Identification, Discrimination and Communication: Khorezmian Migrants in Tashkent

Rano Turaeva-Hoehne
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Der theoretische Rahmen meiner Dissertation hat drei Bestandteile. Erstens untersuche ich die linguistischen Aspekte interethnischer Beziehungen auf der Stufe der Interaktionen von Choresmiern mit Mitgliedern anderer ethnischer Untergruppen in Taschkent. Bekanntermaßen ist Ethnizität eine Art kollektiver Identität, die sich dadurch auszeichnet, dass sich Mitglieder von ethnischen Gruppen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich von Sprache, Religion, äußeren Merkmalen, und/oder Abstammung berufen. Diese Berufungen und Eigen- sowie Fremdzuschreibungen sind allerdings flexibel und werden von den betroffenen Akteuren dem jeweiligen Kontext angepasst (Schlee 2002, 2008a). In meiner Dissertation interessiert mich besonders, wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede von und zwischen den Mitgliedern verschiedener Gruppen kommuniziert werden. Die Sprache der Identifikation muss mit bestimmten Werkzeugen untersucht werden, um die Art der Kommunikation, die Qualität des Kontaktes und die angewandten Übermittlungsstrategien zu verstehen. Es ist auch entscheidend, ob und wie der jeweils Andere die Kommunikation verstanden hat. Ich beziehe mich hierbei stark auf Arbeiten von Gumperz, der interethnische Beziehungen in urbanen Räumen mit linguistischen Mitteln und im Hinblick auf rhetorische Strategien untersucht hat (Gumperz 1997). Er betonte, dass Akteure bei der Kommunikation von ethnischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden „Wir-Codes“ und „Sie-Codes“ einsetzen. Diese werde ich in Bezug auf mein Untersuchungsfeld im linguistischen Teil meiner Arbeit im Detail behandeln. Kommunikation impliziert den Austausch von Informationen, die abhängig vom Kontext und vom Hintergrund der Gesprächspartner unterschiedlich interpretiert werden. Ich folge dem interpretativen soziolinguistischen Ansatz von Gumperz, um die Bedeutungen von kommunizierten Identitäten und Unterschieden zu beleuchten. Die soziolinguistische Analyse des Kontaktes zwischen den usbekischen Gruppen zeigt die Bezugspunkte für die Sprachauswahl und die Zugehörigkeitspräferenzen der Akteure in Relation zu dem relevanten Anderen auf. Dieser erste Teil meines theoretischen Rahmens schafft die Basis für die weiteren Untersuchungen anderer Variablen, die in Identifikationsprozessen eine Rolle spielen.

Der zweite Teil meines Theoriegerüstes konzentriert sich auf die Diskurse und Praktiken im Rahmen von Identitätspolitiken zwischen Gruppen. Hier spielen gut wahrnehmbare Identitätsmerkmale und deren Herausstellung und Repräsentation eine zentrale Rolle. Zu diesen Markern gehören bewusste Zugehörigkeit und Identifikation mit einer Gruppe, die Schaffung und/oder Konstruktion eines Zuhauses, äußerliche („physische“) Merkmale, Kleidung, Speisen, Heiratsstrategien und die Zurschaustellung der eigenen Kultur in der öffentlichen Sphäre von Identitätspolitik, zum Beispiel im Rahmen von Kulturfestivals.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Kommunikation und Repräsentation von kollektiven Identitäten in Usbekistan seit 1991 im Kontext von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandlungsprozessen und gesteigerter Mobilität stattfinden. Menschen sind also zur Anpassung an neue Kontexte und Umfelder gezwungen. Dies hat Auswirkungen auf Identifikationsprozesse (Schlee 1989, 2008a).

Der dritte Bestandteil meines theoretischen Rahmens ergänzt das bisher Ausgeführte um die Untersuchung der Dynamiken innerhalb von Gruppen. In meinem Fall untersuche ich, wie innerhalb der choresmischen Gemeinde in Taschkent und zwischen der Hauptstadt und der Region Choresm eine „Wir-Domäne“ geschaffen wird. Bestehende Arbeiten zu interethnischen Beziehungen betrachten das „Wir“ oft als selbstverständlich und gegeben und konzentrieren sich hauptsächlich auf den sozialen Raum zwischen Gruppen, der von den Unterscheidungen zwischen ihnen ausgemacht wird. Es geht diesen Ansätzen also vor allem darum, wie das „Sie“ definiert wird. In meiner Arbeit gehe ich jedoch auf die sozialen Beziehungen innerhalb der „Wir-Domäne“ ein und argumentiere, dass das „Wir“ nicht nur ein Behältnis für Elemente der Kultur ist, die nach außen repräsentiert werden, sondern sich aus einer Reihe von Beziehungen zusammensetzt, die sich, von äußeren Faktoren beeinflusst, im Inneren einer Gruppe herausbilden. Zu diesen äußeren Faktoren gehören im Fall der Choresmier deren Beziehungen zu anderen Gruppen in Taschkent, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in Usbekistan.

