Dissertation Thesis

Markus Rudolf
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Auch die Dauer des Konfliktes und die Qualität der Friedensbemühungen lassen sich mit den spezifisch lokalen sozio-strukturellen Gegebenheiten in Verbindung setzen (Kapitel 6). In der dezentralen, heterarchischen (nebeneinander statt übereinander geordnet) Gesellschaftsordnung der autochthonen Gruppen in der Casamance, wird nur die ‘Concession’ (Haushaltsgemeinschaft die ein Stück Land gemeinsam bewirtschaftet) als einzig legitime Autorität anerkannt. Die Untersuchung zeigt, dass u.a. im Konfliktfall alle darüber hinausgehenden Entscheidungen situativ, flexibel und individuell ausgehandelt werden müssen. Der Konflikt verharrt auf einem Niveau niedriger Intensität, obwohl mit einer Militarisierung in den 90ern Öl ins Feuer gegossen wurde, weil situative und dezentrale Strukturen weiterhin den Kontakt aller Beteiligten ermöglichen. Außerdem setzen diese Strukturen einen normativen, sozial kontrollierten Rahmen. Frauen und Kinder sind im Unterschied zu Konflikten in der Nachbarschaft nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Das Ausmaß der Gewalt ist vergleichsweise klein und Schreckensmeldungen, wie Massaker und Verstümmelungen selten.

Aufgrund dieser Bedingungen hat sich ein Gewaltmarkt (Elwert 1999) etabliert, der lokal als ‘Marché de la Paix’ bezeichnet wird. Dieser Gewaltmarkt bestimmt die Handlungslogik der Akteure. Sowohl die Gewaltunternehmer, wie die Vermittler agieren innerhalb der Logik eines Systems, das sich auf Gewalt, Gewaltandrohung und Gewaltvermeidung gründet. Die gegen den Staat gerichtete Unabhängigkeitsbewegung bestimmt sich durch Forderungen an den Staat. D.h. der Staat wendet eine Taktik von ‘Teile und Herrsche’ an, die die Existenz einiger Splittergruppen nicht nur verursacht hat, sondern diese Gruppen auch noch am Leben erhält, ohne dass sie kontrollierbar sind. Friedensvermittler und internationale Organisationen schreiben sich auf die Fahnen die Bedrohung von Land und Leuten ändern zu wollen, ermöglichen sich aber zugleich damit selbst ein Auskommen; in zweiter Linie liefern sie außerdem den Kampfpartien ihre Daseinsberechtigung. Diverse Gruppen profitieren außerdem von der weitgehenden Unsicherheit in der Region (Militärs, Rebellen, Kriminelle), indem sie außerlegale Aktivitäten betreiben. D.h. alle sichern sich in der jetzigen Situation in gewisser Weise gegenseitig ihr Auskommen.

Die letztgenannten Faktoren erhalten den Konflikt am Laufen haben ihn aber nicht verursacht. Die illegalen Aktivitäten z.B. scheinen noch nicht einmal ausreichend profitabel, bzw. in einem solchem Ausmaß auf den Konflikt angewiesen zu sein, dass sie diesen am Laufen halten. Der Konflikt lässt sich eher auf eine große Anzahl sich wechselseitig verstärkender Faktoren zurückführen, die wiederum durch den Konflikt verstärkt und ins Bewusstsein der Akteure gekommen ist. Der Staat und die internationale Gemeinschaft können dem nichts entgegensetzten, da auf makropolitischer Ebene keine Konfliktlösungen gefunden werden. Die Anzahl der Vermittlungsversuche ist ebenso beeindruckend wie ihre Folgenlosigkeit. Die offiziellen Friedensvermittlungen können also nur indirekt dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Konflikt auf einem niedrigen Niveau der Gewalt verbleibt: Indem sie zum Auskommen von Teilen der MFDC Kräfte beitragen, können sie deren Motivation Gewalt anzuwenden um ihr eigenes wirtschaftliches Überleben zu sichern wenigstens zeit- und teilweise senken.

