Getting Along in the Grassfields: interethnic relations and identity politics in Northwest Cameroon

Michaela Pelican
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Date of Defense | Tag der Verteidigung
12.2.2006

Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Burkhard Schnepel

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German summary | Deutsche Zusammenfassung

Im Zentrum meiner Studie steht die Frage nach den Faktoren, die ein Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen in einem kulturell und ethnisch heterogenen Umfeld positiv oder negativ beeinflussen. Dieser Fragestellung gehe ich im Kontext einer Kleinstadt in Nordwestkamerun (auch bekannt als das Kameruner Grasland) nach, in der ich zwischen August 2000 und Januar 2002 vierzehn Monate Feldforschung durchgeführt habe.

In meiner Arbeit befasse ich mich mit drei Bevölkerungsgruppen (Grasländer, Hausa und Mbororo) und untersuche ihre Identitätskonstrukte und Interaktionsmuster. Weiterhin beschäftige ich mich mit der Rolle des kamerunischen Staates, einschließlich der kolonialen Administration, in der Gestaltung interethnischer Beziehungen. Während ich in der Analyse ethnischer Identitäten nahezu 100 Jahre gemeinsamer Präsenz der erwähnten Gruppen im Kameruner Grasland berücksichtige, konzentriere ich mich in der Untersuchung lokaler Konfliktstrategien auf die 1990er Jahre und die Jahrtausendwende, die von den Auswirkungen der politischen und ökonomischen Liberalisierung Kameruns geprägt waren.

Ich habe meine Studie Getting along in the Grassfields betitelt, was mit „Zurechtkommen im Kameruner Grasland“ übersetzt werden kann. Dieser Titel verweist auf zwei wichtige Dimensionen des ethnischen Zusammenlebens, nämlich das eigene Überleben zu sichern und sich in das lokale politische und soziale Gefüge einzugliedern, d.h. mit Nachbargruppen und staatlichen Strukturen zurechtzukommen. Divergierende Interessen und gelegentliche, kleinere Konflikte sind ebenfalls Teil interethnischer Beziehungen und werden von der lokalen Bevölkerung als relativ normal wahrgenommen. Im Kontext der politischen Veränderungen der 1990er Jahre kam es jedoch zu schwerwiegenderen Auseinandersetzungen, die das Zusammenleben von Grasländern, Mbororo und Hausa infrage stellten. In meiner Studie fokussiere ich solche kritischen Momente, untersuche aber auch Mechanismen, die zu ihrer sozialen Integration beitragen.

Zentrale Themen meiner Forschung sind:

  • die Rolle von Ethnizität im lokalen Selbstverständnis sowie in der Wahrnehmung lokaler Konflikte
  • das Wechselspiel zwischen rivalisierenden Gruppeninteressen, staatlicher Vermittlung und Strukturen politischer Repräsentation
  • die Bedeutung sozio-ökonomischer Überlappungsbeziehungen (cross-cutting ties) flur das ethnische Zusammenleben
  • lokale Konfliktlösungsstrategien im Rahmen pluralistischer Rechtssysteme und globaler Minderheiten- und Menschenrechtsdiskurse
  • die gegenwärtige Relevanz „okkulter Ökonomien“ (Comaroff & Comaroff 1999a) im intra- und interethnischen Alltag.

Der analytische Rahmen meiner Studie setzt sich aus Theorien zu Ethnizität, und Integration und Konflikt zusammen. In Anlehnung an Frederik Barth (1998 [19691) verstehe ich Ethnizität als eine sozial konstruierte, kollektive Identität, die historisch und politisch eingebettet ist und sich insbesondere an Gruppengrenzen artikuliert. In meiner Arbeit verfolge ich daher eine historische Herangehensweise und untersuche Veränderungen im ethnischen Selbstverständnis der Grasländer, Mbororo und Hausa in Zusammenhang mit Migration und Sesshaftwerdung sowie dem Zusammentreffen mit anderen Gruppen und der Kolonialregierung. In diesem Kontext beschäftige ich mich auch kritisch mit der Frage, inwieweit ethnische Identitäten als Produkte der Kolonialzeit zu verstehen sind, beziehungsweise welche Rolle koloniale Klassifikationen im heutigen Alltag spielen.

