranten (ehemalige Bewohner des Ölgebietes, Menschen aus anderen Regionen des Tschads, aus Kamerun, der zentralafrikanischen Republik und Nigeria) auf der Suche nach Arbeit und Geschäftsmöglichkeiten in das angebliche Öl-Eldorado, um ihren Anteil am Traum zu suchen. Im Zuge des Ölrausches entstanden spontan Dörfer wie Moudadogne und Satan zwischen den bereits vorhandenen Dörfern (Béro und Komé- Ndolobé) und den Ölförderanlagen (Komé base und Komé 5). Diese neuen Dörfer wurden zu Anziehungspunkten und zur Bühne für die tägliche Interaktion zwischen der lokalen Bevölkerung, den Migranten und den Mitarbeitern der Ölkonzerne. Diese Migranten brachten urbane Lebensstile mit in die Dörfer, einschließlich von Kneipen, ‚Diskos’, Herbergen und Prostituierten. Dies führte auch zu Veränderungen in den autochthonen Dörfern. Das Beispiel des Alkoholkonsums zeigt, dass gewöhnliche Trinkgepflogenheiten und damit verbundene Werte ersetzt wurden durch eine „heavy drinking culture“, wie ich es mit Bryceson (2002: 269-270) nennen würde, d.h. den zügellosen und auffälligen Genuss von Alkohol. Dies hat verschiedene sozio-ökonomische Folgen und geht z.B. einher mit einer zunehmenden Freizügigkeit in Bezug auf Sexualverhalten und ein erhöhtes Risiko, mit Geschlechtskrankheiten und HIV/AIDS infiziert zu werden. Die öl-bezogenen Migrationsbewegungen und der daraus folgende Kontakt zwischen Migranten und lokaler Bevölkerung führen zu neuen Praktiken und Verhaltensmustern, welche die Mango als einen Verlust ihrer Werte verstehen. Die Etablierung dieser neuen Praktiken und Verhaltensmuster wird in dieser Arbeit zum Teil mit Rekurs auf Kopytoff’s Konzept der „internal frontier“ (1986, 1996) analysiert.

Kapitel 5 behandelt die sozialen Dynamiken, die durch die Gelder der Ölförderlizenzen hervorgerufen wurden. Dorfbewohner haben Zugang zu diesen Geldern durch Entschädigungszahlungen für ihr Land (gezahlte Beträge sind teils lächerlich niedrig, obwohl es Ausnahmen von 1 bis zu 5 Mio. Francs CFA – und sogar von 15 Mio. Francs CFA – gibt; 1 Euro = 665 Francs CFA) oder Gehälter aus unbefristeten oder temporären Arbeitsverhältnissen. Diese Geldbeträge flossen dann in die täglichen Konsum- und Tauschaktivitäten, was plötzlich zu einem erheblich erhöhten Geldfluss in den Dörfern des Ölgebietes führte. Allmählich stand das Geld im Zentrum sozialer Interaktionen und führte zu einer Inflation, die auch soziale Institutionen berührte. Dieser als Monetarisierung bezeichnete Prozess (u.a. Arhin 1995, Berry 1995) beeinflusst vor allem drei Bereiche: Heiratstransaktionen (Brautpreis), Verwandtschaftsbeziehungen und lokale Machtbeziehungen. In der Mango-Gesellschaft besiegelt der Brautpreis die Ehe der Brautleute und die Allianz zwischen deren Familien und legitimiert ihre Nachkommen. Der Brautpreis setzt sich aus Geld und Geschenken zusammen. Seit dem Beginn des Ölprojektes im Jahre 2000 ist die Höhe des Brautpreises inflationär gestiegen. Er hat sich inzwischen verdreifacht und in manchen Fällen sogar vervierfacht. Zugleich spielt Käuflichkeit eine zunehmende Rolle bei Eheschließungen. Dies führt zu einer Trivialisierung der Ehe als Institution und schmälert ihren symbolischen Charakter. Inzwischen sind Eheschließungen zu einer Strategie geworden, Zugang zu Ölgeldern zu erlangen, indem horrende Brautpreise verlangt werden. Durch die Ölgelder kam es auch zu einer Diversifikation des Zugangs zu finanziellen Ressourcen in Bezug auf die Beziehungen zwischen Jung und Alt. Da junge Menschen nun eigenständig Zugang zu finanziellen Ressourcen erlangen, wird die Macht der Alten und der traditionellen Institutionen geschwächt, denn diese Macht stützte sich u.a. auf die Kontrolle des Zugangs zu und der Verteilung von Ressourcen. Mit Beginn des Ölprojektes ist der finanzielle Wert von Land hervorgetreten. Ansprüche verschiedener Parteien auf das gleiche Stück Land nahmen zu und die Zahl der Streitigkeiten zwischen Mitgliedern eines oder verschiedener Lineages oder zwischen den Nachkommen alliierter Familien über die Verteilung der Entschädigungen stieg. Teilweise können solche Streitigkeiten nicht durch die üblichen Konfliktlösungsmechanismen geschlichtet werden und führen sogar zu offenen, gewalttätigen Auseinandersetzungen und sozialer Spaltung. Sobald eine Entschädigung für ein bestimmtes Flurstück gezahlt werden soll, leiden die sozialen Beziehungen unter den verschiedenen Geldansprüchen. Geld hat eine korrosive Wirkung auf Verwandtschaftsbeziehungen und bereits existierende Allianzen, was sich auch in einem Sprichwort der Mango widerspiegelt nodji la godo (sinngemäß übersetzt ‚Geld bricht Familienbande’). Abschließend beleuchte ich in diesem Kapitel den Diskurs der Mango über Geld und gehe auf ihre schlechten Erfahrungen und die Missstände in Verbindung mit den Ölgeldern ein. Diese Diskurse zu Ölgeldern erlauben auch eine allgemeine Sicht auf die Konzeptionalisierung des Öls selbst. Abgesehen von den Ölgeldern, welche die Mango als la ndil (‚böses Geld’) bezeichnen, ist Öl selbst in populären Vorstellungen auch stark mit bösen Kräften und korrumpierenden Eigenschaften assoziiert (Watts 2004). Wie ich in meiner Arbeit zeige, gibt es eine Verbindung zwischen der Mythisierung des Öls durch die Ölkonzerne und den tschadischen Staat und den entgegensetzten Auffassungen der Einwohner im Béro-Distrikt zu Öl, die als Folge der falschen Versprechen zu sehen sind.

