Industrielle Transformationen und sich wandelnde politische Einstellungen in Ostdeutschland

Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist die wirtschaftliche, politische und symbolische Trennung zwischen Ost und West immer noch stark ausgeprägt. Die letzten Bundeswahlen 2017 brachten breite Sympathie für den Rechtspopulismus in den Ländern der ehemaligen DDR, darunter auch Sachsen, zum Vorschein. Es wird häufig argumentiert, dass der Rechtspopulismus vor allem in armen, deindustrialisierten Gebieten mit hohen Arbeitslosigkeitsquoten gedeiht. Diese Merkmale gelten allerdings nicht für Sachsen: das Land ist hochindustrialisiert und die Arbeitslosigkeit ist relativ niedrig. Insbesondere die Automobilindustrie in Zwickau wird häufig als Paradebeispiel einer erfolgreichen postsozialistischen Transformation angeführt. Im Gegensatz zu vielen Industriestädten in der ehemaligen DDR, wurde hier die Autoherstellung nach der Wiedervereinigung nicht eingestellt. Ganz im Gegenteil: im Mai 1990 rollten im Volkswagenwerk Mosel (ein Vorort von Zwickau) der erste Trabant 1.1 und der erste VW Polo symbolisch nebeneinander vom Montageband. Heute spielt die Automobilindustrie eine zentrale Rolle in der Wirtschaft der Region und beschäftigt ca. 40.000 Menschen. Mit ihrer reichen Geschichte und ihrer entscheidenden Bedeutung für die Region ist die Automobilindustrie im Raum Zwickau ein hervorragender Fall für die anthropologische Forschung über die sozialen Aspekte industrieller Transformationen.

Dieses Forschungsprojekt basiert auf einer einjährige Feldforschung in Zwickau sowie auf dort durchgeführter teilnehmender Beobachtung und detaillierten Interviews. Mit Fokus auf die Erfahrungen der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Zwickauer Automobilindustrie soll dieses Forschungsprojekt die moralischen, politischen und sozialen Wirkungen der sich wandelnden Arbeitsbeziehungen im modernen Kapitalismus beleuchten, sowie ihre Verflechtung in örtlichen Narrativen über Arbeit, Moralvorstellungen und Wirtschaft. Bezugnehmend auf Kalb und Halmai (2011) vertrete ich die These, dass die sich wandelnde Klassenverhältnisse und die Erfahrung ökonomischer und kultureller Enteignung, die mithilfe von ethnischen oder nationalistischen Kategorien interpretiert werden, einen wesentlichen Faktor im Erfolg des Rechtspopulismus darstellen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Populismus auf die ökonomische Enteignung der Arbeiterklasse reduziert werden kann. Vielmehr ist es nötig, einen genaueren Blick auf die lokalen kulturellen und historischen Zusammenhänge Ostdeutschlands zu werfen, um ihren Einfluss auf diesen Prozessen zu verstehen. Darunter sind die kollektiven Erinnerungen an den Sozialismus, Erfahrungen der postsozialistischen Transformationen sowie die hegemonialen Beziehungen zwischen dem dominierenden Westen und dem dominierten Osten zu nennen.

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