In Bezug auf Theorien zu Integration und Konflikt nutze ich die Ansätze von Günther Schlee zu „Integration durch Differenz“ (20001a) und zu Überlappungsbeziehungen (1997, 2000, 2004) sowie die Konfliktmodelle von Georg Elwert (2001, 2002b, 2004, 2005) und der Manchester school. Schlee (2001a, 2003a, 2003c) weist darauf hin, dass Integration weder mit Gleichheit, noch Konflikt mit Differenz gleichzusetzen sind. Differenz kann ebenso ein Modus der Integration sein, wie Beispiele wirtschaftlicher Komplementarität belegen. Zugleich zeigt Schlee (1997, 2000, 2004) anhand verschiedener Fallstudien, dass auch cross-cutting ties keine Garantie für soziale Kohäsion sind, wie es von Gluckman (1973 [1966]) postuliert wurde. Diese beiden Ansätze sind insbesondere relevant für meine Untersuchung sozialer und ökonomischer Beziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Bevölkerungsgruppen. In meiner Analyse lokaler Konfliktstrategien stütze ich mich auf Elwerts (2001, 2002b, 2004, 2005) Modell, das Konflikte in einem analytischen Feld von vier Polen unterschiedlicher Handlungsmodi verortet. Die vier Konfliktaustragungsformen sind Krieg, Zerstörung, Meidung und Verfahren, die sich durch mehr oder weniger Gewalt und stärkere oder schwächere soziale Einbettung unterscheiden. Weitere relevante Ansätze sind die von Victor Turner (1967, 1995 [1957]) entwickelten Konzepte des sozialen Dramas (social drama), das auf die Prozesshaftigkeit von Konflikten verweist, sowie der Multivokalität von Symbolen. Einige Ergebnisse meiner Auseinandersetzung mit diesen Theorien sind weiter unten ausgeführt.

In methodischer Hinsicht unterscheidet sich meine Studie von vielen früheren Arbeiten zu Ethnizitat dahingehend, dass sie sich nicht nur auf eine Gruppe konzentriert, sondern drei ethnische Gruppen m gleichem Umfang berücksichtigt. In diesem Zusammenhang habe ich mich an den Studien von Philip Burnham (1996) zu Nordkamerun und von Thomas Hylland Eriksen (1998) zu Mauritius orientiert, die mich auch inhaltlich zu Vergleichen anregten.

In Bezug auf meine Feldforschung ist anzumerken, dass ich ein Team von fünf MitarbeiterInnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in meine Untersuchungen integrierte, deren individuelle Starken und Zugange zu lokalen Gruppen die Fragestellungen sowie die Forschungsergebnisse wesentlich beeinflussten. Neben qualitativen und quantitativen Methoden haben wir Ansätze aus der visuellen und Theaterethnologie angewandt, die zusätzliche Daten hervorbrachten und das lokale Verständnis für meine Forschung förderten.

Während sich meine Studie in das Feld der Ethnizitäts- und Konfliktforschung einordnet, tragt sie auch zur Grasland-, FulBe- und Hausa-Forschung bei. In die Graslandforschung bringe ich neue thematische und regionale Perspektiven ein, da sich die Kleinstadt Misaje sowohl als koloniales Produkt als auch durch ihren multiethnischen und kosmopolitischen Charakter von „traditionellen“ Graslanddörfern abhebt. Mein Beitrag zur FulBe-Forschung bezieht sich auf meine Untersuchungen zu den Mbororo, die zur ethnischen Kategorie der FulBe gehören. So belegt das Beispiel der Mbororo im Kameruner Grasland, dass es keine allgemein anwendbaren Kriterien zur Bestimmung des „FulBetums“ gibt und es daher – wie bereits von Diallo, Guichard und Schlee (2000) hervorgehoben – unumgänglich ist, FulBe-Gruppen in ihren regionalen Kontexten und in Beziehung zu ihren Nachbargruppen zu untersuchen. Mein Beitrag zur Hausa-Forschung zeichnet sich durch eine Gender-Perspektive aus, zumal ich die bestehende Literatur mit der Perspektive von Hausa-Frauen auf ihre Gemeinschaft und Geschichte im Karneruner Grasland ergänze.

