The Global Nuer. Modes of transnational livelihoods

Christiane Falge
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

The Global Nuer. Modes of transnational livelihoods - Dissertation Thesis


Die dritte Phase der Konversion, die in Kapitel IV beschrieben wird, unterscheidet sich insofern von den ersten beiden Phasen, als sie sich in einer neuen Weltordnung, nämlich nach dem Ende des Kalten Krieges, vollzieht. Sie beschreibt einen Prozess, in dem die Nuer-Gesellschaft in die westliche Welt eintrat, ihr aber auch zugleich stärker ausgesetzt und von ihr penetriert wurde. Diese Phase löste im Zusammenhang mit globalen Kräften enorme Veränderungen bei den Nuer aus, die Implikationen für ihre politische Entwicklung und religiöse Landschaft mit sich führten. Der Effekt, den diese Kräfte auf die Nuer-Gesellschaft hatten, wird hier verdeutlicht, und es wird erklärt, warum die Migration der Nuer in die USA zu der Entstehung eines transnationalen Netzwerks führte. Es werden Einblicke in die Diskurse über die „Rückständigkeit“ der Nuer gegeben, die im Zusammenhang mit ihrer Öffnung gegenüber der Welt entstanden sind. Des Weiteren wird dem Bedeutungswandel des Christentums nach dem Ende des Kalten Krieges nachgegangen, indem der Fokus auf die enge Verbindung der US-Politik mit dem Einzug neuer, US-basierter protestantischer Kirchen in die postsozialistischen äthiopischen Flüchtlingslagern gerichtet wird. Dieser Bedeutungswandel macht das Christentum zu einer Ressource, um westliche Verbündete zu gewinnen. Dabei konzentriere ich mich auf das Bedürfnis christlicher Nuer, den Anschluss an Vorstellungen und Institutionen zu finden, die mit Fortschritt im westlichen Stil und mit der Entwicklung in der heutigen Welt assoziiert werden. Dafür werden Gründe erschlossen, die zu diesem Bedürfnis geführt haben. Nuer-Eliten und die von ihnen angewandten Mittel zum Aufholen mit der Welt spielen hierbei eine wichtige Rolle. In Bezug auf das Verlangen der Nuer, in ihrem Sinne modern zu werden, betrachtet dieses Kapitel die Diskurse über den Westen anhand einer Reflexion über Wissensquellen, Macht und über Gründe für die „Rückständigkeit“ der Nuer ebenso wie über Nuer-Konzepte der Modernität. Das Christentum in den 1990ern steht im Gegensatz zu der gegenseitigen Toleranz, die das Verhältnis zwischen Christen und Nichtchristen in früheren Phasen kennzeichnete, und es wird dargestellt, wie sich dies in der Betonung distinkter Identitäten und in der Verschärfung von Gruppengrenzen niederschlägt. Im letzten Teil dieses Kapitels werden die ersten Desillusionierungen mit dem Christentum angesprochen. 
Kapitel VII befasst sich mit einem der hervorstechendsten Aspekte der dritten Bekehrungsphase, nämlich mit dem Aufkommen eines segmentären Christentums. Unter Bezugnahme der anti-strukturfunktionalistischen Debatte der 1980er Jahre verbinde ich mein ethnographisches Material mit dieser Strömung, in der die Existenz der Nuer-Lineages und die Funktionalität des segmentären Lineage-Systems als Fiktionen abgetan wurden. Ich frage nach der Bedeutung und Signifikanz der Lineages im gegenwärtigen Kontext sozialen Aufruhrs und eskalierender Gewalt. Indem die Standpunkte zentraler Autoren wie Howell, Hutchinson und Douglas Johnson, die ebenfalls über die Nuer geschrieben haben, zusammengefasst werden, versuche ich meine eigenen Ergebnisse zu positionieren. Ich beziehe mich dabei auf Fragen nach dem Zusammenhang von Struktur und Individuum und nach dem Handlungsvermögen von Gruppen in der Nuer-Christentumspolitik. Anhand von Fallstudien über Kirchenversammlungen im Funyido-Flüchtlingslager werden Strategien der Allianzbildung innerhalb des segmentären Christentums diskutiert. Unter Anwendung von Schlees „Handlungstheorie“ (2004) auf meine Fallstudien befasse ich mich in diesem Kapitel 1. mit Strukturen, die Allianzen der religiösen Gemeinden zugrunde liegen; 2. mit Strategien der Exklusion und Inklusion bei der Gründung von Kirchen; sowie 3. mit wirtschaftlichen Gründen der Exklusion und Inklusion. Schließlich werden Spaltungsvorgänge innerhalb christlicher Gruppen im Flüchtlingslager mit ähnlichen Prozessen in den Dörfern verglichen.