Eine Vermittlung zwischen gegensätzlichen Interessen findet nur auf einem dezentralen Niveau statt. Bis zu einem gewissen Maße gelingt es den Akteuren Konfliktbewältigung zu betreiben, Regeln zur Konfliktaustragung zu gestalten und zeitlich sowie örtlich begrenzte Verbindlichkeiten zu schaffen. Dieselben sozialen Mechanismen, die diese Konfliktbewältigung ermöglichen, führen andererseits aber auch dazu, dass keine allgemeinen verbindlichen Konfliktregelungen geschaffen werden können. Den Akteuren gelingt es zwar eine Gewaltspirale wie in anderen Gewaltmärkten zu durchbrechen, aber nicht darüber hinausgehend die Gewalt zu beenden. Eine institutionalisierte, allgemein verbindliche Form der Konfliktlösung, mit einem anerkannten und von allen Seiten respektierten Gewaltmonopol ausgestattet, konnte weder beobachtet werden, noch zeichnet sich eine solche Lösung ab. Institutionalisiert ist in diesem Sinne nur die Liminalität in der sich die Casamance befindet. Wird diese als eigenständiges Phänomen verstanden, kann die aktuelle Situation als stabiler Zustand, der eigenen Regeln folgt, die sich wiederum nicht nur vom Verhältnis der Peripherie zum Zentrum ableiten lassen, erkannt werden.

Zusammengefasst kann das Fallbeispiel Casamance wegen der Besonderheiten, die dieser Konflikt im Vergleich mit anderen Beispielen in der Region und überregional aufweist, Hinweise zur Präzisierung allgemeiner Konflikttheorie geben (Kapitel 7). In der Analyse zeigt sich, dass theoretische Konzepte unterschiedlicher Konflikttheorien – ‘new wars’, ‘failed states’, ‘feasibility thesis’, u.a.- dienlich zum besseren Verständnis sind, wenn die Zusammenhänge, in denen diese Theorien stehen, berücksichtigt werden. D.h. dass einige Generalisierungen abgelehnt bzw. moduliert werden müssen, weil sie im Einzelfall unzutreffend sind. Das heißt aber auch, dass ein Ansatz, der unterschiedliche Versatzstücke der Konflikttheorien kombiniert - und etwa zusätzlich Ideen über ‘protracted conflicts’, ‘collective beliefs’, ‘deprivation’, ‘cultural context’ u.a. mit berücksichtigt - dem Beobachter ein ausreichendes Instrumentarium zur Analyse von Konflikten an die Hand gibt. Eine pfad-abhängige Analyse anhand eines prozessualen Modells, das Mikro-, Meso-, und Makroebenen mit einbezieht, kann die Ursachen, Dauer und Art des Casamancekonfliktes besser verständlich machen.

Die Forschungsfrage inwieweit die Konfliktsituation auf Zwänge innerhalb von Systemen, die von Akteurentscheidungen abgekoppelt sind, oder auf eine freie Entscheidungsfindung der Akteure, die kommunikativ verhandelt wurde, zurückzuführen ist, kommt zu folgendem Ergebnis: Einerseits lassen sich deutlich Strukturen beobachten, die analytisch nur mit autopoietischen, also systeminternen und auf sich selbst bezogenen, Zwängen begründet werden können - etwa dem ‘Marché de la Paix’. Andererseits können ebenso erfolgreiche Versuche seitens der Akteure beobachtet werden, Einfluss auf diese abgekoppelten Systeme zu nehmen. Auf lokaler Ebene nutzen die Akteure die gegebenen, historisch gewachsenen und regional spezifischen Strukturen um Handlungsspielräume außerhalb des ‘Marché de la Paix’ zu erhalten und individuelle Nachteile (etwa als Opfer von Gewalt) zu vermeiden. Beide Faktoren - (System)Struktur und Agency - lassen sich also empirisch als den Casamancekonflikt in hohem Maße formend nachweisen. Außerdem zeigt die Beobachtung, dass beide Faktoren sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. Die aktuelle Situation in der Casamance wird erst in einer Perspektive, die sowohl die Aktionen Einzelner wie auch überindividuelle Systemzwänge berücksichtigt, als Wechselspiel beider verständlich.

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