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro


Zusammenfassend lassen meine Forschungsdaten einige theoretische Generalisierungen zu, die die bereits existierende wissenschaftliche Debatte über Öl bereichern dürften. Meine erste Generalisierung betrifft die Ölgelder und deren Auswirkungen. Die Versprechungen, die Ölgelder würden Wohlergehen und Freude bringen, sorgten für Aufregung in dem ländlichen Béro-Distrikt und es entstanden eine Reihe von Strategien, die Ölgelder anzuzapfen. Zu diesen Strategien zählt Migration mit dem Ziel, auf dem Ölfeld Arbeit zu finden oder sich im Ölgebiet neue Geschäftsgelegenheiten zu erschließen. Eine andere Strategie ist es, Felder zu veräußern, um so kurzfristig von Entschädigungszahlungen zu profitieren. Die

Heiratstransaktionen sind inflationär angestiegen und auch andere Lebensbereiche sind betroffen. Meiner Meinung nach zeugt dies von einer Rentier-Mentalität bzw. von Verhaltenweisen, die wie Yates (1996: 208) es formuliert, durch den plötzlichen Zufluss externer Gelder geschaffen wurden, und die den Zugang zu Reichtümern von jenen produktiven Aktivitäten abtrennen, die normalerweise Einkommen generieren. Yates betrachtet die Auswirkungen dieser externen Gelder oder Renten zwar vor allem auf der Makroebene, ich konnte jedoch feststellen, dass sich die Rentier- Mentalität, wie er sie beschreibt, auch in meinem Forschungsgebiet wiederfinden lässt. Der Zugang zu den Ölgeldern bleibt jedoch abhängig von der Position und den Aktivitäten der jeweiligen Akteure (Yates 1996: 206). Praktisch erlangten im Béro- Distrikt nur jene Zugang zu den Ölgeldern, die entweder für die Konzerne arbeiteten oder deren Land zur Ölförderung gebraucht wurde. Der Großteil des Geldes verblieb jedoch auf der Ebene der Zentralregierung in der Hauptstadt, nur ein verschwindend geringer Teil kam bei der lokalen Bevölkerung an. Die tatsächlichen Vorteile des Ölreichtums sind für ländliche und periphere Regionen wie den Béro-Distrikt also weit geringer als die Erwartungen, obwohl die Ölförderung in dem Gebiet stattfindet. Dies ist typisch für Enklavenökonomien (Ferguson 2005).