Ausgewählte Ergebnisse

Misaje, der Hauptort meiner Untersuchungen, befindet sich im anglophonen Teil Kameruns und ist das administrative Zentrum des gleichnamigen Distrikts. Misaje zählt ungefähr 7000 Einwohner; weitere ca. 4000 leben im Umland, das ebenfalls Teil meines Forschungsgebiets darstellt. Der Grossteil der Bevölkerung setzt sich aus Mitgliedern lokaler Graslandgruppen zusammen, die sich seit mehreren Jahrhunderten hier angesiedelt haben und vorwiegend vom Feldbau leben. Die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind Mbororo, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das Kameruner Grasland einwanderten und sich mit ihren Rindern abseits von bäuerlichen Siedlungen in den Weidegebieten niedergelassen haben. Eine dritte Bevölkerungsgruppe, präsent in einigen dörflichen und städtischen Zentren, einschließlich Misaje, stellen die Hausa dar. Sie können als eine ethnisch heterogene Kategorie aufgefasst werden, die sowohl die Nachkommen aus Nordnigeria stammender Fernhandelsleute als auch städtische FulBe aus Nordkamerun und Nigeria sowie zum Islam konvertierte Grasländer einschließt. Mbororo und Hausa sind Muslime und bilden gemeinsam eine religiöse Minderheit gegenüber den Graslandgruppen, deren Mitglieder größtenteils Anhänger christlicher oder lokal-afrikanischer Glaubensgemeinschaften sind. Daneben gibt es weitere Bevölkerungsminderheiten, die sich in Misaje und Umland angesiedelt haben, wie z.B. Arbeitsmigranten aus anderen Regionen des Kameruner Graslands. Sie bleiben in meiner Studie jedoch weitgehend unberücksichtigt.

Meine Arbeit zeigt, dass das ethnische Selbstverständnis der untersuchten Gruppen historisch gewachsen ist und sich im Rahmen von Migration, Sesshaftwerdung, dem Zusammentreffen mit anderen Gruppen und der kolonialen Regierung, sowie im Kontext der ökonomischen und politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wesentlich verändert hat. Zugleich wird deutlich, dass die drei Bevölkerungsgruppen ihre Identität in grundlegend unterschiedlicher Weise definieren. Während die Grasländer ein inklusives Ethnizitätsmodell praktizieren, in dem Zugehörigkeit im weitesten Sinn auf Territorialität basiert, ist das Selbstverständnis der Mbororo weitaus exklusiver und betont Deszendenz. Hausa-Ethnizität ist dagegen vage definiert und akzentuiert muslimische Identität als Hauptkriterium der Zugehörigkeit. In Anwendung etischer Modelle aus der Ethnologie könnten wir das Identitätskonzept der Grasländer als interaktionalistisch, der Mbororo als primordialistisch und der Hausa als konstruktivistisch beschreiben.

Die unterschiedlichen emischen Konzeptionen von Ethnizität wirken sich auf die Interaktion zwischen Mitgliedern der drei Gruppen aus, da sie auch mit abweichenden kulturellen Logiken einhergehen. Weiterhin unterscheiden sich die drei Bevölkerungsgruppen in ihren Strategien der politischen Repräsentation gegenüber dem Staat. Aus einem regionalen Vergleich mit Nordkamerun (Burnham 1996) und Südnigeria (Cohen 1969) geht jedoch hervor, dass die stärkere Politisierung der Grasländer und Mbororo im Vergleich zu den Hausa nicht als Folge ihrer unterschiedlichen Ethnizitätskonzepte interpretiert werden kann, sondern durch historische, materielle und politische Faktoren bedingt ist. Im Kameruner Grasland sind hierfür insbesondere Divergenzen m der Größe und dem wirtschaftlichen Einfluss der Bevölkerungsgruppen, sowie ihre unterschiedliche Behandlung durch die koloniale und post-koloniale Politik, als auch das Vorhandensein bzw. Fehlen einer Bildungselite mit internationalen Beziehungen von Bedeutung.

