Digitalisierung und Techniken der Selbstsorge in Indien

Dieses Forschungsprojekt befasst sich mit digitalen Gesundheitstechnologien und ihrer Bedeutung für die Bewältigung von Stress und emotionalen Schwierigkeiten in Indien und darüber hinaus. Es untersucht zum einen die Entwicklung von Gesundheits-Apps und den Technologien, die diesen innewohnen, und fragt zum anderen, wie sich Vorstellungen und Praktiken von (Selbst-)Sorge (care) durch die Nutzung verändern. Onlinetherapien und Apps bieten technische Lösungen für (Selbst-)Sorge und die Bewältigung emotionaler Schwierigkeiten. Deren Designer und Programmierer haben bestimmte Vorstellungen von dem was psychische Gesundheit ist und über Kontexte und Lebensformen, in denen digitale Gesundheitstechnologien zum Einsatz kommen könnten. Diese Vorstellungen sind den Apps eingeschreiben, die als radikal neue Technologie aber auch gleichzeitig Sorgelandschaften und -praktiken verändern. Im Zentrum stehen einerseits Design und Entwicklung digitaler Innovationen im Bereich von psychischer Gesundheit, andererseits deren globalen, lokalen und alltäglichen Auswirkungen. Das Projekt leistet einen Beitrag zur Medizinanthropologie, Wissenschaft- und Technikforschung und zu Digitalisierungsstudien, indem es die Fallsstudie als Beitrag konzipiert zu Themenfeldern wie Universalität und Standardisierung, Utopien, Expertise, Sorge sowie Mensch-Technik-Beziehungen. Die Feldforschung umfasst teilnehmende Beobachtung und Interviews in Startups in Bangalore, die diese Apps für psychische Gesundheit entwickeln, in Krankhenhäusern, Unternehmen und Colleges, die diese einsetzen und Tagebuch-Projekte mit Nutzern.

Psychische Gesundheit und Wohlbefinden sind zu einem wichtigen Thema und Ziel von Interventionen im Feld der globalen Gesundheit geworden. Gleichzeitig haben die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen nicht nur eine globale Krise der psychischen Gesundheit verursacht, sondern auch die Verwendung von digitalen Technologien zur Verbesserung von psychischer Gesundheit normalisiert. Apps zur Stabilisierung von psychischer Gesundheit und Steigerung von Wohlbefinden versprechen Lösungen für die emotionalen Herausforderungen der heutigen Zeit und während sie neue Formen der (Selbst-) Sorge ermöglichen, sind sie auch Instrumente der (Selbst-) Kontrolle. Plattformen und Apps für psychische Gesundheit verlagern Therapie aus der Klinik in das Smartphone. Sie gründen auf einer neuartigen Kooperation zwischen Therapeuten und  IT-Experten, und ihre techno-optimistischen Erfinder und Befürworter sehen sie als probates Mittel zur Überwindung von Versorgungslücken und Stigma, als Medien für selbstbestimmte und personalisierte Intervention und als Antwort auf neue Bedürfnisse. Sie erziehen zur Selbstsorge und Eigenverantwortlichkeit und sind damit, so ihre Kritiker, Instrumente, die Auseinandersetzung mit strukturelle Ursachen von Leiden zu umschiffen.

Was sind die politischen, wirtschaftlichen und moralischen Hoffnungen, die die Verbreitung solcher digitalen Werkzeuge fördern? Welche neuen Formen der Für-Sorge, Selbstsorge und Intimität bringen sie hervor, wie werden diese durch sozialen Kontexte vermittelt? Welche standardisierten Annahmen über psychische Gesundheit und emotionale Schwierigkeiten werden in Technologien eingeschrieben, und wie werden diese verändert durch die Nutzung und fortwährende Weiterentwicklung? Welche politische und ökonomische Mobilisierung, welche Kritik lösen sie aus? Diese sind einige der Fragen, die in diesem Projekt bearbeitet werden.

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