15 Jahren ethnologische Forschung in Delhi: Multimediale Website Ticketless Travellers ist online
Die Ergebnisse von 15 Jahren ethnologischer Forschung über das Leben in Delhi sind jetzt als medial aufbereitete Online-Publikation in Englisch und Hindi unter https://ticketless-travellers.info/ verfügbar. Die hier dokumentierten Texte, Bilder, Videos, Audiomontagen und Zeichnungen stammen von Arbeitern und Arbeiterinnen aus Delhi. Hervorgegangen ist das Projekt aus der Zusammenarbeit von Ursula Rao, Direktorin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, und der Bildungseinrichtung Ankur Society for Alternatives in Education.

Detaillierte Einblicke in den indischen Alltag
„Wir freuen uns sehr, dass wir mit der neuen Online-Publikation endlich die Möglichkeit haben, die großartige Arbeit engagierter junger Menschen bekannt zu machen, die hier ihre Gedanken über die Welt, in der sie leben, zum Ausdruck bringen“, sagt Ursula Rao. „Durch die Website Ticketless Travellers kann dieses Wissen nun eine Vielzahl von Menschen erreichen.“ Ticketless Travellers ist ein laufendes Projekt. Zum Start wird zunächst ein Kapitel über Gesundheit präsentiert. Weitere Kapitel über die Erfahrungen mit Covid, mit informellen Bankstrukturen und dem Klimawandel, wie ihn die Menschen in Delhi erleben werden folgen. „Diese Website richtet sich an alle, die sich für Indien und seine Bevölkerung interessieren. Da sie eine Perspektive der Arbeiterklasse aus erster Hand bietet, ist sie besonders für Studierende der Südasienwissenschaften von Interesse. Die hier mögliche Auseinandersetzung mit modernem Hindi wird für Indologen aufschlussreich sein. Auch Forscher, die sich mit medizinischer Anthropologie oder der Entwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens beschäftigen, werden in den Dokumenten reichhaltiges Material finden“, sagt Kavita Dasgupta, Redakteurin der Website Ticketless Travellers.
Umsiedlung in die Peripherie
Ursula Rao arbeitet seit 15 Jahren gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bildungseinrichtung Ankur daran, das Leben marginalisierter Menschen in Delhi zu dokumentieren und so ein Archiv zu schaffen, das Perspektiven enthält, die in konventionellen Medien selten zu finden sind. Rao: „Mein ursprüngliches Interesse galt den Lebenswegen der Slumbewohner Delhis, die ihr Zuhause und ihre Heimat verloren haben, weil ihre bescheidenen Behausungen im Zentrum der Stadt im Zuge einer massiven Umstrukturierung zerstört wurden.“ Die Menschen wurden in Gebiete – sogenannte Resettlement Colonies – weit außerhalb der Stadt umgesiedelt und erhielten im Gegenzug das Versprechen auf eigenen – wenn auch sehr bescheidenen – Grundbesitz. Da die neuen Ansiedlungen aber 40 Kilometer vom Zentrum entfernt waren, an einem Ort ohne Arbeitsmöglichkeiten, fiel es vielen schwer, erneut Fuß zu fassen. „Die Umsiedlung war mit zahlreichen Einschränkungen verbunden und schuf neue Unsicherheiten. So konnte man beispielsweise die zugeteilten Grundstücke nur für 10 Jahre leasen und es war unklar, wie es danach weitergehen würde“, erklärt Ursula Rao. Heute hat sich die Siedlung fest etabliert.
Lebensgeschichten werden zum Archiv
Durch ihre Feldforschung mit den Bewohnern der Slums kam Rao in Kontakt mit der gemeinnützigen Bildungseinrichtung Ankur, die junge Menschen dazu ermutigt, ihr Leben in Form von Texten zu dokumentieren, auf diese Weise zu reflektieren, und mit anderen zu teilen. „Sharmila Bhagat, die Leiterin von Ankur, hat mir ermöglicht, an den Schreibkursen und den regelmäßig stattfindenden Treffen teilzunehmen“, sagt Rao. „Dadurch habe ich erlebt, wie durch die Verschriftlichung einzelner Episoden des Alltags der Autorinnen und Autoren nach und nach ein lokales Archiv einer Lebenswelt entstand, die kaum je dokumentiert wurde. Mit diesen Geschichten ist nun eine einmalige Sammlung entstanden.“ Sabiha Halima, eine Autorin, deren Erzählungen auf der Website Ticketless Travellers zu lesen sind, beschreibt ihre Motivation so: „Durch Ankur fand ich den Mut, mich auszudrücken. Ich begann, über die gewöhnlichen und alltäglichen Geschichten von Menschen nachzudenken, die meist als unwichtig abgetan werden. Mit meinen Texten versuche ich, diesen Geschichten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.“
Neue Perspektiven für die Wissenschaft
Die Sammlung der Texte, Fotos und Videos sind eine Dokumentation des Alltags von Menschen, die in prekären Verhältnissen überleben und mit ihrer Situation kreativ umgehen. Die von Ankur organisierten Schreibwerkstätten, ermutigen die Teilnehmenden einen kritischen und analytischen Blick auf die sozialen Verhältnisse Indiens zu werfen. „Für Ethnologinnen und Ethnologen ist es ein großer Gewinn, an diesem Erkenntnisprozess teilhaben zu können“, sagt Ursula Rao. „Denn in den Texten wird der Umgang mit aktuellen Problemen beschrieben, die global relevant sind. Wir können beispielsweise daraus lernen, wie Inderinnen und Inder mit den Folgen des Klimawandels oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen umgehen. Das sind Themen, die auch uns bereits heute beschäftigen und in der Zukunft von höchster Relevanz sind.“
Mehr Informationen:
Broschüre „Ticketless Travellers“ als PDF mit Texten und Fotografien der Autorinnen und Autoren von Ankur.
Website: https://ticketless-travellers.info/
Finanziert wird das Projekt aktuell vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung. Zuvor wurde es auch von folgenden Institutionen finanziell unterstützt: der Universität Leipzig, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Australien Research Council.
Kontakt für diese Pressemitteilung
Prof. Dr. Ursula Rao
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-100
Mail: office.rao@eth.mpg.de
https://www.eth.mpg.de/rao
Kavita Dasgupta
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-170
Mail: dasgupta@eth.mpg.de
Kontakt für die Presse
Stefan Schwendtner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-425
Mail: schwendtner@eth.mpg.de