Ein wichtiger Akteur in der Definition und Betonung von Ethnizität ist der kamerunische Staat. Wie Peter Geschiere (2001a) und zahlreiche andere Autoren herausgestellt haben, war Kameruns Demokratisierung begleitet von einer zunehmenden Ethnisierung der Politik, welche sich unter anderem in der Formierung ethnischer Eliteorganisationen niederschlug. In diesem Zusammenhang muss auch die Dimension internationaler Entwicklungspolitik und globaler Rechtsdiskurse in die Analyse einbezogen werden, zumal Kameruns politische und ökonomische Liberalisierung auf internationalen Druck erfolgte und die Verfassungsänderungen von 1996 globale Diskurse zu Minderheits- und kulturellen Rechten widerspiegeln.

In ähnlicher Weise sind die Strategien lokaler Akteure von der Aneignung nationaler und internationaler Diskursen geprägt. So bedienen sich die Grasländer der Idiome der Autochthonie bzw. Anteriorität („das Recht der Erstgekommenen“), um ihre Forderungen zu unterstützen, während sie die Mbororo und Hausa als „Fremde“ und „Spätergekommene“ bezeichnen (zu den entsprechenden Diskursen siehe auch Geschiere & Nyamnjoh 2000, 2001; Lentz 2005). Im Gegensatz dazu berufen sich die Mbororo auf Diskurse zum Schutz von Minderheiten und erheben zugleich Anspruch auf den Status einer einheimischen Bevölkerungsgruppe.

Sowohl Grasländer als auch Mbororo haben sich in ethnischen Eliteorganisationen formiert. Die Mbororo sind jedoch auf nationaler Ebene erfolgreicher, was unter anderem auf ihre Vernetzung mit internationalen Organisationen sowie ihre beträchtliche Gruppengröße im nationalen Kontext zurückzuführen ist

Neben der aktuellen Politik muss auch ihr kolonialer Vorläufer in Betracht gezogen werden. Hier ist zu betonen, dass die britische Kolonialregierung dazu beitrug, das Verhältnis zwischen Grasländern und Mbororo als geprägt von ökonomischen Interessengegensätzen zu definieren. Zugleich wurde das politische Selbstbewusstsein beider Gruppen wechselseitig gefördert, zumal die britische Administration zwischen den Optionen schwankte, den Mbororo direkte politische Vertretung zu gewähren bzw. sie lokalen Graslandgruppen unterzuordnen.

Im Rahmen meines thematischen Schwerpunkts zu Integration und Konflikt untersuche ich verschiedene Momente des ethnischen Zusammenlebens. So kann das Kameruner Grasland als ein Beispiel für Schlee’s (2001a) Theorie der „Integration durch Differenz“ gelten. Grasländer, Mbororo und Hausa unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: Sie haben unterschiedliche Konzeptionen von Ethnizität, gehören verschiedenen Religionsrichtungen an, haben abweichende politische Strukturen und haben sich in unterschiedlichen wirtschaftlichen Bereichen spezialisiert. Der Faktor der ökonomischen Komplementarität ist besonders relevant und wird von lokalen Akteuren als wesentliche Grundlage ihrer Koexistenz betont. Im Lauf der letzten fünfzig Jahre haben sich jedoch ethnische Differenzen vermindert und zu Rivalitäten um wirtschaftliche und politische Ressourcen beigetragen. Auch im religiösen Bereich zeigt sich eine Abnahme der Differenz, z.B. sind einige Grasländer zum Islam übergetreten, und seit kurzem werden auch Muslime der Teilhabe an okkulten Ökonomien verdächtigt.

