Verschuldung privater Haushalte und wachsende soziale Ungleichheit
Die leichte Verfügbarkeit von Krediten und komplexen Finanzprodukten für Privatpersonen hat zu einem weltweiten sozialen Wandel geführt: Der Einfluss der Finanzindustrie ist in nahezu alle Lebensbereiche vorgedrungen und spielt nicht nur beim Erwerb von Eigentum, der Erfüllung von Konsumwünschen und der Bewältigung von Krisensituationen eine Rolle. Er hinterlässt inzwischen auch Spuren, die sich in der Veränderung von Lebensstilen, Geschlechterverhältnisse und familiären Bindungen nachweisen lassen. Mit den Folgen dieser Entwicklung beschäftigt sich die Konferenz 'Household Finance in an Unequal World: Social Approaches', die vom 5.–6. Dezember am MPI für ethnologische Forschung stattfindet.
Deregulierte Finanzmärkte und steigende private Verschuldung
Die Liberalisierung der Finanzmärkte hat seit den 1970er Jahren zu einer grundlegenden Transformation des kapitalistischen Wirtschaftssystems geführt. In der Folge sind Macht und Bedeutung der Finanzen in Wirtschaft und Gesellschaft kontinuierlich gestiegen. Ein Teilaspekt dieses politisch gesteuerten neoliberalen Prozesses ist die Deregulierung von Kreditvergaben an private Haushalte. Diese Entwicklung hat zu einer massiven Verschuldung privater Haushalte geführt. „Im Vergleich zu den Jahren vor der globalen Finanzkrise 2007–2008 ist der jüngste Anstieg der Verschuldung in den meisten Ländern jedoch weniger dramatisch“, sagt Marek Mikuš, Leiter der Emmy-Noether-Forschungsgruppe 'Verschuldung in der Peripherie: Geld, Risiko und Politik in Osteuropa' und Organisator der Konferenz 'Household Finance in an Unequal World: Social Approaches'. „Allerdings hat die private Nutzung von Finanzprodukten und Finanzdienstleistungen weltweit ein immenses Ausmaß erreicht.“
Die sozialen Folgen neoliberaler Finanzpolitik
Auf der Konferenz werden sich mehr als 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 26 Vorträgen mit den sozialen Folgen der globalen Ausweitung des Finanzsektors beschäftigen. „Es geht dabei aber nicht in erster Linie um eine Analyse des ökonomischen Systems“, sagt Mikuš. „Im Fokus steht vielmehr, wie sich das Alltagsleben von Menschen wandelt, die überall sehr leichten Zugang zu Finanzprodukten haben und von unterschiedlichen Akteuren dazu ermutigt werden, diese auch zu nutzen, um ihre Lebensumstände zu verbessern.“ So geht es zum Beispiel um junge Menschen, die mit geliehenem Geld in Kryptowährung investieren, um damit ihrem Alltag zu entkommen und einen cooleren Lebensstil zu finanzieren. Andererseits lassen sich aber auch Fälle beobachten, in denen es zu umfangreichen Formen der Solidarisierung innerhalb von Familien kommt, wenn die Schulden einzelner Familienmitglieder beglichen werden müssen.
Finanzpolitik und steigende soziale Ungleichheit
Finanzielle Schulden haben für einige soziale Gruppen weit schwerwiegendere Folgen als für andere. Das zeigt ein Beitrag über den Umgang mit Darlehen in einkommensschwachen Familien in Brasilien. Das Fallbeispiel beschreibt, wie insbesondere Frauen in die Lage versetzt und ermutigt werden, sich Geld zu leihen, um Wohneigentum und alltägliche Güter wie Lebensmittel, Medikamente und Schulmaterial zu erwerben. „Dies ist ein Beispiel von vielen, anhand dessen wir zeigen können, wie die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Allgegenwart von kreditfinanzierten Konsumanreizen zu neuen Formen sozialer Ungleichheit führen oder die alten immer weiter verstärken“, sagt Marek Mikuš. „Denn diejenigen, die über ein hohes Einkommen und finanzielle Mittel verfügen, profitieren vom gegenwärtigen Finanzsystem, für alle anderen überwiegen die Nachteile.“
Zum vollständigen Programm der Konferenz 'Household Finance in an Unequal World: Social Approaches'
Die Teilnahme per Webex ist an beiden Tagen möglich.
Dr. Marek Mikuš leitet die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Emmy-Noether-Gruppe – 'Verschuldung in der Peripherie: Geld, Risiko und Politik in Osteuropa'
Mehr Informationen zum Forschungsprogramm der Gruppe.
Kontakt für diese Pressemitteilung
Dr. Marek Mikuš
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-252
mikus@eth.mpg.de
Kontakt für die Presse
Stefan Schwendtner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-425
Mail: schwendtner@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de