Migration and Conflict. The Integration of Burkinabe Migrants Displaced from Côte d’Ivoire

Andrea Riester
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Migration and Conflict. The Integration of Burkinabe Migrants Displaced from Côte d’Ivoire

Viertens: In dieser Dissertation werden migrantische und andere Identifikationen jeweils nicht als Essenz einer Person begriffen. Die Ergebnisse der Feldforschung widerlegen jeden Versuch der Essentialisierung und zeigen stattdessen, dass Individuen im Kontext von Migration ein breites Spektrum an Identifikationsmöglichkeiten nutzen können. Migranten wie Nicht-Migranten können bestimmen, welche Identifikationsmerkmale, seien es ethnische, religiöse, soziale, berufliche oder migrationsbezogene, sie betonen und welche sie herunterspielen wollen. Der vorliegende Text demonstriert dies anhand von aufgezeichneten Gesprächen und beobachteten Interaktionen und will auf diese Weise zur Weiterentwicklung des Transnationalismusansatzes in der Ethnologie beitragen. In der bisherigen Forschung wurde insbesondere die Rolle des Nationalstaates nicht genügend berücksichtigt. Studien zu Transnationalismus waren vor allem darauf gerichtet, den methodologischen Nationalismus des Integrationsdiskurses zu überwinden (Wimmer und Glick Schiller 2003), wobei die Aktivitäten staatlicher Akteure und deren Auswirkungen auf das Migrationsgeschehen vernachlässigt wurden. Die Interaktion zwischen Migranten, Nicht-Migranten und Vertretern des Nationalstaates, die nach Norbert Elias (1995) als „Figuration“ bezeichnet werden kann, bestimmt das Ergebnis der Integrationsprozesse und bildet daher den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung.

Fünftens: Ein vorherrschendes Muster bzw. eine Figuration, die sich aus diesen Wechselwirkungen in Burkina Faso ergab, bestand darin, dass die Vertriebenen, die sich im Südwesten Burkina Fasos niederließen, drei Möglichkeiten hatten: Entweder sie nahmen die Rolle des Kriegsopfers an, durch die sie Zugang zu staatlichen Hilfsleistungen erhielten. Oder aber sie nahmen die Rolle des aussichtsreichen Unternehmers an, durch die sie dann an staatlichen Entwicklungsprojekten teilnehmen konnten. Oder aber sie versuchten die Tatsache, dass sie rapatriés waren, vollkommen vergessen zu machen, indem sie andere Identifikationsmöglichkeiten, wie Familie, ethnische Gruppe, Religion oder Nachbarschaft, betonten. Enrolment, d.h. Rollenfestschreibung, nach Callon (1986) erweist sich als nützliches Instrument, mit dem soziale Integration auf der lokalen Ebene untersucht werden kann, da es ermöglicht, zwischen verschiedenen und möglicherweise konfligierenden Perspektiven auf die Rolle der Migranten zu unterscheiden.

Sechstens: Die soziale Integration der Vertriebenen in Batié war vor allem durch Ambivalenz (Bauman 1998[1991]) seitens der ihrerseits multiethnisch und multireligiös strukturierten lokalen Bevölkerung geprägt. Nach Bauman wurde diese Ambivalenz dadurch hervorgerufen, dass der burkinische Nationalstaat nicht in der Lage war, seine Klassifikation der Vertriebenen als repatriierte Bürger des Landes auf lokaler Ebene durchzusetzen. Weder Assimilation noch Segregation erwiesen sich als erfolgreiche Strategien, um mit der Massenankunft umzugehen, so dass letztendlich die Klassifikation von jedem Einzelnen individuell geleistet werden musste. Den Vertriebenen standen zwar, wie oben beschrieben, eine Reihe von Integrationspfaden zur Verfügung, jedoch wurden sie in Batié als homogene Gruppe wahrgenommen, und als solches wurde ihnen mit dem Auftreten von Konkurrenz durch die lokale Bevölkerung pauschal Misstrauen entgegengebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Ambivalenz sich unter den augenblicklichen politischen und sozialen Gegebenheiten in Burkina Faso auflösen lässt.

Siebtens und letztens: Das Muster, das sich aus den Interaktionen zwischen Migranten, Nicht-Migranten und staatlichen Akteuren ergibt, ist nicht chaotisch, unterscheidet sich aber deutlich von den Absichten, die die Regierung und die Entwicklungsakteure mit ihren Maßnahmen verfolgen. Obwohl diese vorgeben, humanitäre Hilfe zu leisten und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, tragen ihre Aktivitäten im Namen der rapatriés jedoch zur Verschärfung von Konflikten bei. Stereotypen und Vorurteile sind zwar menschliche Universalien, aber ihr Vorhandensein kann im Rahmen von Konflikten instrumentalisiert werden, was diese wiederum verschärft (Schlee 2006). In Batié führte die Ankunft der Vertriebenen zu erhöhtem Wettbewerb um Landressourcen, was durch die Interventionen der staatlichen Akteure noch verschlimmert wurde und zu ethnischen Spannungen zwischen Mossi auf der einen und weiteren ethnischen Gruppen, insbesondere aber den als autochthon geltenden Birifor, auf der anderen Seite führt.
Im Rahmen dieser Dissertation konnte nicht weiter untersucht werden, ob es wahrscheinlich ist, dass sich diese ethnischen Spannungen ausweiten werden oder nicht, obwohl es Anzeichen dafür gibt. Angesichts der anstehenden Präsidentschaftswahlen in Cote d’Ivoire und in Burkina Faso im Jahr 2010 wird dies eine bedeutende Fragestellung für die ethnologische Westafrikaforschung bleiben.


[1] Côte d’Ivoire ist der bei den Vereinten Nationen offiziell registrierte Name des Landes, weshalb er auch in diesem Text duchgängig verwendet wird.

[2] Hafenstadt am westlichen Ende der ivorischen Küste.

[3] Erdherren sind in vielen Teilen Westafrikas die Oberhäupter autochthoner Familien, die sowohl politische als auch spirituelle Aufgaben haben können. Im Rahmen dieser Dissertation wird nur ihre Rolle bei der Zuteilung von Land an Neuankömmlinge behandelt werden. Über Erdherren im Allgemeinen s. Boutillier (1964), Dittmer (1961) und Verdier (1965).

Go to Editor View