Integration durch Konflikt: Interethnische Beziehungen und Ressourcenmanagement im westlichen Afrika

Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max Planck Institut für ethnologische Forschung

Autoren
Dafinger, Andreas
Abteilungen
Integration und Konflikt (Prof. Dr. Günther Schlee)
MPI für ethnologische Forschung, Halle/Saale
Zusammenfassung
Das hohe Konfliktpotenzial sich ethnisch und ökonomisch abgrenzender Gruppen ist für weite Teile des subsaharischen Afrika bestimmend. Auch die Auseinandersetzungen der 1990er-Jahre in Ruanda und die gegenwärtigen Konflikte in Nigeria instrumentalisierten nicht zuletzt die Spannungen zwischen den Viehzucht betreibenden (pastoralen) und den bäuerlichen Gruppen. Staatliche und internationale Institutionen versuchen oft, diesem Problem mit einer Vermeidungspolitik zu begegnen, die die Abgrenzung der beteiligten Parteien propagiert und gleichzeitig die wirtschaftliche Produktivität durch Landrechtsreformen und die Vergabe von Landtiteln abzusichern sucht. Wie die vergleichenden Untersuchungen zeigen, können Konflikte bis zu einem bestimmen Maße auch integrativ wirken und die Koexistenz der Gruppen sowie die wirtschaftliche Arbeitsteilung oft erst ermöglichen. Die räumliche und soziale Trennung kann, wie das Beispiel des Kameruner Graslandes zeigt, durchaus gegenläufige Konsequenzen haben und bestehende Auseinandersetzungen verschärfen.

Vielvölkerstaaten, in Europa eher die Ausnahme und häufig Herd konfliktträchtiger Auseinandersetzungen, sind in den meisten Teilen Afrikas die Regel. Länder wie Burkina Faso vereinen rund sechzig, Kamerun über 250 verschiedene ethnische Gruppen - um nur zwei Beispiele zu nennen. Das Mit- und Gegeneinander dieser Gruppen, die Dynamik innerhalb der Gemeinschaften und deren Integration in den staatlichen Rahmen darzustellen, gehören zu den zentralen Aufgaben der Abteilung "Integration und Konflikt" am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung. Derzeit arbeiten sieben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in fünf verschiedenen Ländern des westlichen Afrika: Elfenbeinküste (Diallo), Ghana (Nieswand, Tonah), Burkina Faso (Dafinger, Diallo), Kamerun (Guichard, Pelican) und Sierra Leone (Knörr). Diese Projekte bilden inhaltlich einen eigenen Schwerpunkt innerhalb der Abteilung und ermöglichen internationale Vergleiche. Hierbei spielt die Bewertung unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle. Einige Staaten thematisieren Aspekte ethnischer Zugehörigkeit ausdrücklich und integrieren sie in die nationalen Rechtssysteme. Andere hingegen unterstreichen das Konzept der Staatsbürgerschaft, welches sprachliche, kulturelle oder regionale Unterschiede zugunsten einer gemeinsamen nationalen Identität zurückstellt. Auch die Folgen globaler Dezentralisierungspolitik betreffen die Länder Afrikas in besonderer Weise. Internationale Organisationen sind verstärkt in staatliche Regulierungsmaßnahmen einbezogen und bereiten den Boden für die Umsetzung staatlicher Verwaltung und Rechtsordnung. Neben den ökologischen und historischen Parallelen sind auch diese übergeordneten Richtlinien globaler Politik Teil der Vergleiche zwischen den Forschungsregionen.

Die Erben Kains und Abels: Beziehungen zwischen Fulbe-Hirten und bäuerlicher Bevölkerung

Ein Hauptaugenmerk der Untersuchungen gilt den Beziehungen der bäuerlichen zu den pastoralen, also Viehwirtschaft betreibenden, und zu agropastoralen Gruppen. Bei letzteren ist Viehzucht zwar die wichtigste, aber bei weitem nicht mehr die einzige wirtschaftliche Aktivität. Die meisten dieser Haushalte bestellen auch kleinere Felder, um einen Teil des Bedarfs an landwirtschaftlichen Produkten zu decken. Obwohl sie insgesamt nur einen geringen Teil der jeweiligen Lokalbevölkerungen stellen, zählen einige der pastoralen Gemeinschaften zu den größten ethnischen Gruppen des Sahelgürtels und der Savannengebiete südlich der Sahara. Im westafrikanischen Raum sind dies vor allem die Fulbe-Hirten, zu denen vier der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung arbeiten.

