Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia

Dereje Feyissa
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia


Zu dem Kampf auf kultureller Ebene kommen noch neue Ziele auf wirtschaftlichem Gebiet hinzu. Der gleichzeitig stattfindende wirtschaftliche Prozess, der den Konflikt zwischen Nuer und Anywaa geschürt hat, ist ein Wandel in der pastoralen Wirtschaft (bzw. eine Verschiebung in Richtung Agropastoralismus). Dies ist wiederum verbunden mit geringerer pastoraler Mobilität aufgrund von Unsicherheit und Viehdiebstahl durch bewaffnete politische Gruppen an der äthiopisch-sudanesischen Grenze, was eine Auswirkung des Bürgerkriegs im südlichen Sudan ist. Ein Ergebnis davon waren spontane und organisierte Nuer-Wanderbewegungen aus dem südlichen Sudan in die relativ friedliche Gambelaregion. Dadurch sind neue lokale Gruppenakteure in der Identitätspolitik aufgetaucht, was die Angst der Anywaa weiter vergrößert hat. Mit wenig Produktionstechnologie (Gambela ist eine der wenigen Regionen in Äthiopien, wo der Ackerbau mit dem Pflug nicht praktiziert wird) werden nur 2,4% des bebaubaren Landes kultiviert. Außerdem ist der Landtyp, für den es die meiste Konkurrenz gibt, fruchtbares reiches Schwemmland, das für die Feuchtkultivierung während der Trockenzeit geeignet ist. Diese Bodenform bedeckt nur 0,5% des gesamten Landgebiets der Region und das meiste davon gehört zum Territorium der Anywaa. In der neuen Mangelwirtschaft ist die Kultivierung von Flussland zu einem zusätzlichen Streitpunkt und von echter materieller Bedeutung für diejenigen geworden, die am ethnischen Konflikt beteiligt sind. Der wirtschaftliche Prozess allein ist jedoch kein ausreichender Faktor zur Auslösung eines Konfliktes, wie er heute von den Anywaa und den Nuer erlebt wird. Der Wettbewerb um natürliche Ressourcen ist die am häufigsten genannte Ursache für intra-ethnische Konflikte und Interclankämpfe bei den Nuer und er hat subethnische Interessengruppen hervorgebracht, von denen einige strategisch so positioniert sind, dass sie von einem inter-ethnischen Frieden einen Nutzen ziehen.

Es sind die größeren politischen Prozesse, die auf eine ethnische Logik hingearbeitet haben, die dazu geführt hat, dass sich wirtschaftliches Interesse mit ethnischem Register verbunden hat und dass der Kampf um kulturelle Identität schlimmer geworden ist. Dieser politische Prozess drückt sich in Form von unterschiedlichen Integrationsmustern der Anywaa und Nuer in das Staatssystem (in Äthiopien und im Sudan) aus, was zu schwankenden lokalen Machtverhältnissen geführt hat. Dies ist ein politischer Raum mit vielen Konkurrenzkämpfen und neuen Zielen im sozialen Kampf, besonders in der politischen Ordnung nach 1991 in Äthiopien, wo Ethnizität in Form von ethnischem Föderalismus institutionalisiert wird. Mit der Errichtung des Regionalstaates Gambela als ein Bestandteil der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien 1991 ist ein neuer politischer Raum geschaffen worden, in dem Anywaa- und Nuer-Eliten durch die Mobilisation ihrer jeweiligen ethnischen Identitäten um die Macht kämpfen und ihre gesellschaftlichen Bedürfnisse artikulieren. Die Anywaa haben den neuen Regionalstaat Gambela durch die Ideologie des Rechts der „Zuerstgekommenen“ dominiert, d.h. durch einen Anspruch auf 70% der Landfläche der Region Gambela. Die Anywaa wurden anfangs durch die neue Regierungspartei auf der Basis ihres „Beitrages“ zum Regimewechsel unterstützt, während die Nuer mit dem abgesetzten Regime in Verbindung gebracht wurden. Jenes politische Ereignis hat neue Formen administrativer Macht hervorgebracht, die die Anywaa dazu benutzen wollten, die assymetrischen lokalen Machtverhältnisse zu ändern. Mit einer Schilderung des Verlustes („narrative of loss“) haben die Anywaa versucht, den Regionalstaat für sich „einzunehmen“, und im ethnischen Föderalismus sahen sie eine neue politische Möglichkeit für ihr Projekt, die Nuer „unter Kontrolle“ zu halten. Dazu gehörten auch politische Exklusionspraktiken, bei denen im Prinzip der „Personalausweis“ bei der Verteilung neuer Belohnungen (Verwaltungsposten, moderne Waren und Dienstleistungen) benutzt wurde. Trotz der Unterschiede in der Siedlungsgeschichte (manche Nuergruppen kamen schon um die Wende des 19.Jahrhunderts in die Region Gambela) haben die Anywaa die Nuer als sudanesische Ausländer bezeichnet und damit ein neues homogenisierendes Element bei der Konsolidierung der Nuerethnizität geschaffen. Die Anywaa haben einen „Beweis“ für ihre Definition weniger aus Geschichtsbüchern als aus der Nuerpraxis der alternativen Staatsbürgerschaft (einem Wechsel zwischen der äthiopischen und der sudanesischen nationalen Identität). Das betraf vor allem die 1980er Jahre, als es im Zusammenhang mit dem Hilfsregime lohnender war, ein Flüchtling zu sein und weniger ein Staatsbürger. Das Hilfsregime nahm sich der Bedürfnisse der südsudanesischen Flüchtlinge in der Region Gambela an (durch Hilfeleistungen, Sicherheitsmaßnahmen und Zugang zu sozialen Dienstleistungen). Dadurch konnten die äthiopischen Nuer als Südsudanesen viel eher durchgehen als die äthiopischen Anywaa, denn es leben mehr Nuer im Südsudan als Anywaa. Aufgrund dessen erkannten die Hilfsagenturen die äthiopischen Nuer allem Anschein nach (prima facie) als Flüchtlinge an, während sich die Anywaa strengen Überprüfungen unterwerfen mussten. Fast alle heutigen Nuer-Beamte und -Politiker in der Gambelaregion erhielten ihre Ausbildung in den Flüchtlingslagern unter der Schirmherrschaft der UNHCR. Das hat zu einem gewissen Neid auf Seiten der Anywaa geführt, während es die Nuer der Exklusionspolitik in Gambela nach 1991 ausgeliefert hat.

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