Identification, Discrimination and Communication: Khorezmian Migrants in Tashkent
Rano Turaeva-Hoehne
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Date of Defense | Tag der Verteidigung
22.06.2010
Supervisors | Gutachter
Prof. Dr. Günther Schlee
Prof. Dr. Wolfgang Klein (Max Planck Institute for Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands)
German summary | Deutsche Zusammenfassung
Nach dem Zerfall der Sowjetunion öffnete sich der Eisernen Vorhang. Damit wurden die nun unabhängigen Staaten Zentralasiens zugänglich für ethnographische Forschung, welche zuvor, in den 70 Jahren der Sowjetherrschaft, fast unmöglich gewesen war. Infolge sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen kam es zu einem starken Anstieg von Mobilität in vielen post-sozialistischen Ländern. Dies schuf den Hintergrund für andere Modi sozialer Organisation und die Schaffung neuer sozialer Beziehungen. In meiner Arbeit untersuche ich die Dynamiken interethnischer Beziehungen zwischen Choresmiern und anderen usbekischen Gruppen in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf Aspekten der Repräsentation und Kommunikation von kollektiven Identifikationen unter diesen Gruppen. Dabei argumentiere ich, dass kollektive Identifikation weder ein einseitiger Prozess von Gruppenformung noch allein eine Reaktion auf den „relevanten Anderen“ ist. Kommunikation und Pflege von kollektiver Identität gestalten sich als dialektischer Prozess, gekennzeichnet einerseits durch die eigenen internen Regeln und Organisationsprinzipien innerhalb von Gruppen und andererseits durch die Repräsentation der kollektiven Identität in ihrer Relation zu Außenstehenden (Barth 1969, 1994; Schlee 1998, 2002, 2008a).
Das Datenmaterial für die Dissertation sammelte ich während meiner 13-monatigen Feldforschung in Usbekistan in den Jahren 2005-2006. Ich führte dabei keine klassische Ethnographie in einem kleinen Dorf durch, sondern forschte im urbanen Raum. Hier waren spezielle Forschungsformen nötig, um die „Grenzen“ meiner Forschung zu identifizieren und abzustecken. Ich habe sehr von der Arbeit der so genannten Manchester Schule profitiert, die mir hilfreiche Ideen für meine Forschung im urbanen Raum lieferte (Mitchell 1969). Meine Feldforschung war multi-lokal, der Fokus lag auf Taschkent, ich reiste aber auch gelegentlich mit Informanten in deren Heimatorte. Dabei waren die Reisen an sich ein wesentlicher Bestandteil der Forschung, da sie mir ermöglichten, wichtige Aspekte von Mobilität zu beobachten und mit anderen Reisenden zu sprechen. Ich wandte verschiedene Forschungsmethoden aus unterschiedlichen Disziplinen an. Neben den klassischen ethnologischen Methoden wie teilnehmender Beobachtung, Interviews und dem Sammeln autobiographischer Daten nutzte ich Methoden wie Gruppendiskussionen, Reiseethnographie und Kommunikationsethnographie.
Bei der Untersuchung von Beziehungen zwischen den verschiedenen usbekischen Gruppen in Taschkent legte ich meinen Fokus auf die Zuwanderer aus der Region Choresm. Daneben untersuchte ich die „alteingesessenen“ Bewohner von Taschkent, sowie Menschen, die aus dem Ferghanatal, aus Buchara, aus Samarkand, und aus den Regionen Surxondaryo und Qashqadaryo in die Hauptstadt migriert waren. Es lassen sich viele verschiedene Wege finden, Menschen einer Gruppe zuzuordnen. Mir kam es in meiner Forschung darauf an, die Perspektive der untersuchten Menschen selbst zu verstehen. Ich ging also von der Selbstzuschreibung von Identitäten aus, und davon, wie Akteure Gruppenzugehörigkeiten (eigene und fremde) unterscheiden. Zudem konzentrierte ich mich darauf, wie die Gruppen ihrem „Wir-Sein“ Sinn geben, und wie sie die Anderen definieren. Für meine Forschung und Analyse greife ich auf eine große Auswahl von Arbeiten aus den Bereichen Ethnologie, Geschichte, Wirtschaft und Soziolinguistik zurück. Meine Hauptbezugspunkte waren klassische Ethnizitästheorien, die Autochtonie-Debatte in Teilen Afrikas, die Analyse von Kommunikationssituationen und Untersuchungen individueller Handelungsstrategien in Kontexten persönlicher Abhängigkeiten.
Ein wichtiges Ergebnis meiner Arbeit ist, dass die Unterscheidung des „Wir“ von dem „Anderen“ nicht einfach nur das Resultat des Kontaktes mit dem relevanten Anderen ist. Vielmehr wird diese Unterscheidung auch von externen Strukturen und Prozessen wie etwa staatlicher Politik und der allgemeinen wirtschaftlichen Situation beeinflusst. Zudem ist all dies vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Region (Zentral Asien; Usbekistan) zu sehen. Eine der herausragenden Folgen des wirtschaftlichen Scheiterns der unabhängigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion war die zunehmende Mobilität und Migration. Seit Mitte der 1990er stieg die inländische Migration stetig an, insbesondere in der Region Choresm, wo die Bewässerungsprojekte aus sowjetstaatlicher Zeit zur Desertifikation geführt haben.
