Creole Identity, Interethnic Relations and Postcolonial Nation-Building in Guinea-Bissau, West Africa

Christoph Kohl
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Date of Defense | Tag der Verteidigung
27.05.2010

Supervisors | Gutachter
PD Dr. Jacqueline Knörr
Prof. Dr. Richard Rottenburg

OPAC

German summary | Deutsche Zusammenfassung

Meine Dissertation „Creole ldentity, Interethnic Relations and Postcolonial Nation-Building in Guinea-Bissau, West Africa“ handelt von kreolischer Identität, von den Wechselbeziehungen zwischen kreolischer und anderen ethnischen Identitäten sowie von der Bedeutung kreolischer Identität für nachkoloniale Nationsbildungsprozesse. Die Arbeit beschreibt und analysiert dies sowohl in historischer als auch in aktueller Perspektive. Die Dissertation zeigt auf, inwiefern Kreolisierungsprozesse – und somit kreolische Identitäten – in Gesellschaften, die von ethnischer und religiöser Heterogenität geprägt sind, einer postkolonialen, nationalen Integration förderlich sein können. Die Arbeit zeichnet die genannten Prozesse anhand des Beispiels Guinea-Bissau nach, einem westafrikanischen Kleinstaat, der bis 1974 eine portugiesische Kolonie war.

Historisch lässt sich die Entstehung kreolischer Identität bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Seit jener Zeit war die Küste des heutigen Guinea-Bissau ein Brennpunkt merkantiler Aktivitäten von Europäern, Kapverdiern und Afrikanern. Entlang der Küste etablierten sich in den „praças“ genannten Handelsplätzen kreolische Gemeinschaften (Kristons, „Christen“, genannt), die neue kulturelle Ausdrucksformen sowie ein neues kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl hervorbrachten. Als Hauptmarker ihrer Identität dienten ihnen das Bekenntnis zum Christentum, das Beherrschen des Portugiesischen bzw. der portugiesisch-basierten Kreolsprache Kriol, sowie die Mittlerrolle als Händler/Handelsgehilfen in den praças. Die Identität der Kristons war transethnisch angelegt: vor allem die unteren sozialen Schichten zählten sich einer von mehreren ethnischen Gruppen zugehörig, identifizieren sich aber zeitgleich als Christen. Im Gegensatz zu den Kristons standen die Kapverdier. Die Nachfahren kapverdischer Immigranten, die von den Portugiesen v.a. als Staatsdiener und Angestellte ins Land geholt worden waren, distanzierten sich seit dem 19. Jahrhundert zunehmend von den Kristons – eine Entwicklung, die bis heute anhält.

Die portugiesischen Kolonialherren teilten die Bevölkerung nach 1910 formal in „indigene“ Untertanen und „zivilisierte“ Bürger ein (,‚Eingeborenenstatut“). Kreolen waren fortan in beiden rechtlichen Kategorien vertreten. Die „Zivilisierten“ blieben eine heterogene Gruppe, versammelten neben Kreolen auch Europäer, nicht-kreolische Afrikaner und Libanesen.
Diese formale Aufteilung der Bevölkerung führte zu einer Transformation kreolischer Identität: Die Zusammenfassung von Kristons mit Europäern, Libanesen und muslimischen Bissau-Guineern in der Gruppe der „Zivilisierten“ seit der Wende zum 20. Jahrhundert hatte eine identitäre Rekontextualisierung der Kriston-Identität zur Folge. Bei jenen Kreolen, deren Vorfahren als „Zivilisierte“ klassifiziert waren, ist heutzutage entweder eine strikte Ablehnung jeglicher indigener ethnischer Identität oder eine bewusste Hinwendung zu indigenen ethnischen Identitäten zu konstatieren; kreolische Identität ist also nur sehr schwach ausgeprägt. Im Gegensatz hierzu ethnisierte sich die Identität der ausnahmslos als „Zivilisierte“ eingruppierten Kapverdiern stark. Gleiches gilt für die mehrheitlich als Untertanen eingestuften Kristons de Geba, die ihre Herkunft auf die einstmals blühende praça Geba zurückführen und sich in einem mehrheitlich muslimischen Siedlungsgebiet behaupteten, in einem hohen Maße.

Heute lassen sich in Guinea-Bissau drei Varianten kreolischer Identität feststellen, die in unterschiedlichem Ausmaß ethnisiert sind: Kreolen nehmen entweder die Qualität einer gering ethnisierten Kategorie ethnischer Identifikation oder einer stark ethnisierten Gruppe (Kristons de Geba, bissauguineische Kapverdier) an.

