Anuscheh Farahat zum Max-Planck-Fellow berufen
Anuscheh Farahat, Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, ist vom Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft für die Dauer von fünf Jahren zum Max-Planck-Fellow berufen worden. Mit der Ernennung ist die Förderung ihres Forschungsprojektes „Labour Migration Regimes“ verbunden, an dem sie ab Anfang kommenden Jahres gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung arbeiten wird. Die Finanzierung des Projekts umfasst auch zwei Doktorandenstellen. Wir haben mit Anuscheh Farahat gesprochen und gefragt, worum es in ihrem Projekt geht, was das Besondere daran ist und wann es losgeht.
Frau Professor Farahat, herzlichen Glückwunsch zur Berufung zum Max-Planck-Fellow an unserem Institut. Kann man sich für so ein Fellowship bewerben oder wird man ausgewählt?
Vielen Dank. Ich habe mich natürlich sehr über die Berufung gefreut, weil sie mir die Möglichkeit gibt, in den nächsten Jahren intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen in Halle zusammenzuarbeiten. Bewerben kann man sich dafür nicht. Man wird für das Fellowship vorgeschlagen und dann um einen Projektantrag gebeten.
Ihr Projektantrag, mit dem Sie erfolgreich waren, hat den Titel „Labour Migration Regimes“. Worum geht es dabei?
Ich möchte mich möglichst umfassend mit den zahlreichen Formen der Arbeitsmigration beschäftigen, die wir gegenwärtig beobachten. Dabei wird die Analyse der unterschiedlichen Rechtsschichten als Steuerungs- und Regulierungsinstrument eine Rolle spielen, aber ich werde auch mit Konzepten der ethnologischen und soziologischen Migrationsforschung arbeiten.
Welche Vorteile versprechen Sie sich von diesem multidisziplinären Ansatz?
Die soziale Praxis der Arbeitsmigration wird von vielen ganz unterschiedlichen Variablen beeinflusst. Die geltenden Rechtsnormen gehören dazu, aber darüber hinaus spielen beispielsweise auch die Marktlage, die politische Situation, Arbeitgeber, kommerzielle Akteure wie Makler und Vermittlungsagenturen, soziale Netzwerke und kulturelle Faktoren eine Rolle. Und um diesen Kontext angemessen zu erfassen, ist es sinnvoll, die rechtsdogmatischen Analysen durch Methoden und Erkenntnisse anderer Disziplinen zu erweitern.
Sie sagten, dass Sie auch mit Konzepten der ethnologischen und soziologischen Migrationsforschung arbeiten wollen. Welche sind das?
In der sozialwissenschaftlichen Forschung spielen die beiden Begriffe „Migrationsinfrastruktur“ und „Migrationsregime“ eine prominente Rolle. Hinter dem analytischen Konzept der Migrationsinfrastrukturen steckt die Beobachtung, dass Migration eben nicht nur von rechtlichen und bürokratischen Systemen geprägt ist, sondern auch von den Kommunikationsbedingungen, den Transportwegen, den Aktivitäten von NGOs und natürlich von den spezifischen Kenntnissen und Interessen der Akteure selbst.
Und was versteht man unter einem Migrationsregime?
Das theoretische Konzept des Migrationsregimes zielt darauf zu verstehen, wie regulative Instrumente zur Steuerung von Migration entstehen und sich dynamisch entwickeln. Wie werden also die Interessen unterschiedlicher Akteuere verhandelt? Wer kann besonders viel Verhandlungsmacht einbringen? Wie werden Regeln dann aber auch in der Praxis aufgenommen, neu verhandelt, umgedeutet oder verdrängt? Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich rechtsdogmatische Analysen mit den Methoden der Rechtsethnologie verbinden. Diese Kombination ermöglicht es, die oben beschriebenen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kontextvariablen, die das Migrationsgeschehen beeinflussen, in den Blick zu nehmen, aber auch die zugrundeliegenden Machtstrukturen ernstzunehmen. Dadurch gelingt es besser, Migration als außerordentlich komplexen und kontingenten Prozess zu begreifen, der nicht allein durch rechtliche Normen zu lenken und zu verstehen ist.
Und wie kann Ihnen die Zusammenarbeit mit Ethnologinnen und Ethnologen konkret beim besseren Verständnis der Arbeitsmigration helfen?
In der ethnologischen Forschung spielt die Akteursperspektive eine herausragende Rolle. Und die ist mir bei diesem Projekt auch ganz besonders wichtig. Ich möchte besser verstehen, wie die Menschen beispielsweise mit den unterschiedlichen rechtlichen Regelungen umgehen. Helfen sie ihnen oder behindern sie eher, bieten sie Anreize oder schrecken sie ab? Wann, wie und wo wird das Recht umgangen, angepasst oder für eigene Zwecke genutzt? Wie produziert das Recht selbst Ausschlüsse, etwa das Phänomen der sogenannten illegalen Migration? Erst wenn wir dazu verlässliche Daten haben, können wir die vielschichtigen Prozesse der Arbeitsmigration sinnvoll steuern.
Wie könnte so eine sinnvolle Steuerung aussehen?
Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass die oft kurzfristige Arbeitsmigration und die damit verbundene Mobilität sowohl im Hinblick auf den Klimawandel als auch auf die Integration und die sozialen Aufstiegschancen der Migrantinnen und Migranten in den Aufnahmegesellschaften zu nachhaltigen Effekten führen. Im Interesse der Aufnahmegesellschaften und der Migranten wäre es sinnvoll, langfristige und verlässliche Lösungen zu schaffen, die nicht in erster Linie vom saisonalen Marktgeschehen oder kurzfristiger Nachfrage beeinflusst werden.
Wie kommen sie an die Daten, die für diese Art von Planung nötig sind?
Wir können für dieses Projekt zwei DoktorandInnen einstellen, die zwei Fallstudien erarbeiten werden. Wir werden uns dabei mit der Arbeitsmigration aus Drittländern in zwei EU-Staaten beschäftigen. Eine Studie soll sich mit der Migration von ungelernten Arbeitskräften und die andere mit der Migration von hochqualifizierten Arbeitskräften aus den MINT-Sektoren befassen. Grundlagen dieser Studien sind zum einen Analysen der Rechtsnormen und einschlägigen Gerichtsurteile und zum anderen Interviews mit den unterschiedlichen Akteuren, die in den Migrationsprozess involviert sind. Und nicht zuletzt wird ethnologische Feldforschung ein wichtiger Bestandteil des Projektes sein. Begleitend zu dieser empirischen Forschung werden wir dann gemeinsam mit Marie-Claire Foblets und Biao Xiang ein konzeptionelles und analytisches Instrumentarium entwickeln, das Recht und auch Rechtsetzung als soziale Praxis begreift und zu einem tieferen Verständnis von Arbeitsmigration führen soll.
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Wir werden die beiden Stellen demnächst ausschreiben und dann hoffentlich im ersten Quartal 2023 mit der Forschung beginnen.