The Global Nuer. Modes of transnational livelihoods

Christiane Falge
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

The Global Nuer. Modes of transnational livelihoods - Dissertation Thesis


In Kapitel IV wird das Leben der Nuer-Flüchtlinge von heute, und der Einfluss, den das Flüchtlingsleben auf die Nuer-Gesellschaft als solche hat, näher betrachtet. Entgegen der Haltung vieler konventioneller Studien, in denen Flüchtlinge als hilflose Opfer betrachtet werden, wird aufgezeigt, dass es Menschen sind, die Handlungsvermögen (agency) und kulturelle Widerstandskraft besitzen. Dies wird in der Beschreibung dessen deutlich, wie die Nuer trotz des Mangels an Rindern im Lager weiterhin „Rinder-Hochzeiten“ praktizieren und in der Darstellung der Beziehung, in der diese Praktiken mit der Nuer-Identität stehen. Das Kapitel reiht sich in die Argumentationslinie der vorangegangenen ein, indem eine weitere Dekonstruktion der Meta-Narrative der Modernisierungstheorie erfolgt. Es wird argumentiert, dass mögliche Veränderungen, die durch Geld in einer Gesellschaft herbeigeführt werden könnten, durch die Betrachtung, wie die Gesellschaft Geld in ihre Transaktionssphären inkorporiert, erfasst werden kann. Dabei wird das spezifische Verfahren der Nuer-Flüchtlinge, Geld in ihre Transaktionssphäre zu inkorporieren anstatt ihre Transaktionssphäre dem Geld anzupassen, hervorgehoben. Mein Anliegen hierbei ist es, zu zeigen, wie selbst in einer Situation eines Flüchtlingslagers, in dem es nur sehr wenig Vieh gibt, die Nuer versuchen, ihre eigenen Transaktionssphären — solche in denen Rinder das Austauschmittel sind – separat aufrechterhalten. Die Analyse liefert Erkenntnisse darüber, wie Bedeutungen aus der Heimat — dort, wo die Nuer durch die Wirtschaftsform des Agropastoralismus autark lebten — in das Flüchtlingslager getragen werden, ein Ort, an dem sie auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Das Augenmerk wird hier auf die Anpassungsfähigkeit kultureller Bedeutungen gerichtet, indem auf die unterschiedlichen Transaktionssphären im Flüchtlingslager eingegangen wird. Diese Anpassungsfähigkeit wird auch durch den Vergleich von Heiratspraktiken der östlichen JIKANY, die nahe dem Lager leben und Zugang zu Rindern haben, mit den westlichen BENTIU, für die die Lager weit ab von ihren Dörfern liegen, untersucht. Während die eine Gruppe nur über Rindermetaphern agieren kann, können diejenigen, deren Dörfer sich in Lagernähe befinden, sowohl mit metaphorischen als auch mit echten Rindern bezahlen. Es wird hierbei zum einen untersucht, inwieweit diese Praktiken die Allianz-Konzepte unterstützen und Heiratsmuster stabilisieren, und zum anderen, wie diese Situation dennoch mit Wandlungsprozessen in Verbindung steht. Kapitel IV zeigt dabei, dass das Leben der Nuer in den Flüchtlingslagern sowohl Widerstandsfähigkeit und Kontinuität als auch Wandel aufweist.

Die Kapitel V und VI beziehen sich auf die lokale Besonderheit der Dreiphasen-Konversion der Nuer zum Christentum und bestimmter Einflüsse auf Vorstellungen vom Nuer-‚Selbst’, insbesondere in Bezug auf eine mögliche „Kapitulation“ der Konvertiten gegenüber einer kapitalistischen Hegemonie im Weberschen Sinne. Als Teil eines aktuellen Paradigmenwechsels in der Ethnologie im Zusammenhang mit dem Modernitätsbegriff wird hier ein globales Phänomen beschrieben, das mit einer lokalen Manifestation der Modernität im Zusammenhang steht. In diesen Kapiteln liegt daher der Fokus auf der lokalen Besonderheit des Nuer Christentums einerseits und auf dessen Einfluss auf ihre Globalisierung andererseits.

Kapitel V gibt einen geschichtlichen Überblick über die ersten zwei Phasen der Nuer-Konversion anhand einer Untersuchung des Kontakts äthiopischer Nuer mit Missionaren und der Verschiebungen christlicher Identitäten bis in die 1970er Jahre. Dieses Kapitel hebt das Handlungsvermögen (agency) der Konvertiten hervor, indem die christlichen Praktiken der Nuer während der Anwesenheit der weißen Missionare mit der Zeit danach verglichen werden. In seiner zweiten Phase, nach dem Verschwinden der Missionare, stellt das Christentum sowohl eine Verkörperung ihrer Kultur als auch eine moderne Bewegung dar. Des Weiteren wird sich in diesem Kapitel mit der Internalisierung der „zivilisiert-barbarisch“-Dichotomie, die von den Missionaren eingeführt worden ist, auseinandergesetzt. Gleichzeitig wird der Effekt, den die Eröffnung des Itang-Flüchtlingslagers 1983 auf die hohen Bekehrungsraten nach der Abreise der Missionare hatte, beleuchtet. Es werden lokale Diskurse über Konversion beschrieben und auf dessen Besonderheit im Falle der Nuer eingegangen. Diese beinhalten auch den Widerstand von Nicht-Christen, insbesondere der von den Nuer-Propheten gegen Christen. Es wird diskutiert, ob Nuer-Konvertiten auf radikale Weise mit ihrer Vergangenheit brechen oder ob sie Verbindungen mit ihr aufrechterhalten, und in welcher Beziehung christliche und nichtchristliche Sphären zueinander stehen. Anhand dieser Thematik wird ein Prozess beschrieben, in dem zunehmend in der zweiten Konversionsphase den religiösen Identitäten Lineage-Identitäten übergeordnet werden. Die Überordnung der christlichen Identität und die dadurch ausgelösten Machtkämpfe unter Christen sowie die zunehmende Institutionalisierung ihrer Kirche stellen eine Verbindung zu Kapitel IV her.

Go to Editor View