Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia

Dereje Feyissa
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia

Das Forschungsgebiet der Ethnizität und der Studien des ethnischen Konflikts ist ein verworrenes Feld, das die höchste ‚Dichte’ theoretischer Polemik aufzeigt. Es gibt zwei theoretische Hauptansätze, die beide auf einer idealtypischen Definition einer ethnischen Gruppe aufbauen. Diese werden in der Fachliteratur als Primordialismus und als Konstruktivismus bezeichnet. Die primordialistische Konzeptualisierung der Ethnizität betont die Bedeutungsdimension, die von den „Vorgaben der sozialen Existenz“ ausgehen. So wird eine ethnische Gruppe als eine Art Solidargruppe beschrieben, die auf der Basis eines gemeinsamen Ursprungs (real oder angenommen) gebildet wird und die ein kulturelles Repertoire besitzt, mit dem die Menschen ihrem Dasein einen Sinn geben. Andererseits betont die konstruktivistische Konzeptualisierung der Ethnizität die Interessedimensionen, die von einem interaktionellen Rahmen ausgehen, d.h. ethnische Identität wird subjektiv bei der Verfolgung wahrgenommener Interessen konstruiert. Daher ist hier das kulturelle Differential, aus dem eine gegebene Ethnizität besteht, variabel und in seiner extremsten Formulierung (Inventionismus) arbiträr. Der Primordialismus ist Teil des größeren Gebietes der Identitätsstudien und er befasst sich mit dem Inhalt, während sich der Konstruktivismus auf Grenzziehungsprozesse in der ethnischen Identitätsbildung konzentriert. Die Art wie die Begriffe der Debatte formuliert sind, hat jedoch einen dichotomisierenden akademischen Diskurs hervorgebracht, der die empirische Beschäftigung mit den ethnischen Phänomenen untergräbt, die letztendlich die relative Bedeutung von Inhalt und Grenze in jeder Fallstudie festlegen sollten.
 
Als empirische Studie geht die vorliegende Dissertation über die Hürden der Definition hinaus. Sie stützt sich auf das Konzept der Familienähnlichkeit und argumentiert zugunsten einer formellen und flexiblen Definition einer ethnischen Gruppe. Diese Definition lässt die Möglichkeit zu, verschiedene Arten ethnischer Gruppen zu entdecken, ohne deren strukturelle Vergleichbarkeit zu zerstören und sie vermeidet die ungerechtfertigte Wahl zwischen Bedeutung und Interesse. Auf dieser begrifflichen Basis und gegenüber den eigenen Vorstellungen der Menschen von Verwandtschaft, davon wie sie sich ihr „relevantes Anderes“ vorstellen und den Mustern symbolischer Ausrichtungen sowie des Wesens ihrer Grenzen bin ich der Meinung, dass die Anywaa und die Nuer zwei Arten von Ethnizitäten darstellen und damit einen primordialistischen bzw. einen konstruktivistischen Ansatz wiedergeben. Mit einer stärkeren Vorstellung vom Ursprung (einem Urahn), von einer Ideologie der ethnischen Endogamie und von internen Vorstellungsmodi vom relevanten Anderen (dem symbolischen Kontrast zwischen Gott und Menschheit) stehen die Anywaa für ein emisches primordiales Konzept für eine ethnische Gruppe, wohingegen die Nuer mit einer schwächeren Abstammungsideologie, offenen Mitgliedschaftskriterien und einer assimilationistischen Ideologie für ein emisches konstruktivistisches Konzept für eine ethnische Gruppe stehen. So betont der Inhalt der ethnischen Identität der Anywaa vorwiegend die Bedeutungsdimension einer ethnischen Identität (mit stärkerer Betonung auf der Gesellschaftsordnung), während sich der Inhalt der ethnischen Identität der Nuer stärker auf die Interessedimension konzentriert (mit stärkerer Betonung des Pragmatismus). Ob man nun primordiale oder konstruierte Betrachtungsweise annimmt, Anywaa oder Nuer zu sein ist eine wichtige Klassifizierung für diejenigen, die sich mit ihnen identifizieren, denn sie suggerieren die Bevorzugung bestimmter Haltungen im Lebensstil und lassen auf verschiedene Arten der Persönlichkeit schließen, die auf bestimmten Vorstellungen von der Welt beruhen.

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