Fulbe stellen mit 14 Millionen Angehörigen eine der größten Volksgruppen südlich der Sahara dar. Ihre Siedlungs- und Weidegebiete erstrecken sich vom Senegal bis in den Nordwesten Äthiopiens (Abbildung 1). Bedingt durch diese großräumige Verteilung unterscheiden sich die jeweiligen Fulbe-Gemeinschaften in den unterschiedlichen Regionen teilweise deutlich in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Gleichzeitig aber bilden gemeinsame geschichtliche Bezüge, die Rinderzucht als ökonomische Grundlage, die Sprache sowie ein ausgeprägtes Bewusstsein einer gemeinsamen Identität ("pulaaku" = "Fulbetum") Konstanten, die die vergleichende Forschung über diese Gruppe möglich machen.

Zwei Modelle ökonomischer Koexistenz

Gemeinsame Nutzung von Ressourcen

Eine primäre Form sozialer und ökonomischer Koexistenz ist die überlappende Nutzung gemeinsamer Ressourcen. Gerade in den Savannengebieten leben Bauern und Hirten in engem Austausch und nutzen dabei dieselben natürlichen Ressourcen innerhalb derselben geographischen Räume (zum Beispiel Wasser oder Landflächen) in unterschiedlicher Weise oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dies schafft unter anderem die Grundlage für ein sich wechselseitig ergänzendes Zusammenleben, bietet aber auch Anlässe für Auseinandersetzungen. So ist die in Burkina Faso gängige Praxis zeitlich versetzter Nutzung derselben Ressourcen einerseits durchaus vorteilhaft für alle Beteiligten. Felder, die nach der Ernte beweidet werden, bieten den Rindern bessere Nahrungsgrundlagen als unbewirtschaftetes Buschland. Gleichzeitig hinterlassen die Rinder ausreichend Dung, um die Felder dauerhaft ertragreich zu halten. Auf der anderen Seite führt die räumliche Nähe von Hirten und Bauern aber immer wieder zu Schäden an bewirtschafteten Flächen durch die Herden, während eine zunehmende Ausdehnung der Feldflächen den Wirtschaftsraum der Hirten einschränkt.

Solche Auseinandersetzungen um Zeitpunkt und Dauer der Nutzung werden meistens vor lokalen rechtlichen Instanzen, den Dorfchefs und Klan-Ältesten abgewickelt und geraten nur in Ausnahmefällen vor staatliche Gerichte. Diese lokalen Schlichtungsverfahren bieten breitere Spielräume, die jeweiligen Gruppeninteressen zu berücksichtigen. Die hier ausgehandelten Lösungen basieren auf Konsens und dienen der Integration aller Beteiligten. Gerade durch die Regelmäßigkeit der Streitigkeiten werden diese vermittelnden Instanzen in ihrer Funktion bekräftigt und wirken mit, das gesamtgesellschaftliche Gefüge zu stabilisieren [1, 2]. Konflikt und Konfliktlösungsverfahren wirken hier also durchaus integrativ und tragen dazu bei, gewalttätige Auseinandersetzungen und Eskalationen zu verhindern.

Andere Ressourcen wie Flussläufe oder Wasserstellen stehen nur während der Trockenzeit unbegrenzt zur Verfügung und führen gerade wegen unterschiedlicher Nutzungsweisen zu Konflikten. Zum einen ziehen diese Wasserstellen eine hohe Zahl von Rindern an, zum anderen liegen hier bevorzugt die Gärten der bäuerlichen Bevölkerung. Diese meist umzäunten Gartenflächen erschweren den Zugang der Hirten zu den Wasserstellen, während die hohe Konzentration von Rindern häufig zu Schäden in den Gärten der Bauern führt. Auch hier vermitteln lokale Schiedsinstanzen wie Dorfälteste zwischen den Konfliktparteien und bemühen sich, den Zugang zu den Wasserstellen einvernehmlich zu regeln. Dennoch hat gerade die Zunahme des Gartenbaus im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zu mehr und schärferen Konflikten geführt, da die Ressourcennutzung im Fall dieser Wasserstellen nicht oder nur bedingt aufgeteilt werden kann. Anders als bei der zeitlich versetzten Beweidung von abgeernteten Feldern und nicht bestelltem Buschland haben Hirten bei der Suche nach Wasserstellen nur wenig oder keine Ausweichmöglichkeiten.