Als eine Folge alltäglicher Interaktion sind Überlappungsbeziehungen zwischen Grasländern, Mbororo und Hausa entstanden, die sich in gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen sowie interethnischen Heiraten und Freundschaften widerspiegeln. Solche cross-cutnng ties wirken sich im interethnischen Alltag integrativ aus, verlieren jedoch im Kontext wirtschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen an Einfluss. Weiterhin bestätigt meine Studie Schlees (1997, 2000, 2004) Hypothese, dass die Bedeutung von Überlappungsbeziehungen darin liegt, wie sie von Akteuren genutzt werden, und dass sie eine rasche Wiederaufnahme sozialer Beziehungen nach Beendigung eines möglichen Konfliktes begünstigen.

In meiner Untersuchung ethnischer Konflikte konzentriere ich mich auf zwei größere Auseinandersetzungen, die sich 1997 bzw. 2001 in der Misaje Division ereignet haben und in deren Verlauf sich die lokale Bevölkerung in ethnische bzw. kulturelle Einheiten polarisiert hat. Weiterhin untersuche ich kleinere, immer wiederkehrende Konflikte, wie z.B. Auseinandersetzungen, die aus Flurschäden, Viehdiebstahl oder Hexereianschuldigungen resultieren.

Die lokale Bevölkerung im Kameruner Grasland tendiert dazu, Konflikte als Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen wahrzunehmen, obwohl ihre Ursache meist in ökonomischen und politischen Rivalitäten liegt. So ist z.B. das Verhältnis zwischen Grasländern und Mbororo überschattet von Diskursen zu Bauern- Hirten Konflikten, die sich aus etablierten ethnischen Stereotypen speisen. Ein weiteres, illustratives Beispiel ist der Konflikt von 1997, der sich im Kontext der Einsetzungsfeierlichkeiten des lokalen Graslandskönigs ereignete und das Zusammenleben von Grasländern und Muslimen infrage stellte. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung waren divergierende religiöse Normvorstellungen, die sich trotz Bemühungen um eine Kompromisslösung nicht vereinbaren ließen. In der Folge nahm der Konflikt eine politische Dimension an, in der beide Gruppen die religiöse und politische Autorität der jeweils anderen anfochten. Dies gipfelte in einer symbolischen Gegenüberstellung, die – als sie drohte, gewaltsame Ausmaße anzunehmen – durch das Eingreifen des Distriktverwalters beendet wurde. Die Besonderheit dieses Konflikts liegt in seinem konfrontativen und subversiven Charakter, den ich dem politischen Umfeld der 1990er Jahre und der damals hohen Gewaltbereitschaft zuschreibe. Während zu einem früheren Zeitpunkt religiöse, kulturelle und oft auch politische Differenzen durch gegenseitiges Meidungsverhalten aufgelöst wurden, waren in diesem Fall beide Gruppen bereit, ihre Ansprüche falls nötig gewaltsam durchzusetzen.

Im Gegensatz dazu haben sich zu Beginn der Jahrtausendwende alternative Strategien der Konfliktlosung durchgesetzt, die sich an internationalen Rechtsdiskursen orientieren. Dies belege ich am Beispiel einer Kontroverse, die sich während meines Aufenthaltes im Sommer 2001 ereignete und vor allem die lokale Graslandgruppe der Bessa und die Mbororo betraf. Es handelte sich um einen Konflikt, der aus einem Mordfall erwuchs, jedoch auf persönlichen Rivalitäten und Streitigkeiten um Land basierte. Der Mordverdacht fiel auf ein einflussreiches Mbororo-Individuum, dessen vermeintliches Fehlverhalten von der Elitevereinigung der Bessa zum Anlass generalisierter Sanktionen gegen die Mbororo-Gemeinschaft genommen wurde. Anders als im oben beschriebenen Konflikt von 1997 kam es hier weder zu symbolischen noch gewaltsamen Auseinandersetzungen, sondern es wurden rituelle Maßnahmen sowie staatlich-rechtliche Verfahren bevorzugt.

