Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia

Dereje Feyissa
Dissertation Thesis | Doktorarbeit
submitted at | eingereicht an der
Philosophischen Fakultät I, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ethnic Groups and Conflict. The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambela Region, Ethiopia


Hier finden wir die Anwendung gegensätzlicher Definitionen von dem was es heißt, ein Gastgeber oder ein Gast zu sein, welche auf unterschiedlichen Vorstellungen von Verwandtschaft beruhen. Für die Anywaa ist, ein Gast (welo) zu sein ein ständiger Zustand, ein Begriff, der auch in Beziehungen zwischen Gruppen und Dörfern in der Anywaa-Gesellschaft verwendet wird. Er steht dem Begriff jobur (d.h. Erstsiedler in einem Dorf) gegenüber. Für die Nuer ist ein Gast zu sein ein zeitweiliger Zustand, eine Phase in einem Lokalisierungsprozess, ein Konzept, das auch intraethnisch angewendet wird. Die Vorstellung von einem Erstankömmling bei den Nuer (diel) ist ein Bezugsrahmen für Neuankömmlinge (andere Nuer und Nicht-Nuer gleichermaßen), in dem eine Lokalisierung durch die Annahme des Abstammungsnamen des diel erfolgt. Die Anywaa definieren die Nuereinwanderer in ihre Dörfer, die jetzt mit ihnen verwandt sind als welo, egal wie lange sie bleiben. Auf lange Sicht haben es die Nuer aber geschafft, eine Kombination von wirtschaftlichen Anreizen, demographische Macht und die Manipulation von Verwandtschaftsbeziehungen in ihre Definition von einem Gastgeber/Gast mit einzubringen. Diese Instrumentalisierung des interethnischen Austausches hat zusammen mit einer flexiblen ethnischen Rekrutierung und einer komplexen Assimilationsideologie zu einem einseitigen Prozess der ethnischen Konversion und der Ausdehnung des kulturellen Raumes der Nuer geführt. Dieser Prozess hat unterschiedliche Kategorien von Anywaa mit verschiedenen Belangen geschaffen. Für manche ist ethnische Konversion (die auch Änderungen in der Lebenshaltungsstrategie bedeutet) eine neue Chance, die die Diversifikation der Lebenshaltung verspricht. Das wird durch den Erfolg des Integrationssystems der Nuer gefördert, welches aktiv den Prozess der „Nuerwerdung“ unterstützt (was letztendlich nur kulturelle Kompetenz verlangt). Durch die Erinnerung an frühere Verluste und die Bedeutung von Land im Identitätsdiskurs der Anywaa, erleben diejenigen Anywaa, die sich noch außerhalb des kulturellen Orbits der Nuer befinden die Aufzwingung der Lebensweise der Nuer als „symbolische Verletzung“ ihrer Ansicht von den Dingen (eine andere Vorstellung vom Ethnischen), als kulturelle Hegemonie, die Ängste ausgelöst und den Diskurs über die „Angst vor Ausrottung“ hervorgebracht hat. Pragmatischen Zwängen erlegen führen diejenigen Anywaa, die trotzdem einen Austausch mit den Nuer pflegen, um gleichzeitig ihre Identität zu bewahren, eine subtile Form von Widerstand durch. Die meisten interethnischen Ehen werden von wirtschaftlicher Notwendigkeit bestimmt, die die Ideologie der ethnischen Endogamie aufbricht. Dies führt zu einem Dilemma, das sich darin widerspiegelt, wie die Anywaa der Ausdehnung der Nuer auf lokaler Ebene Widerstand leisten.

Das strategische Dilemma und das Wesen des Kampfes um kulturelle Identität zeigen sich am deutlichsten in einer lokalen politischen Praxis mit der Bezeichnung chirawia. Wörtlich bedeutet das „die Hände heben“ und es ist ein Kodewort für ihren Versuch, die Nuer-Ressourcen (Vieh) anzuzapfen und gleichzeitig das Wachstum der Nuer-Siedlungen und die Übernahme ihrer Ländereien durch „unsichtbare“ Gewalt zu behindern. Dementsprechend nimmt ein Anywaa mit Verwandtschaftsbeziehungen zu einem Nuer seine Schutzpflicht (als Gastgeber) zurück und gestattet anderen nicht-verwandten (anonymen) Anywaa seinen „Nuergast“ zu töten. Über einen Zeitraum hinweg haben solche Praktiken zu einer zunehmenden Verärgerung auf Seiten der Nuer geführt. Die Nuer interpretieren chirawia als „kaltblütiges, willkürliches“ Töten durch die Anywaa und als Beweis für ihren moralisch „korrupten“ Charakter. Deshalb nennen sie sie ‚luuch naath’, Mördervolk. Chirawia wird verglichen mit der „Minderheitenpolitik“ der Nuer und ihrer „humaneren“ Auffassung von einem Gast, oder neekä (meine Leute). Bei den Nuer zählt ein Gast zu einer Minderheitengruppe und der Gastgeber hat die strenge moralische Pflicht seinen neekä , d.h. auch einschließlich Leute aus anderen ethnischen Gruppen, zu beschützen. Die beiderseitige Wut hat zu einem moralischen Wettstreit geführt, bzw. zur Bewertung der Persönlichkeit, je nachdem ob jemand Nuer oder Anywaa ist. Dies hat die Wirkung eines neuen „primordialen“ Spiels in den interethnischen Beziehungen, denn indem die Nuer dem Wesen der Anywaa eine „bestimmte Eigenschaft“ zuschreiben, nehmen sie das Konzept der Anywaa von einer ethnischen Gruppe an und müssen bei ihrer eigenen Assimilationsideologie, die auf der Annahme einer gewissen Gleichheit beruht, Kompromisse machen.

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