In Kapitel VIII geht es um die Auswanderung der Nuer in die USA und ihren Anspruch, nicht mehr die Nuer ‚von früher’ zu sein. Dabei werden die Verbindungen zwischen Religion, der Schaffung eines transnationalen sozialen Feldes und dem Verlangen der Nuer, Teil „der Welt“ zu sein, beschrieben. Es wird dargestellt, wie Nuer-Migranten ihr Leben in einer Welt wahrnehmen, die sie sich bisher nur vorgestellt hatten, die aber einen wichtigen Bestandteil ihres „Modern-Seins“ bildete. Im Zentrum dieses Kapitels steht eine Analyse der Gründe für die zunehmende Bedeutung, die die urbanisierten Nuer in den USA ihren Lineages zusprechen, und die der Etablierung eines lineage-basierten transnationalen Feldes. In Anlehnung an Mitchells Argument (2001), den ‚Primordialismus von Ethnizität’ nicht als essentialisierte Identität, sondern als eine aus strukturellen Zwängen hervorgehende Konstruktion zu sehen, soll die Beziehung zwischen der Marginalisierung der Nuer in den USA und der Betonung ihres Lineage-Systems verdeutlicht werden. Anknüpfend an den Paradigmenwechsel in der Migrationstheorie beschreibt Kapitel VIII die simultane Inkorporation (Glick Schiller 2004) der Nuer in ihr transnationales soziales Feld. Dies wird anhand von transnationalen Brautpreisverteilungen und der Entstehung von Migrantenorganisationen empirisch veranschaulicht.

Die Darstellung ihrer Lebensweise in den USA knüpft an die Diskussionen über das ‚Modernsein’ der Nuer aus Kapitel VI an und verdeutlicht die Entbehrungen, die sie auf sich nehmen, und das Durchhaltevermögen, welches sie an den Tag legen, um ihrem Bedürfnis ‚mit der Welt aufzuholen’ nachzukommen. Nation-building ist ein zentraler Prozess, der aus diesem Bedürfnis hervorgeht und sich in Form von gleichzeitigen lineage-basierten Rücküberweisungen an die SPLA (Sudan Peoples’ Liberation Army), individuell basierten Rücküberweisungen in die Heimatregionen und Investitionen in ein „Heim“ und ein soziales Netzwerk in den USA darstellt. Auch in diesem Kapitel wird wieder die Handlungsfähigkeit der Nuer in Form eines sich in den USA einstellenden Werte-Konfliktes mit US-Amerikanern über verschiedene Konzepte von Wohlstand und Armut aufgezeigt. Trotz der übergreifenden Identifizierung mit dem Lineage Systems entstehen in den USA verschiedene Klassen von Nuer, die jeweils ältere oder neuere Formen sozialer Organisation unterstützen. Ähnlich der horizontalen Klassenkonflikte entstehen vertikale Generationenkonflikte zwischen der ersten und zweiten Generation, wobei letztere sich zunehmend als Afro-Amerikaner identifizieren, während erstere dieser Identifizierung über die Konstruktion einer urbanen Nuer-Identität Widerstand leistet. Das Kapitel VIII leitet schließlich in den Schlussteil, Kapitel IX, über.

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