Unter Anwendung des Konfliktmodells von Georg Elwert (2001, 2002b, 2004, 2005) lässt sich die Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre von eher konfrontativen zu politisch-rechtlichen Konfliktstrategien als eine Verlagerung von „Zerstörung“ zu „Verfahren“ interpretieren. Eine detaillierte Analyse der beiden Konflikte von 1997 und 2001 zeigt jedoch, dass Akteure dazu tendieren, gleichzeitig sowie nachfolgend eine Vielfalt verschiedener Strategien anzuwenden. Es ist daher hilfreich, Elwerts eher statisches Modell der vier Konfliktaushandlungsformen mit dem prozesshaften Ansatz der Manchester school, insbesondere dem Konzept des social drama von Viktor Turner (1967) zu verbinden. Weiterhin stützen meine Untersuchungen Elwerts These, zwischen abgeschlossenem und anhängigem Verfahren zu unterscheiden. Abgeschlossene Verfahren zeichnen sich unter anderem durch das Aussetzen von Machtdifferenzialen aus, sowie durch bindende Handlungskonsequenzen. Anhängige Verfahren hingegen sind ohne Konsequenzen und führen nicht zu Konfliktlösung, sondern zu dessen Perpetuierung. Diese Situation trifft weitgehend auf staatlich-rechtliche Verfahren in Kamerun zu, die von mangelnden staatlichen Mitteln und Korruption überschattet sind. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die neue Tendenz zu bürgerrechtlich orientierten Verfahrensmethoden langfristig dazu beiträgt, das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen im Kameruner Grasland positiv zu gestalten.

Abschließend wende ich mich Diskursen zu okkulten Ökonomien zu, die in weiten Teilen Kameruns verbreitet sind (siehe z.B. Geschiere 1997a) und in Misaje besonders in den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Der Begriff „okkulte Ökonomien“ wurde von John und Jean Comaroff (1999a) geprägt und bezeichnet das Einsetzen magischer Mittel für materielle Ziele. In Misaje gibt es zahlreiche Diskurse, die erklären, wie Individuen zu Tode und andere zu Reichtum gekommen sind. Viele dieser Diskurse werden mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen assoziiert, so dass man von einer scheinbaren Ethnisierung okkulter Ökonomien sprechen kann. Tatsächlich jedoch basiert diese Zuschreibung nicht auf vermeintlich ethnischen Charakteristika, sondern auf wirtschaftlichen und historischen Bedingungen.

Weiterhin sind Diskurse zu okkulten Ökonomien ein Bereich in dem Integrations und Abgrenzungsstrategien aufeinander treffen. Während Mbororo und Hausa aus Sicht der Grasländer über lange Zeit von okkulten Machenschaften ausgenommen waren, wurden sie in den letzten Jahren ebenfalls in die Kategorie möglicher Täter aufgenommen. Mbororo und Hausa dagegen distanzieren sich von der Hexerei der Grasländer und berufen sich auf ihren muslimischen Glauben sowie die Fähigkeiten ihrer religiösen Fachleute.

Schließlich spielen okkulte Ökonomien bzw. die Suche nach effektiven Methoden ihrer Eingrenzung auch in das Gebiet des Rechtspluralismus. Hier haben sich „traditionelle“ sowie staatlich-legale Verfahrensmethoden etabliert, die von der lokalen Bevölkerung als unterschiedlich effizient wahrgenommen werden, und die in ungleichem Maße sozial eingebettet sind. Weiterhin haben sich Ende der 1990er Jahre als Reaktion auf gewaltsame Übergriffe auf Hexereiverdächtigte auch regionale, christlich orientierte Menschenrechtsorganisationen an der Debatte um die Kontrolle okkulter Ökonomien beteiligt, sodass lokale, nationale und globale Rechtsdiskurse und religiöse Moraldiskurse zusammenkamen.