Seit dem Vorabend der Unabhängigkeit – also seit Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts – unterliegen einst den Kreolen vorbehaltene Kulturmerkmale einer landesweiten Ausbreitung über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Die Dissertation stellt drei dieser kulturellen Repräsentationen – Kriolsprache, Manjuandadi-Bünde und Karneval – vor, beschreibt ihre Ursprünge sowie ihren Wandel im Laufe der Zeit und analysiert ihre Ausbreitung und Wirkung für postkoloniale Nationsbildungsprozesse:

1.) Die heutige Verkehrssprache Kriol nahm ihren Ausgang v.a. von den wenigen praças. Linguistisch steht sie in enger Verbindung zum Kreolischen, das auf den Kapverden gesprochen wird, weist aber auch einige Parallelen zu Kreolsprachen in der Karibik und im Golf von Guinea auf, was den kolonialen Entstehungskontext der Sprache untermauert. Zunächst primär von Kreolen gesprochen, weitete sie sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge der kolonialen Expansion auf zahlreiche Orte im Landesinnern aus und entwickelte sich von einer Mobilisierungs- und Kommandosprache im Unabhängigkeitskrieg und – als Konsequenz – staatlich anerkannten „Nationalsprache“ (neben der offiziellen Amtssprache Portugiesisch) zur Lingua Franca Guinea-Bissaus. Heute wird Kriol Schätzungen zufolge landesweit von etwa 80% der Bevölkerung verstanden und gesprochen und ist die dominante Sprache in den Audio-Medien, in Verwaltung und Politik sowie in der alltäglichen interethnischen verbalen Kommunikation.

2.) Primär weibliche Vereinigungen gegenseitiger Solidarität, so genannte Manjuandadi-Bünde, waren in der Kolonialzeit als Altersgruppen-Vereinigungen den Kristons vorbehalten. Nach der Unabhängigkeit dienten zahlreiche Manjuandadis als Transmissionsriemen der Frauenvereinigung der sozialistischen Einheitspartei des unabhängigen Guinea-Bissau, womit die geographische und gesellschaftliche Ausbreitung dieses Kulturmerkmals ihren Anfang nahm. Nach dem Ende des Einparteiregimes Anfang der neunziger Jahre mussten sich die Manjuandadis neue Finanzierungsquellen erschließen und fanden diese bei anderen Parteien und v.a. Nichtregierungsorganisationen. Dies führte zu einer Kommodifizierung des gesamten Manjuandadi-Genres, so dass der Begriff heute primär mit „Folkloregruppe“ assoziiert wird. Zudem werden mit dem Kriol-Begriff „Manjuandadi“ zunehmend Institutionen bezeichnet (z.B. „Rotating Savings and Credit Assiciations“, ländliche Altersgruppenbünde etc.), die zwar wie diese auf Geselligkeit und gegenseitiger Solidarität gründen, aber sonst von den Manjuandadis im engeren Sinn klar unterschieden werden können. Aktuelle Diskurse sind essentialistischer Natur: Kulturaktivisten und Vertreter rein „christlicher“ Manjuandadis negieren, dass es sich bei „muslimischen“ Manjuandadis um „echte“ Manjuandadis handelt. Nichtsdestoweniger sehen Bissau-Guineer Manjuandadis generell stolz als „landestypische“ Erscheinung an.

3.) Als eine den Kreolen vorbehaltene kulturelle Institution fungierte bis zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts auch der Karneval, der bis dato ausschließlich in den praças gefeiert wurde. im Rahmen der Massenmobilisierung durch die Jugendorganisation der Einheitspartei wurde der Karneval nach 1974 zentral als Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen organisiert. Karneval, der gemeinhin mit Antistruktur gleichgesetzt wird, wurde so zu einem staatlich gelenkten Massenevent. Der Wettbewerbscharakter neben der Hauptstadt später auch in den Hauptorten der Regionen – trug langfristig zur steigenden Beliebtheit bei – auch nach der Einführung des Mehrparteiensystems Anfang der neunziger Jahre. Ein weiterer Grund für die Ausbreitung von Karneval war die Tatsache, dass Angehörige verschiedener Ethnien sich in den vielschichtigen, ambivalenten Karnevalsperformances wiederfinden konnten. Im letzten Jahrzehnt trugen v.a. junge Bissau-Guineer, die vom Land stammen, aber in der Hauptstadt oder Regionalzentren Kontakt mit Karneval hatten, die Idee auch in kleinere Orte. Der Karneval wuchs so langfristig über die einstigen kreolischen Zentren hinaus und wandelte sich zu einem landesweit gefeierten, von vielen Bewohnern stolz als „Nationalfest“ charakterisierten jährlichem Ereignis.

