Ethnologie des Smartphones: Vortrag von Thomas Hylland Eriksen

28. Mai 2019

Am 12. Juni 2019 hält der norwegische Ethnologe Thomas Hylland Eriksen am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung einen Vortrag mit dem Titel: „To See the World in a Grain of Sand: The smartphone and comparative anthropology“. Eriksen ist Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied am MPI und wurde insbesondere mit seiner Theorie der globalen Überhitzung einem breiten Publikum bekannt. In seinem Vortrag wird er sich aus ethnologischer Perspektive mit den Folgen der weltweiten Verbreitung von Smartphones beschäftigen. Der englischsprachige Vortrag beginnt um 18:00 Uhr.

Im Vorfeld seines Besuchs in Halle haben wir Thomas Hylland Eriksen einige Fragen zu seinem Vortrag, seiner gegenwärtigen Arbeit und seinen Plänen für die Zukunft gestellt. Außerdem wollten wir wissen, welchen Rat er Studierenden der Ethnologie mit auf den Weg geben würde und was er gerade liest.

Herr Professor Eriksen, seit 2018 sind Sie Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied am MPI. Welche persönlichen und wissenschaftlichen Verbindungen haben Sie zum MPI?
Seit vielen Jahren arbeite ich mit dem Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen sowie mit dem MPI in Halle zusammen. In Göttingen haben wir mit dem Konzept der Superdiversität von Steven Vertovec gearbeitet und zu grundlegenden Fragen des sozialen Zusammenhalts, der Transnationalität und der Identitätspolitik in komplexen Settings geforscht. Was das MPI in Halle betrifft, so arbeite ich seit Jahren mit Chris Hann zusammen. Er hatte eine Gastprofessur in meinem jüngsten ERC-Projekt „Overheating“, aber ich habe auch mit mehreren anderen Kollegen am Institut zu Themen gearbeitet, die von kulturellen Eigentumsrechten bis hin zur Kreolisierung reichen.

Wie ist das Thema Ihres Vortrags in Halle über die globale Verbreitung von Smartphones mit Ihren theoretischen Arbeiten zur Überhitzung und Beschleunigung verbunden?
Es besteht eine direkte Verbindung. Die treibenden Kräfte in der beschleunigten, „überhitzten“ Globalisierung sind der neoliberale, transnationale Kapitalismus und die technologische Entwicklung. Das Smartphone entwickelt sich mehr und mehr zu dem Medium, das diese Veränderungen widerspiegelt. Gleichzeitig erzeugt es eigene Überhitzungseffekte durch die Beschleunigung, Verdichtung und Intensivierung des Alltags.

Welche neuen Erkenntnisse kann die anthropologische Perspektive auf Smartphones zu der breit angelegten Diskussion darüber beitragen, wie neue Kommunikationstechnologien die Welt verändern?
Eine naheliegende Aufgabe der Ethnologie ist es, die Vielfalt zu dokumentieren und damit etwas über die Besonderheiten der jeweiligen sozialen Welten zu sagen. Sowohl die Nutzung als auch der Diskurs über Smartphones variiert viel stärker, als vielen bewusst ist. Darüber hinaus können wir interessante Dinge über die Transformation sozialer Beziehungen und anderer Merkmale der heutigen Welt sagen, die nur auf der Mikroebene mit Hilfe von ethnographischen und vergleichenden Methoden verstanden werden können.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Wenn ich eine Zukunft habe – mein Gesundheitszustand ist nicht gut – werde ich weiterhin Forschung über lokale Reaktionen auf globale oder transnationale Prozesse betreiben. Ich habe auf den Seychellen ein laufendes Projekt über kleinteilige soziale Strukturen im Kontext der zunehmenden Globalisierung. Ich hoffe, dass ich dieses Projekt auf andere kleine Gesellschaften ausdehnen kann.

Warum sind Sie Ethnologe geworden?
Es schien irgendwie gleichzeitig unvermeidlich und Zufall zu sein; ich hatte gemischte Gefühle in Bezug auf die akademische Welt, verliebte mich aber als junger Mann in die Ethnologie. Das Beharren dieser Disziplin darauf, dass jedes menschliche Leben wertvoll und interessant ist, das Hin- und Herwechseln zwischen dem sehr Kleinen und dem sehr Großen, und die Hartnäckigkeit, mit der grundlegende Fragen der Sozialtheorie und sogar der Philosophie durch die Brille der Ethnographie und in vergleichender Perspektive betrachtet werden – für mich war und bleibt dies ein kraftvolles Gemisch, das wie geschaffen ist dafür, um die intellektuelle Neugier und das Engagement für die wesentlichen Dinge im Leben anzuregen.

Was würden Sie heutigen Studierenden der Ethnologie raten?
Verliere nie deine Leidenschaft. Jede gute Forschung hat eine existentielle Dimension, die dem Leser das Gefühl gibt, dass etwas Wichtiges auf dem Spiel steht. Bloße Klugheit hat uns noch nie weitergebracht.

Welchen Text – Buch oder Aufsatz – haben Sie in letzter Zeit gelesen, der Sie besonders beeindruckt hat?
Ich habe erst kürzlich Vilém Flussers reichhaltige und provokante Medienphilosophie entdeckt. Ich habe sein Buch „Die Schrift: Hat Schreiben Zukunft?“ sehr genossen und viel daraus gelernt. Es beschäftigt sich ausführlich mit der Fühlbarkeit der Handschrift. Und seine Analyse ist für jemanden, dessen Handschrift seit Jahren nahezu unleserlich ist, natürlich von besonderem Interesse.

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