Die staatlichen Behörden reagieren auf die gesteigerte Mobilität mit inoffiziellen, einschränkenden Maßnahmen, die zum Teil den in der Verfassung garantierten Rechten der Bürger entgegenstehen. Faktisch operieren die Behörden Usbekistans auf zwei Ebenen: einer „offiziellen“ (zakonniy) und einer „inoffiziellen“ (vnutrenniy) Ebene. Offizielle Erlasse und Gesetze sind öffentlich einsehbar. Inoffizielle Maßnahmen werden nur zu internen Zwecken des Ministeriums für Inneres und der usbekischen Sicherheitsdienste ergriffen. Eine dieser Regelungen, die gleichzeitig offizielle und inoffizielle Aspekte beinhaltet, heißt propiska. Die auf Russisch so bezeichnete Regelung stammt ursprünglich aus der Sowjetzeit und sollte damals die kontrollierte „Durchmischung“ der Bevölkerungen der Sowjetrepubliken befördern. Ziel war die Produktion einer einheitlichen sowjetischen Nationalität. Die Regelung, die vor allem Ortswechsel und Aufenthalt an Orten betrifft, wurde von der post-sozialistischen Regierung Usbekistans beibehalten. Allerdings dient sie nun vor allem der Einschränkung der Mobilität von usbekischen Staatsbürgern im eigenen Land. Wenn ein usbekischer Staatsbürger umziehen will, dann muss er oder sie an seinem neuen Wohnort die Bestätigung der propiska erhalten, sonst wird er/sie automatisch als illegal im eigenen Land eingestuft. Propiska und andere zum Teil inoffizielle Regierungsdirektiven und Praktiken staatlicher Beamter schaffen das politische Umfeld, in dem die meist als illegal eingestuften Migranten aus den Regionen in die Hauptstadt reisen und sich niederlassen müssen. Dieses Umfeld wirkt sich auf individuelle Alltagspraktiken und „Überlebens-Strategien“ von Akteuren aus. Zudem führt es zu der Bildung translokaler Netzwerke zwischen den Regionen und der Hauptstadt und Formen sozialer Organisation von Migranten in Taschkent, die sich auf Basis von ethnischer Zugehörigkeit und gegenseitigem Vertrauen herausbilden. Die propiska Regelung macht die Land-Stadt-Migration in Usbekistan genauso kompliziert wie internationale Migration in anderen Kontexten, da die meisten inländischen Migranten zumindest temporär „illegal“ im eigenen Land werden. Auch die staatlichen Kontrollmechanismen sind ähnlich streng wie an internationalen Grenzen und in Bezug auf internationale Migranten. Polizisten in Taschkent greifen „verdächtige Migranten“ gezielt auf. Wer sich ohne propiska-Bestätigung länger als drei Tage an einem Ort aufhält, muss mindestens mit einer Geldstrafe rechnen. Arbeiter versuchen durch das Zahlen von Bestechungsgeldern weitere Probleme hinsichtlich ihrer Arbeit an einem Ort zu vermeiden, an dem sie sich offiziell nicht aufhalten dürfen.
Die Bevölkerung selbst reagiert auf die beschriebene propiska Regelung mit Anpassungen und Bewältigungsstrategien, indem einzelne Gruppen neue soziale Institutionen schaffen, die eine Reihe von Diensten für Mitglieder einer bestimmten Gruppe, zum Beispiel von Choresmiern, in Taschkent anbieten. Netzwerke von Familien, Verwandten und Freunden arbeiten zusammen, unterstützen einander, organisieren den Alltag und füllen Teile der Regionalkultur in Taschkent wieder mit Leben. Auf gewisse Art besteht hier ein „post-sowjetisches propiska Paradox“, da diese Regelung der Sowjetregierung, die ursprünglich zur Schaffung einer einheitlichen Sowjetnation dienen sollte, im postsowjetischen usbekischen Staat zu internen Spaltungen entlang ethnischer und sub-ethnischer Zugehörigkeiten führt.
Somit bilden staatliche Maßnahmen zur Einschränkung der Mobilität in Kombination mit dem Wegfall eines effektiven Sozialsystems den Hintergrund für Entwicklungen, die sonst nur in der Forschung zu internationaler Migration beobachtet werden. Dazu gehören die Bildung von ethnischen Netzwerken und Mechanismen wie Nachfolgemigration und die Existenz von Schattenwirtschaften. Vor diesem Hintergrund bekommt die Analyse der interethnischen Beziehungen einen gemischten Charakter. Zum einen beinhaltet sie Elemente klassischer interethnischer Forschung wie z.B. in Mitchells (1969) Untersuchung urbaner Ethnizität; zum anderen spielen auch Muster ländlich-urbaner Differenzierung eine Rolle (Yessenova 2005).