Political Orientations and Repertoires of Identification: State and Identity Formation in Northern Somalia

Markus V. Hoehne
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Abschließend schlage ich das Konzept von politischer Identität vor, um die Konfliktdynamiken in Nordsomalia, zwischen Somaliland und Puntland und vor allem in den umstrittenen Grenzregionen, zu verstehen. Die politischen Identitäten haben im lokalen Kontext zwar oft einen genealogischen Unterbau. Isaaq sind meist (aber nicht immer) Somaliland Anhänger; Harti sind eher Somali-Nationalisten und verlassen sich auf Puntland als „Bollwerk“ gegen die Abspaltungsbemühungen Hargeysas. Dennoch wäre es in meinen Augen verfehlt, rein das genealogische Element für Konflikteskalationen vor Ort verantwortlich zu machen. Es geht oft nur Vordergründing um Isaaq gegen Harti oder Darood. Hintergründig geht es um die politische Zukunft der Region und Somalias.

Die entscheidenden Merkmale politischer Identitäten sind die gemeinsame Orientierung auf ein zukünftiges politisches Ziel hin, und die Tatsache, dass sie schlussendlich exklusiv sind und sich nicht durch alternative Verbindungen zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen (z.B. durch „cross-cutting ties“, die unter anderem durch Heirats- und Freundschaftsbeziehungen entstehen) „aufweichen“ lassen. Hinsichtlich des Konzepts der politischen Identitäten wurde ich hauptsächlich von Mamdani (2001) inspiriert, der in seiner Analyse der Gewalteskalationen in Ruanda die Hutu und Tutsi Identitäten als politische Identitäten begriff. Sie entstanden im Kontext politischer und rechtlicher Manipulationen seit der Kolonialzeit, beinhalteten zunehmend divergente Zukunftsorientierungen und tendierten zur Exklusivität, besonders im Zusammenhang mit dem ungleichen Zugang von Mitgliedern der verschiedenen Gruppen zur Macht und den Ressourcen des Staates. Den „letzten Schliff“ erhielten diese Identitäten im Kontext eskalierender Gewalt oder der Drohung von Gewalt. Tronvoll (2003, 2009) betonte, dass Gewalt Kohärenz nach innen und Abgrenzung nach außen fördert.[9] Dies, verbunden mit einem politischen „Projekt“, sind die Voraussetzungen für die Entstehung politischer Identitäten.

Diese Identitäten müssen zeitlich nicht stabil sein und können nach dem Abflauen politischer oder militärischer Konfrontationen wieder in den Hintergrund treten. Sie können aber unterschwellig die Beziehungen zwischen Gruppen prägen und, wenn die politischen Ziele sich gegenseitig ausschließen, wie es in Nordsomalia der Fall ist (Unabhängigkeit für Somaliland oder Aufbau eines vereinigten Somalias), zu immer neuen Gewalteskalationen beitragen. In diesem Prozess verhärten sich die Fronten. Freundschaften, Heiratsbeziehungen, Nachbarschaft und andere Alternativbeziehungen werden zunehmend unwichtiger.

Insgesamt zeigt meine Arbeit, dass das teleologische Verständnis von Staatsentstehung als der „Endform“ politischen Lebens, dem noch manche Politikwissenschaftler, Juristen und Politiker anhängen, verfehlt ist. Auch Ansätze, Staatlichkeit in schwachen oder zerfallenen Staaten „von oben“ wieder herzustellen, sind, wenn man sich die gegensätzlichen Erfahrungen in Somalia einerseits und Somaliland (und Puntland) andererseits ansieht, zum Scheitern verurteilt. Staats- und Identitätsbildungsprozesse sind hochkomplex, von einer Reihe schwer absehbarer mikropolitischer und mikrosoziologischer Dynamiken abhängig, und werden nicht zuletzt von schwer erfassbaren und steuerbaren Emotionen beeinflusst. Gerade die Beschäftigung mit Trauma – oft gehen Staats- und Identitätsbildungen ja gewaltsame Konflikte voraus oder gehen mit ihnen einher – erweist sich in diesem Zusammenhang als fruchtbar für das Verständnis politischer und sozialer Komplexitäten.



[1] Die Somalis sind ein klassisches Beispiel für Nationalismus auf Basis kultureller und historischer Verbundenheit (Lewis 1983). Ihr Antikolonialismus mündete schließlich in die staatliche Unabhängigkeit, war allerdings auch danach noch von dem Kampf um die Integration der unter äthiopischer, kenianischer und französischer Herrschaft stehenden Somali-Gebiete am Horn von Afrika geprägt.

[2] Helling (2009: 1) versteht Nationenbildung als Prozess sozio-kognitiver Standardisierung, oder klarer: als „a process of identity formation underwritten by the spread of social and cognitive conformity within a politically and usually geographically defined population.“

[3] In Situationen extremen Machtungleichgewichts können auch Identitäten aufgezwungen werden (Jenkins
1996).

[4] Das arabische Pendant zu Zusammengehörigkeitsgefühl ist asabiya, das von Ibn Khaldun in seiner Aanalyse tribaler Gesellschaften (auch gerade in Nordostafrika) verwendet wird. In Somali kann man es mit tolnimo bezeichnen, das allerdings immer auf die eigene patrilineare Abstammungsgruppe fokussiert ist.

[5] Puntland hat 2003 in dem Gebiet um die Stadt Buuhoodle, die entsprechend der somaliländischen Verwaltungsordnung im Süden der Region Togdheer liegt, eine neue Region namens Cayn gegründet.

[6] Zu den Harti Klans gehören unter anderem die Majeerteen, die Dhulbahante und die Warsangeli. Alle Harti Klans sind auf einer höheren Ebene der Segmentation Teil der Darood Klanfamilie

[7] Natürlich gab es auch Situationen, in denen diasporische Akteure eher konfliktfördernd aktiv waren.

[8] Hier ist zu beachten, dass das aus der Biologie entlehnte Konzept von Mimikry ursprünglich keine Intentionen des imitierenden Lebewesens beinhaltete.

[9] Appadurai (1998: 238-245) hat mit Bezug auf Eskalationen von Gewalt in ethnisch, kulturell und geographisch eng verbundenen Gesellschaften wie in Burundi festgestellt, dass Töten ein Akt der Identifizierung sein kann. Ähnlich betonte schon Leach (1965: 175): „[k]illing is a classifying operation. We kill our enemies; we do not kill our friends.“

Go to Editor View