Konstellationen für Astronomie in Madagaskar

Dieses Projekt widmet sich der aktuellen Entwicklung von Astronomie als wissenschaftlicher Disziplin in Madagaskar. Erst kürzlich wurde Madagaskar Teil eines Teleskop Projekts – dem SKA – und somit befinden sich verschiedenste Akteure, Diskurse, und Dinge in sich formierenden Konstellationen. Dieses Projekt untersucht, wie die Universalität von Astronomie im spezifischen Fall von Madagaskar im Angesicht globaler Dekolonisierungsanliegen vollzogen wird. Gleichzeitig richtet dieses Projekt ein Augenmerk auf die Verschränkungen von astronomischen und ethnographischen Konstitutionen von Wissensobjekten.
Mit dem „Square Kilometre Array“ (SKA) entsteht derzeit das weltweit größte wissenschaftliche Instrument. Mit zusammenwirkenden Teleskopen in Südafrika und seinen acht afrikanischen Partnerländern (Botswana, Ghana, Kenia, Madagaskar, Mauritius, Mosambik, Namibia und Sambia) werden große Distanzen zwischen den einzelnen Teilen möglich, die sich positiv auf die Sensitivität des Gesamtteleskops auswirken. Die diskursive Formation des SKAs vollzieht sich vor dem Hintergrund von Ideen über das großartige Zukunftspotential Afrikas und erzeugt so Stolz (und Widerstand). Dies verbindet sich mit einer Ethik wissenschaftlicher Universalität. Der Vorläufer des SKA (MeerKAT) ist bereits installiert und befindet sich in Südafrikas halbtrockener Ebene des Karoo. Nun werden alte Satellitenschüsseln in einigen afrikanischen Partnerländern zu Teleskopen umgewandelt, um die zweite Phase des SKA vorzubereiten. Die Schüssel in Ghana ist bereits vollständig angepasst und fungiert als Modell für die anstehenden Aufrüstungen; die Schüssel in Madagaskar ist in einem guten Zustand und ihre Umwandlung kann nun in Gang gesetzt werden. Mit dem Fokus auf Madagaskar und einer neu entstehenden technisch vermittelten Beziehung zu Afrika, wird dieses Projekt zur bislang spärlichen aber interessanten geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung zum SKA beitragen. Um den zukünftigen Bedarf an Astronom:innen, die die umgerüstete Schüssel bedienen können, zu decken, wurde ein Astronomie und Astrophysik Master an der Universität in Antananarivo eingerichtet. Mit großer Leidenschaft ihr Fach zu erklären – und das staatliche Engagement beizubehalten – haben die Studierenden zwei Gruppen ins Leben gerufen, um Wissenschaft im Allgemeinen und Astronomie im Speziellen der Gesellschaft nahezubringen: „Malagasy Astronomy and Space Science“ (MASS) und „Haikintana“. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit hegen diese Gruppen ein Verständnis von Astronomie als universell-wissenschaftliche Disziplin und treten einer Vermischung mit Astrologie, die in Madagaskar sehr verbreitet ist, entgegen. Wie setzen sich die Studierenden für eine universelle Wissenschaft ein und wie leben sie ihre Utopie in diesen Gruppen aus? Wie prägen globale Wissensapparate diese spezifische madagassische Verkörperung von Universalität?
Da es noch kein Doktorandenprogramm für Astronomie in Madagaskar gibt, orientieren sich die Masterabsolvent:innen an den Möglichkeiten in Südafrika, die das SKA bereit hält. Aus mindestens zwei Gründen ist diese Orientierung für die jungen Astronom:innen, die in der Regel ihre Verbindungen zu MASS und Haikintana aufrechterhalten, interessant: Zum einen spielt die Frage nach Entwicklung durch Astronomie (astro4dev) eine große Rolle im innerastronomischen Diskurs in Südafrika. Zum anderen finden sich in Südafrika weit verbreitete Forderungen nach Dekolonialisierung der Universität. Wie werden die madagassischen Astronom:innen, die in Strukturen eingegliedert sind, die sich aus Diskursen zu Afrikas „großartiger Zukunft“ speisen, positionieren und welche Auswirkungen wird dies auf die Situation in Madagaskar haben?
Durch ethnographische Feldforschung spürt dieses Projekt den Auswirkungen der entstehenden Astronomie in Madagaskar nach und untersucht die Konstellationen, in denen eine angenommene Universalität von Wissenschaft ausgeführt wird. Des Weiteren verfolgt dieses Projekt die Frage, wie astronomische Forschung zum Weltall als dem „Anderen“ der Erde, zu kosmischen Kräfterelationen und zu unserer Position in der Geschichte des Universums mit ethnographischer Forschung und ethnographischem Schreiben potentiell interagieren kann.

Zur Redakteursansicht