Dieser Prozess der internen Gruppenbildung ist dynamisch und die Beziehungen in der „Wir-Domäne“ müssen ständig neu verhandelt werden. Diese Beziehungen sind selbst voll von Widersprüchen und führen auch zu sozialer Schichtung innerhalb der jeweiligen Gruppe. Im Fall der von mir untersuchten Choresmier lassen sich innerhalb der gruppenspezifischen Netzwerke Unterschiede entlang von Einkommen, Ressourcen-Zugang, und Abhängigkeiten in Form von Patron-Klient Beziehungen erkennen. Diese überschneiden sich zum Teil mit Verwandtschaftsbeziehungen. Um den Komplex aus Netzwerken von Beziehungen mit overlapping und cross-cutting ties zu durchschauen, konzentriere ich mich auf einen auf Heiratsbeziehungen. Zum anderen untersuche ich Patron-Klient Beziehungen, die oft zwischen Verwandten innerhalb der weiteren choresmischen Gemeinschaft bestehen. Letztere hängen sehr eng mit alters- und geschlechtsabhängigen Pflichten und Verantwortlichkeiten zusammen. Ich unterscheide hier zwischen Bindung (bonding) und Identifikation (identification). Schlee (2008a) spricht von Bindung vor allem in Bezug auf die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Bourdieu (1977: 196) spricht von Bindungen auch zwischen Gläubiger und Schuldner sowie Herren und „khammes” (Pächterbauern). Ich integriere beide Aspekte in Bezug auf meine Analyse des inneren Zusammenhangs der chroresmischen Gemeinschaft in Taschkent. Bindungen und Abhängigkeiten werden von ethnischen Führungspersonen immer wieder strategisch reproduziert und bilden damit eine wesentliche Grundlage für Gruppenzugehörigkeit und Identifikation.

In theoretischer Hinsicht trägt meine Dissertation insgesamt zum Verständnis von kollektiver Identität und Kommunikation bei. Kollektive Identitäten bestehen aus unendlich vielen Einzelbeziehungen, die meist auf Macht und Abhängigkeit basieren. Es existieren interne Unterteilungen und Hierarchien, die für das, was das „Wir“ zum „Wir“ macht, sehr relevant sind. Das „Wir“ ist keine homogene Einheit, die sich selbst gegenüber dem Anderen präsentiert. Kollektive Identitäten werden durch den Prozess der kollektiven Identifikation geprägt und verändert.

Mein theoretischer Rahmen legt nahe, dass bei der Vereinfachung von sozialen Beziehungen zum Zwecke der analytischen Untersuchung zwei unterschiedliche Bereiche von Beziehungen sichtbar werden, die im Identifikationsprozess eine Rolle spielen: einerseits die „Ich und Wir“ Beziehungen, und andererseits jene von „Wir und Sie“. Die Beziehungen des Bereiches „Ich und Wir“ stehen in dialektischer Verbindung zu denen des Bereiches „Wir und Sie“. Es findet jedoch keine Assimilation beider Seiten statt. Im Gegenteil werden die Unterschiede multipliziert und beide Seiten definieren ihr „Wir-Sein“ gegenüber dem Anderen. Widersprüche werden nicht gelöst, sondern nehmen eher einen noch komplexeren Charakter im fortwährenden Prozess der Identifikation an. Ich behandele die einzelnen Aspekte der verschiedenen Beziehungsbereiche im Detail in den Kapiteln IV bis VIII.

Neben theoretischen und methodischen Beiträgen zur ethnologischen Forschung erweitert meine Arbeit vor allem die Forschung zur Region Choresm und zu Usbekistan, die in der Ethnologie bisher kaum eine Rolle spielen. Laut Kuhenast (2000:103,104) war es nur einer geringen Zahl von Ausländern gestattet, die Region Choresm in Sowjetzeiten zu bereisen. Zu diesen Wenigen gehörten Hughes, Maillart und Bacon die sich dort in den 1930er- und 1960er-Jahren aufgehalten haben. Zusammen mit jüngerer Literatur von Finke (2006), Reeves (2007) und anderen trägt mein ethnographisches Material zu den Regionalwissenschaften bei. Mein Fokus auf Reise-Erfahrungen von internen Migranten und Aspekte ihres täglichen Lebens in Taschkent, sowie das von mir analysierte Material zur Sprache und die Beschreibungen, wie interethnische Beziehungen im urbanen Kontext geschaffen und gepflegt werden, sind in diesem Zusammenhang als besondere, eigenständige Beiträge zur Usbekistanforschung zu werten. Zudem macht meine Arbeit die Region nicht nur einem wissenschaftlichen Publikum zugänglich, sondern auch Laien, die sich für diesen Teil der Welt interessieren.

Go to Editor View