Abteilung ‚Ethnologie, Politik und Governance‘
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Die Mitglieder der 2020 neu gegründeten Abteilung „Ethnologie, Politik und Governance“ untersuchen Alltagswelten mit dem Ziel zu verstehen, wie soziopolitische Arrangements, Governance-Initiativen und soziale Bewegungen die gegenwärtige Welt prägen und die Zukunft gestalten.
Wir leben in kritischen Zeiten, so unsere Ausganghypothese. Gesundheitskrisen stellen Gesellschaften vor neue Herausforderungen; der Klimawandel, so befürchten viele, könnte dem menschlichen Leben, wie wir es kennen, ein Ende setzen. Viele Menschen leiden unter Krieg oder totalitärer Herrschaft, während andere die Ausbreitung von Extremismus und Gewalt befürchten. Die Reaktionen auf diese Herausforderungen sind vielfältig und reichen von spektakulären Aktionen und lauten Protesten bis hin zu Versuchen, die Herausforderungen durch neue Techniken und Technologien des Regierens zu bewältigen. Ausgangspunkt der Forschung sind die jeweils spezifischen Fragen und Antworten, die sich in konkreten mehr-als-menschlichen Lebensumfeldern ergeben. Welche Wirkungen zeitigen aktuelle Diagnosen der Gegenwart und die Identifizierung von globalen Problemen und wie tragen sie zur Neupositionierung des Menschen bei? Unser Fokus liegt auf den emblematischen Themen von ökologischen Transformationen und Wohlergehen. Zudem fragen wir nach der Rolle von Technik-Optimismus beim Versuch, die Komplexität des (menschlichen) Lebens zu bewältigen.
Ethnologischen Traditionen folgend, findet die Forschung an verschiedenen Orten rund um die Welt statt und reflektiert typische Paradoxe menschlichen Handelns. So beobachten wir, dass sich in der Praxis Furcht vor der Zukunft und das Gefühl von Unsicherheit mit optimistischem Handeln paart, das angespornt ist von der Überzeugung, dass Zukunft gestaltet und abgesichert werden kann. Im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Sorge entstehen visionäre Entwürfe und praktische Interventionen, die eine Gratwanderung vollführen zwischen hingebender Für-Sorge und ordnender Kontrolle. Durch die kombinierte Erforschung von Praktiken der Für-Sorge und Kontrolle – in den benannten Themenbereichen ökologischen Transformationen, Wohlergehen und des Technik-Optimismus – beleuchten die Projekte dieser Abteilung die Art und Weise, wie Zeit erfahren und Zukunft gestaltet wird. Wir zeigen, wie Menschen universelle Probleme adressieren und reflektieren die verhängnisvollen Verflechtungen von Lebensumständen im planetarischen Ökosystem.
Aktuell arbeiten wir in drei Arbeitsgruppen zusammen, um projektrelevante Einsichten zu übergeordneten Fragestellungen in Beziehung zu setzen. Die Arbeitsgruppe „politische Versammlung“ fragt nach der Gestalt von Kollektiven, die Zukunft gehalten. Welche Arten der politischen Versammlung gibt es und wie werden diese relevant? Welche Handlungsmacht oder welchen Einfluss haben kollektive Akteure oder die Imagination von Kollektiven, wie demos (Volk), die Bevölkerung, Masse oder Öffentlichkeit? Die Arbeitsgruppe „gelebte Utopien“ thematisiert die Beziehung zwischen erfahrener Lebenswelt und ersehnten Zukünften. Das Augenmerk richtet sich auf die imaginierte Beziehung zwischen verschieden Zeithorizonten. Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen dem Hier und Jetzt und der als utopisch oder despotisch vorgestellten Zukunft? Welche Rolle spielen das Denken in Generationen oder Trans-generationalen Zeitdimensionen? Die Arbeitsgruppe „Wissenschaft und Universalität“ thematisiert den Universalitätsanspruch wissenschaftlichen Denkens und fragt was passiert, wenn vermeintlich universales Wissen auf konkretes lokal relevantes Handlungswissen prallt. Welche Konflikte und Umdeutungen werden hier vorgenommen, um mit der Spannung zwischen lokalen Wissensformen und universellen Wissensansprüchen umzugehen. Alle Arbeitsgruppen sind Labore zur Theorienbildung und werden sich daher verändern und thematisch immer wieder neu ausrichten.