Ethnologische Gedanken und Beobachtungen zu Corona
Seit Januar 2020 bestimmt das Auf und Ab der Pandemie das öffentliche Leben, die Berichterstattung in den Medien und natürlich auch die Wissenschaft. Ethnologen müssen sich intensiv mit der Krise beschäftigen, denn ihr Labor ist das soziale Leben. Im Zentrum ihrer Forschung steht normalerweise das Eintauchen in die Welt des Alltags, der Rituale, Bräuche und Gewohnheiten. Und genau das ist seit fast einem Jahr nur noch sehr eingeschränkt möglich. Aber sie sind eben auch Meister der präzisen Beschreibung von sozialem Wandel und den Veränderungen im Leben der Menschen. Ursula Rao, Biao Xiang, Günther Schlee und David O’Kane haben sich in den letzten Wochen im Radio und in Blogbeiträgen mit den globalen Auswirkungen der Pandemie beschäftigt. Sie reden und schreiben über Begrüßungsrituale, neue Formen der Mobilität und Migration und darüber, welchen Wert lokale Gemeinschaften angesichts internationaler Bedrohungen haben.
Ursula Rao macht sich im hr-info-Podcast „Wissenswert“ gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten Gedanken über die Kulturtechnik des Händeschüttelns und wie sich diese Form der Begrüßung und des Abschieds mit den Kontaktbeschränkungen in den letzten Monaten verändert hat.
Link zum Podcast in deutscher Sprache
Biao Xiang beschäftigt sich in seinem Beitrag „Schockmobilität: Akute Erschütterungen bei der Migration von Menschen können langfristige Folgen haben“ im Fluchtforschungs-Blog des Netzwerks Fluchtforschung mit dem Phänomen der Schockmobilität. Er schlägt vor, dass Schockmobilität als „Verbindungsmoment“ im Gefüge unterschiedlicher Mobilitätsformen verstanden werden sollte. Anhand von fünf empirischen Beispielen erläutert Xiang die konkreten Formen, die diese Verbindungsmomente annehmen und welche langfristigen Auswirkungen sie haben können.
Links zum Blog.
Englisch: https://blog.fluchtforschung.net/shock-mobility/
Deutsch: https://blog.fluchtforschung.net/schockmobilitat/
Günther Schlee beschreibt in seinen Beiträgen auf dem ReCentGlobe-Blog die Erfahrungen, die er und seine Studierenden an der Arba Minch Universität gemacht haben, nachdem die Universität geschlossen wurde, kurz nachdem er dort eine Professur angetreten hatte. Schlee bat die Studierenden, ihm per Mail ihre Erfahrungen mit der Pandemie zu schildern. Auf diese Weise entstand ein intensiver Austausch, der sich mit dem Zusammenhang von Moral, Religion und Corona beschäftigt. Teil 1 des Blogs dokumentiert diese Unterhaltungen zwischen Professor und Studierenden. Im zweiten Teil beschäftigt sich Schlee mit dem Einfluss der Pandemie auf die internationale Migration und die Migration innerhalb Äthiopiens.
Corona diaries from Northeast Africa – Part 1: A question of morality and religion?
Corona Diaries from Northeast Africa – Part 2: The Plight of Migrants in Times of Corona
David O’Kane beschäftigt sich in seinem Beitrag im Blog der Forschungsgruppe „Integration and Conflict along the Upper Guinea Coast“ mit dem Buch von Frank M. Snowden: Epidemics and Society: From the Black Death to the Present. O’Kane kommt zu dem Schluss, dass die Bedeutung lokaler sozialer und kultureller Strukturen umso größer wird, je mehr die Menschen von globalen Infektionskrankheiten bedroht werden: „In diesem Fall wird den Anthropologen eine entscheidende Rolle zukommen. Wir könnten aus der Lektüre von Büchern wie "Epidemien und Gesellschaft" viel lernen, vor allem wenn sie populäre Texte über Krankheit und Gesellschaft schreiben, die für den Laien so zugänglich sind wie die von Snowden.“
Link zum Text von David O’Kane.