Wie in vielen Ländern des Sahel gilt Gartenbau in Burkina Faso vor allem als lukrative Einnahmequelle, so dass Schäden an den Gärten auch immer einen besonderen finanziellen Verlust bedeuten. Deshalb werden staatliche Schlichtungsinstanzen und Gerichte wesentlich häufiger mit der Schlichtung von Nutzungskonflikten betraut. Sie legen zunehmend Regeln für die getrennte Nutzung der Wasserstellen fest und überwachen deren Einhaltung.

Exklusive Ressourcennutzung

Gerade dort, wo Kommerzialisierung und Ressourcenknappheit die gemeinsame oder zumindest die zeitlich versetzte Nutzung erschweren, gerät die gemeinsame Nutzung von Ressourcen an ihre Grenzen. Aus staatlicher Perspektive scheint der Ausweg oftmals in der Vergabe von ausschließlichen Nutzungsrechten zu liegen.

Ziel staatlicher und anderer übergeordneter Instanzen ist es vor allem, durch Gesetzgebung und Verfahrensvorschriften nachhaltige Rechtssicherheit zu schaffen und einen verlässlichen Rahmen für ökonomischen Austausch und Ressourcennutzung zu etablieren. Dazu gehört besonders die Vergabe von Landtiteln, die einzelnen Nutzergruppen die ausschließlichen Nutzungsrechte an allen Ressourcen innerhalb eines bestimmten Gebietes zusichert. Räumliche Grenzen, die die Nutzergruppen voneinander trennen, sind folglich nicht länger verhandelbar, wie dies bei der gemeinsamen oder zeitlich gestaffelten Nutzung der Fall ist. Damit sollen immer wiederkehrende Rechtsstreitigkeiten vermieden und einzelnen Nutzergruppen Anreiz für längerfristige Investitionen geboten werden. Die Verteilungsverfahren und die Vermittlung in Konfliktfällen liegen damit aber immer seltener in den Händen der lokalen Autoritäten, die nur noch bedingt in Schlichtungsverfahren eingebunden sind.

Exklusive Landtitel führen auch oftmals zu einer räumlichen Trennung der jeweiligen Gruppen. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Kameruner Graslandes. Seit der Kolonialzeit werden hier ausschließliche Nutzungsrechte vergeben. Dies führte zu einer ausgeprägten sozialen und räumlichen Trennung von Mbororo-Fulbe und bäuerlicher Bevölkerung. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Bauern und Hirten ist einer zunehmenden Diversifizierung der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeiten gewichen: Bauern haben begonnen, Kühe zu halten, während Hirten verstärkt Feldbau betreiben. Eine soziale und ökonomische Verschränkung wie sie die Beziehungen in Burkina Faso kennzeichnet, ist in Kamerun wesentlich schwächer ausgeprägt.

Tatsächlich treten als Folge dieser räumlichen und sozialen Trennung Konflikte zwischen Bauern und Hirten seltener auf als dies bei der gemeinsamen oder zeitlich versetzten Ressourcennutzung der Fall ist. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass auftretende Auseinandersetzungen hier eher grundsätzlicher Natur und oftmals gewalttätiger sind. Auch das über lange Zeit von staatlichen und internationalen Organisationen verfolgte Ziel, durch die Vergabe individueller Landtitel Planungssicherheit zu schaffen, wurde nur bedingt erreicht. Staatlich gesicherte Besitz- und Eigentumsrechte haben in den meisten Fällen weder zu der erhofften Investitionsbereitschaft noch zu erhöhter Produktivität geführt.

In Burkina Faso existieren bislang nur vereinzelte Bereiche, die für eine dauerhafte exklusive Nutzung durch Hirten oder Bauern bestimmt sind. Die meisten Auseinandersetzungen werden zwischen den beteiligten Parteien selbst oder durch Vermittlung lokaler Autoritäten gelöst. Im direkten Vergleich dazu [3] haben in Kamerun die besonderen ökologischen und siedlungsgeschichtlichen Bedingungen sowie politische Maßnahmen eine deutlichere Trennung ethnischer Gruppen gefördert.

Wie die Ergebnisse unterstreichen, empfinden die Beteiligten, dass solche sozial eingebetteten und über Konflikte erreichte Lösungen verlässlicher sind als ausschließlich staatlich garantierte Nutzungsregeln. So konzentrieren sich auch staatliche Institutionen und Entwicklungsorganisationen vermehrt darauf, lokale Autoritäten zu integrieren. Darüber hinaus fördern sie den Ausbau so genannter "lokaler Konventionen", die lokale Gruppen gleichberechtigt mit staatlichen und internationalen Institutionen in Entscheidungsprozesse über Nutzungsregeln und deren Überwachung und Sanktionierung einbinden [4].