Ferner weise ich im Rahmen meiner Dissertation nach, wie knapp Land im Ölgebiet geworden ist. Da Zugang zu dieser grundlegenden Ressource mittlerweile nur schwer zu erlangen ist, werden Veränderungen in den Landbesitzstrukturen, den Produktionsarten und landwirtschaftlichen Erträgen hervorgerufen, was letztlich zu einer Schwächung des sozialen Zusammenhaltes führt. Aus wirtschaftlicher Sicht können diese Veränderungen nach Sid Ahmed (1987) als “de- agriculturation“ bezeichnet werden. In einer solchen Situation hängt die Wirtschaft sehr stark von der Ölproduktion ab, während die Landwirtschaft abnimmt, weil nicht ausreichend urbares Land zur Verfügung steht. Traditionelle Anbautechniken sind zudem immer weniger für die kleinen Flächen geeignet und die Bauern können mit den Möglichkeiten des Ölgeschäftes nicht mithalten. Veränderungen im Zugang zu finanziellen Ressourcen führen zu verschiedenen sozialen Veränderungen, wie etwa im Konzept der Monetarisierung beschrieben. Dies deckt sich mit Erkenntnissen von Bohannan (1955, 1959), Hopkins (1966), Parry und Bloch (1989), Shipton (1989) und Guyer (1995a, 1995b, 1995c) zu anderen Kontexten, in denen die Beziehung zwischen Geld und sozialem Wandel eine Rolle spielt.

Erdöl und sozialer Wandel in der Logone Oriental Region (Tschad). Die Auswirkungen der Erdölrente auf Landwirtschaft, Monetarisierung und soziale Interaktion im Kanton Béro

Mein dritter Beitrag zur existierenden Debatte zu Öl basiert auf der Dokumentation von Veränderung der Repräsentationen von Öl auf lokaler Ebene. Die Rhetorik über Öl, die auf internationaler (Ölkonzerne, Weltbank, NGOs) und nationaler (tschadischer Staat) Ebene benutzt wurde bzw. benutzt wird, hat bestimmte soziale Auswirkungen, die anhand der Erfahrungen der lokalen Akteure untersucht werden können. Diese Erfahrungen sind also wichtig für die Analyse der Wirklichkeit des Öls. Im Falle der Bauern des Béro-Distrikts sind die Einstellungen zu Öl von ihren glücklichen oder unglücklichen Erfahrungen mit den Ölgeldern geprägt. Abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten des Zugangs der Person zu Ölgeldern ist deren Auffassung entsprechend geprägt. Da positive Erfahrungen mit den Ölgeldern sehr rar sind, liegt der Schwerpunkt des generellen Diskurses im Béro-Distrikt darauf, dass Öl keine Entwicklung vorangebracht hat, und dass die Ölgelder die Probleme der Bauern nicht lösen können. Durch das Öl werden sogar Lebensgrundlagen verringert und soziale Bindungen geschwächt. Zudem betrachten sich die Bauern als vom Staat und von ExxonMobil durch die Landaufkäufe und die nicht erfüllten Versprechen der Regierung und der Ölkonzerne dominiert. Die Bauern waren vormals alleinige Besitzer des Landes, doch nach dem Verkauf erhalten sie keinen weiteren Anteil der Ölgelder. Diese Muster von Dominanz treten auch auf der globalen Ebene auf bei der Integration von Béro und anderer ländlicher Gebiete der Logone Oriental Region in die globale Ölwirtschaft (Reyna 2011). Öl wurde bisher eher auf der Makroebene untersucht. Konzepte zu Öl wie der Rentierstaat, der Ressourcenfluch und die Holländische Krankheit stützen sich auf makroökonomische Daten oder makrosoziale Wirklichkeiten. Mein Forschungsprojekt hingegen untersucht die Situation auf lokaler Ebene, im Kontext der konkreten Erfahrungen der Mango in Béro-Distrikt mit Öl. Dies stellt u.a. meinen Beitrag zum Forschungsfeld Öl dar, das immer noch im Entstehen ist. Ich möchte mit meiner Arbeit anregen, den Schwerpunkt bei der Erforschung von Ölfördergeldern von der nationalen Ebene auf die lokale Ebene zu verschieben. Der Großteil der Ölgelder verbleibt zwar auf staatlicher Ebene, doch der geringe Anteil, der die jeweilige Peripherie erreicht, verursacht dort Dynamiken, die den auf der Makro-Ebene beobachteten Dynamiken ähneln. Ich schlage vor, den Ressourcenfluch und die “Dutch disease“ auf Grundlage der Öldiskurse der Bauern zu untersuchen und die konkreten sozio-ökonomischen Bedingungen im Ölgebiet zu analysieren.

Mein Beitrag zu anthropologischen Studien zum Thema Öl ist auch methodischer Natur. Dem Beispiel anderer Ethnologen folgend, die auf diesem Gebiet gearbeitet haben (Coronil 1997, Sawyer 2004, Apter 2005, Reyna 2007, Weszkanlys 2009, Behrends, Reyna und Schlee 2011), erachte ich es als besonders sinnvoll, Forschung in ganz konkreten lokalen Kontexten durchzuführen, und die im Rahmen solcher Forschung gewonnenen Daten dann mit den Kontexten auf nationaler und globaler Ebene in Verbindung zu setzen, in denen Öl eines der wichtigsten Themen von Wirtschaft und Politik geworden ist.

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