Kapitelübersicht

Die Studie setzt sich aus elf Kapiteln zusammen. Kapitel 1 und 2 führen in die Thematik ein und stellen die Untersuchungsregion vor. Kapitel 3 und 10 befassen sich mit akuten Konfliktsituationen und stecken den zeitlichen Rahmen der Studie ab. Kapitel 4, 5 und 7 behandeln die historische Etablierung der drei Untersuchungsgruppen sowie die Entwicklung ihrer Identitätskonzepte. Kapitel 6, 8 und 9 beschäftigen sich mit relevanten Aspekten inter- und intra-ethnischer Beziehungen. Kapitel 11 schließt die Studie mit einer Zusammenfassung ab.

Im ersten Kapitel erläutere ich die zentrale Fragestellung, diskutiere relevante theoretische Ansätze zu Ethnizität, und Integration und Konflikt, und beschreibe meine Feldforschungsmethoden. Das anschließende zweite Kapitel gibt eine kurze Übersicht über die politische Geschichte Kameruns mit speziellem Fokus auf das Kameruner Grasland und führt Misaje sowie den Misaje-Distrikt ein, indem Siedlungsgeschichte, administrative Organisation und ethnische Zusammensetzung beschrieben werden. Kapitel 3 untersucht den Konflikt, der sich 1997 im Rahmen der Einsetzungsfeierlichkeiten des lokalen Graslandskönigs ereignete, in seiner symbolischen und praktischen Dimension und analysiert lokale Konfliktstrategien. Im vierten Kapitel rekonstruiere ich die Geschichte der lokalen Graslandgruppe der Nchaney auf der Grundlage oraler Traditionen und kolonialer Berichte und zeige Veränderungen im Nchaney-Selbstverständnis auf. Gleichermaßen beschreibe ich im fünften Kapitel die historische Entwicklung der Mbororo im Kameruner Grasland, insbesondere ihre Etablierung im Misaje-Distrikt und diskutiere neue Strategien politischer Repräsentation. Kapitel 6 befasst sich mit wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen Grasländern und Mbororo und untersucht lokale Diskurse zu Bauern-Hirten Konflikten und zu Rinderdiebstahl. In Kapitel 7 erörtere ich die historische und wirtschaftliche Entwicklung der Hausa im Kameruner Grasland und suche nach den Gründen für ihre fehlende politische Mobilisierung der 1990er Jahre. Kapitel 8 beschäftigt sich mit Prozessen des Identitätswechsels (identity switching) und sozio-ökonomischen Überlappungsbeziehungen. Untersucht werden insbesondere Fälle religiöser Konversion von Grasländern zum Islam, interethnische Ehen, sowie Freundschaften zwischen Mbororo und Grasländem. Im neunten Kapitel analysiere ich Diskurse zu okkulten Ökonomien und ihre Bedeutungen für intra- und interethnische Beziehungen. Kapitel 10 ist ebenfalls der Thematik lokaler Konfliktstrategien gewidmet, fokussiert jedoch auf die frühen 2000er Jahre und analysiert den Konflikt, der sich aus dem ungeklärten Mordfall in der Misaje-Region ergab. Im elften und letzten Kapitel fasse ich die Argumente zu Ethnizität, und Integration und Konflikt zusammen und setzte sie in Beziehung zu den Ergebnissen vergleichbarer Studien, insbesondere den Arbeiten von Philip Burnham (1996) zu Nordkamerun und von Dereje Feyissa (2003) zur Gambela-Region in Äthiopien.

Abschließend möchte ich meinen Dank aussprechen an Günther Schlee und das MaxPlanck-Institut für ethnologische Forschung für die intellektuelle und finanzielle Unterstützung, sowie an Burkhard Schnepel und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dafür, dass sie mich als Promotionskandidatin akzeptiert und gefördert haben.

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