Konflikt und Freundschaft

Die Ambivalenz dieses Verhältnisses - wechselseitiger Nutzen auf der einen und Wettbewerb um Ressourcen auf der anderen Seite - ist gerade dort, wo gemeinsame Ressourcennutzung überwiegt, eines der besonderen Merkmale der Beziehungen zwischen Bauern und Hirten. Im alltäglichen Leben wird diese Spannung oftmals auf zwei unterschiedliche Ebenen des Umgangs verlagert: Während Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum Differenzen zwischen beiden Lebensformen unterstreichen und oft die Rechtmäßigkeit der Ansprüche der jeweils "Anderen" in Zweifel ziehen, ist es persönlichen und privaten Beziehungen vorbehalten, verbindende Aspekte zu betonen.

Interethnische Sozialbeziehungen spielen dabei eine bedeutende Rolle für die Stabilität der eigenen Gruppe. Beispielsweise ist es in vielen Regionen Westafrikas vorherrschende Praxis, dass Bauern benachbarten Hirten ihre Rinder zur Haltung anvertrauen. Unter anderem verbergen sie damit ihren relativen Wohlstand vor der eigenen Gemeinschaft. Zudem beschränkt sich die gemeinsame Ressourcennutzung meist auf lokal ansässige Hirtengruppen, während bäuerliche Gemeinschaften gegenüber Zugezogenen oder vorübergehend dort siedelnden Hirten wesentlich restriktiver auftreten. Lokale Hirten werden nur selten in den unmittelbaren Verteilungskampf mit den Neusiedlern einbezogen, sodass persönliche Beziehungen zwischen ihnen in aller Regel freundschaftlich und durch wechselseitiges Vertrauen geprägt sind [3, 5].

Die Gleichzeitigkeit privater freundschaftlicher Bindungen und öffentlich ablehnender Haltungen ist ein charakteristisches Merkmal vieler gemischt bäuerlich-pastoraler Gemeinschaften. Die hier vorgestellten Forschungsprojekte unterstreichen gerade diese Ambivalenz und konzentrieren sich auf die Ebene der individuellen Beziehungen. Die systematische Erforschung des Komplexes "Freundschaft und Verwandtschaft" hat sich als ein eigenes, zum Teil interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld herausgebildet [6]. Wie Verwandtschaft ist Freundschaft einerseits universell, in ihrer jeweiligen Ausprägung jedoch höchst unterschiedlich und kulturspezifisch. Mit der analytischen Betrachtung freundschaftlicher Beziehungen bietet sich ein Schlüsselansatz zum Verständnis individueller gruppenübergreifender Beziehungen, der über Bauern-Hirten-Gemeinschaften hinausreicht. Auch ethnisch gemischt zusammengesetzte Gemeinschaften, wie sie durch Arbeitsmigration entstehen, zeichnen sich durch eine vergleichbare Bedeutung freundschaftlicher Bindungen aus. Dies zeigen die Untersuchungen von Grätz in Goldgräbercamps: Freundschaftliche Bindungen zwischen Teammitgliedern sind dort oft stabiler als herkunftsbezogene oder verwandtschaftlich gestiftete Bindungen [7].

Literatur

[1] G. Elwert: "Conflict, anthropological perspective". In: International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences. (Hg.) N. Smelser and P. Baltes. Elsevier, Amsterdam 2001, 2542-2547.

[2] G. Schlee: Taking sides and constructing identities reflections on conflict theory. Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, 10, 1, 135-156 (2004).

[3] A. Dafinger and M. Pelican: Land rights and the politics of integration: Pastoralists’ strategies in a comparative view. Max Planck Institute for Social Anthropology Working Papers (48), Halle/Saale 2002.

[4] F. von Benda-Beckmann, K. von Benda-Beckmann and B. Turner. Die Revitalisierung von Tradition im Recht: Rückfall in die Vergangenheit oder zeitgemäße Entwicklung? In: Jahrbuch 2003. Max-Planck-Gesellschaft, München 2002, 299-307.

[5] M. Pelican: Frauen- und Männerfreundschaften im Kameruner Grasland: ein komparativer Ansatz. In: Afrika-Spectrum 39, 1, 63-39 (2004).

[6] P. Schuster, R. Stichweh, J. Schmidt, F. Trillmich, M. Guichard and G. Schlee: Freundschaft und Verwandtschaft als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Einleitung zum Themenschwerpunkt. In: sozialer sinn 1, 3-20 (2003).

[7] T. Grätz: Friendship ties among young artisanal gold miners in northern Benin. In: Afrika-Spectrum 39, 1, 95-117 (2004).

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