Tropfen für Tropfen: Infrastrukturelle Verflechtungen in der Wasserlandschaft des ländlichen Raums der Republik Moldau

Dieses Dissertationsprojekt untersucht die Verflechtungen von Mensch und Wasser im ländlichen Moldawien. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem raschen Übergang vom Sozialismus in den Marktliberalismus erlebten das Land und seine Bewohner:innen eine tiefgreifende Transformation der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte des täglichen Lebens. Diese abrupten Veränderungen führten auch zu einem ungleichen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen in ländlichen und städtischen Gemeinden. Für diese Dynamik dient Wasser als anschauliches Beispiel. In vielen Dörfern fehlt der Anschluss an die zentralisierte, staatlich verwaltete Wasserversorgung ganz oder ist nur teilweise vorhanden, und die Einwohner:innen greifen auf alternative Möglichkeiten zurück, das Grund- und Oberflächenwasser für ihren täglichen Bedarf im Haushalt und der Landwirtschaft zu nutzen.

Die Forschungsarbeit befasst sich mit dem facettenreichen Wesen des Wassers, indem sie einen prozesshaften Blickwinkel einnimmt und untersucht, wie sich seine Materialität und Bedeutung innerhalb des sozialen Kontexts entwickelt. Über seine Rolle als lebenserhaltende Substanz hinaus bietet Wasser den Dorfbewohner:innen, die sich mit ihrer neuen sozialen Realität auseinandersetzen, eine Möglichkeit der Sinngebung. Veränderungen in der materiellen Beschaffenheit der Wasserinfrastruktur und in der Qualität des Wassers selbst werden als symptomatisch für schmerzhaft erfahrene Phänomene wie Landflucht, Migration, wirtschaftliche Unsicherheit, gefühlte staatliche Vernachlässigung und die Umweltzerstörung im Anthropozän verstanden. Die damit einhergehenden Affekte vermitteln die individuellen und kollektiven Erfahrungen von Zeit. Dabei verhandeln die Einheimischen ihre Beziehung zur Vergangenheit und schreiben ihre Erzählungen neu, um die Gegenwart zu bewältigen und sich auf eine ausgemalte Zukunft zu fokusieren, die kommen kann oder auch nicht. Die in dieser Forschung untersuchten Richtungen kombinieren menschliche und mehr-als-menschliche Perspektiven. Dieser Ansatz ist besonders hilfreich für die materiellen Verankerungen des Wassers als Indikator von Ideologie und Machtverhältnissen, welche in infrastrukturelle Arrangements eingebettet sind. Darüber hinaus bieten sie die Möglichkeit, die historischen Transformationen der Wasserlandschaft sowie die Manifestationen der sozialen Realität fühlender und nichtfühlender Akteure, deren Lebensunterhalt vom Wasser abhängt, zu erkunden.

Das Projekt stützt sich auf ethnografisches Material, das in Cinişeuţi gesammelt wurde, einem Dorf im Norden der Republik Moldau. Dort ist der Zugang zu Trinkwasser in den Vierteln sehr unterschiedlich gestaltet: von der vollständigen Anbindung an das örtliche Aquädukt bis hin zum Fehlen sämtlicher staatlicher Wasserinfrastruktur oder die Verknüpfung mit alternativen Wasserreservoirs. Durch die Untersuchung der ontologischen Dimensionen des Wassers, des Zusammenspiels zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren in der Wasserlandschaft und der Art und Weise, wie die individuelle Wahrnehmung soziohistorischer Veränderungen durch Wasser und alltägliche wasserbezogene Praktiken ihren Ausdruck findet, leistet die Forschung einen Beitrag zu den anthropologischen Debatten über Wasser, Infrastruktur und Zeitlichkeit.

Zur Redakteursansicht