Die Arbeit zeichnet im Folgenden die Ursprünge und Entwicklungslinien des bissau-guineischen Nationalismus nach, der maßgeblich von Kreolen getragen wurde. Den wichtigsten gesamtgesellschaftlichen Bezugspunkt für die nationale Identität und die postkoloniale Nationenbildung in Guinea-Bissau bietet bis heute die Ideologie nationaler Einheit, die Amílcar Cabral – ein „zivilisierter“ Kreole und Führer der siegreichen Unabhängigkeitsbewegung – verkündete und mittels derer er seit Ende der fünfziger Jahre zur nationalen Einheit aufrief. Cabral gelang es als erstem, die numerisch marginalisierten Kreolen langfristig mit den „indigenen“ Bissau-Guineern des Hinterlandes im Unabhängigkeitskampf (1963-1974) zu vereinen.

Vor diesem Hintergrund erörtere ich, wie sich kreolische und nationale Identität zum Teil überlappen – am markantesten im Falle vieler schwach ethnisierter Kreolen, die sich explizit als „[Bissau-]Guineer“ verstehen. Des Weiteren untersuche ich die Wechselbeziehungen zwischen nationaler Identität und ethnischen Identitäten am Beispiel der Balantas und bissau-guineischen Kapverdier. Ich komme zu dem Schluss, dass ethnische Heterogenität nicht zwangsläufig einem starken Nationalbewusstsein im Wege stehen muss, wie das Beispiel Guinea-Bissau zeigt. Allerdings muss man hierzu von eurozentrischen Konzeptionen des Nationalstaats Abschied nehmen, die von einer Kongruenz von Nation und Volk/Kultur ausgeht. Afrika – und so auch Guinea-Bissau – zeigt, dass auch ethnisch heterogene Staaten eine starke Identifikation mit der Nation hervorbringen kann. Zu beachten ist jedoch, dass ein endgültiges „Nation-Building“ in vielen afrikanischen Ländern erst mit der Unabhängigkeit einsetzte, Nationsbildung also erst nach der Staatsbildung erfolgte. Wie ich zuvor am Beispiel von Kriol, Manjuandadis und Karneval verdeutlichte, versuchte der unabhängige Staat eine partielle nationale kulturelle Integration herbeizuführen. Obwohl Guinea-Bissau auch in religiöser Hinsicht heterogen ist (Christentum, Islam, lokale Bekenntnisse), ist zu beachten, dass viele Bissau-Guineer religiöses „Forum-Shopping“ betreiben, was zur gesellschaftlichen Integration beiträgt. Allerdings ist das Verhältnis der verschiedenen Glaubensvorstellungen durch eine symbolische Vormachtstellung des Christentums geprägt.

Seitens der Bevölkerung wird deutlich zwischen „Nation“ einerseits und „Staat“ andererseits unterschieden. Während sich viele Bissau-Guineer ihrer Nation mit Stolz verbunden fühlen, grenzen sie sich vom Staat weitgehend ab und machen diesen für politische Instabilität und sozioökonomischen Niedergang verantwortlich. Ein Großteil – wenn nicht die Mehrheit – der Bissau-Guineer empfinden sich als gemeinsame Opfer des Versagens ihres Staates, eine Gemeinsamkeit, die auf ihrer Seite zum nationalen Zusammenhalt in Opposition zum bzw. in Abgrenzung vom Staat beiträgt.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass kreolische Identität in Guinea-Bissau historisch wie aktuell zum Teil eng mit indigenen ethnischen Identitäten verknüpft war und ist. Der Einfluss von Kreolen und kreolischer Kultur auf postkoloniale Nationsbildungsprozesse waren und sind erheblich: Nicht nur waren Kreolen führend in nationalistischen Bewegungen, die schließlich die Unabhängigkeit der Kolonie erwirkten, vertreten. Darüber hinaus haben kreolische Kulturrepräsentationen maßgeblich zur interethnischen, nationalen Integration im unabhängigen Guinea-Bissau beigetragen.

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