Landwirtschaft in Ostafrika: Kleine Strukturen – große Bedeutung für die Biodiversität
Vom 20.–21. Juni 2019 findet am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI) eine Konferenz mit dem Titel „Guardians of Productive Landscapes“ (GPL) statt. GPL ist eine Initiative, an der neben der Universität Göttingen die Abteilung ‚Integration und Konflikt‘ am MPI beteiligt ist. Ziel der Initiative ist es, die Bedeutung der traditionellen Landbewirtschaftung in Ostafrika für den Erhalt der Biodiversität zu dokumentieren. In diesem Rahmen sind auch ethnografische Filme entstanden, die auf der Konferenz in Ausschnitten gezeigt und diskutiert werden. Die Sprache der Konferenz ist Englisch.
Die vernichtende Macht von ausländischem Kapital
Seit einigen Jahren häufen sich die Berichte über riesige Agrarinvestitionen staatlicher Akteure wie China, Saudi Arabien oder Indien in Afrika. Große landwirtschaftlich nutzbare Flächen werden dabei zu sehr niedrigen Preisen langfristig verpachtet. Die Produkte aus den dadurch ermöglichten großflächigen Monokulturen von Baumwolle, Zuckerrohr oder Nahrungsmitteln im industriellen Maßstab gehen meist in den Export, um die Versorgung der investierenden Länder mit Nahrungsmitteln zu sichern oder ihre Industrie mit Rohstoffen und Biokraftstoffen zu versorgen. „Legitimiert wird diese Praxis häufig damit, dass das Land angeblich niemandem gehöre und die dort betriebene Landwirtschaft unproduktiv sei“, sagt Prof. Dr. Günther Schlee, Direktor der Abteilung ‚Integration und Konflikt‘. „Aber beides ist falsch. Das Land wird meist seit vielen Generationen von Agropastoralisten und Kleinbauern auf sehr vielfältige Weise intensiv genutzt. Und ein großer Teil des in Ostafrika konsumierten Fleisches stammt von Hirtennomaden.“
Die hohe Produktivität traditioneller Anbaumethoden
Es stimmt also keineswegs, dass das Land nicht sinnvoll genutzt wird und brach liegt. Vielmehr führen die kapitalstarken Interventionen, in deren Folge großflächige Agrarproduktionen entstehen, häufig zur Vernichtung der Lebensgrundlage großer Bevölkerungsteile. „Diese neue Form des Kolonialismus wird nicht selten von lokalen Eliten unterstützt oder überhaupt erst ermöglicht“, sagt Schlee. „So haben sich beispielsweise in Äthiopien Mitglieder des Militärs und regierungsnahe Machteliten fruchtbare Flächen im Süden des Landes angeeignet. Es gibt eine regelrechte Militarisierung der Landwirtschaft, da sich die bisherigen Nutzer natürlich wehren.“ Auch hierbei spielte das Argument der höheren Produktivität, die durch ausländische Investitionen erst ermöglicht werde, eine Rolle. „Dabei ist der Ertrag der traditionellen Anbaumethoden pro Hektar meist größer als bei modernen importierten Methoden, die aus Unwissen oder Profitgier wenig Rücksicht auf die besonderen klimatischen und geografischen Gegebenheiten der jeweiligen Region nehmen“, erklärt Schlee.
Das gefährdete Gleichgewicht von Kultur und Natur
Das GPL-Projekt möchte in erster Linie auf die immense Bedeutung traditioneller Bewirtschaftungsformen für den Erhalt der Biodiversität und damit für den Erhalt der Lebensgrundlage von Millionen von Menschen aufmerksam machen. Es geht dabei keineswegs um die Errichtung von Naturreservaten, die dem menschlichen Eingriff entzogen werden. Schlee: „Gerade das auf dem Wissen vieler Generationen beruhende Zusammenspiel von Mensch und Natur hat zur Entwicklung von Landschaften geführt, die in ihrer Vielfalt über Jahrhunderte hinweg stabil waren und dennoch durch intensive Bewirtschaftung das Leben der Menschen ermöglicht haben.“ Dieses Gleichgewicht ist nun akut gefährdet. Darauf machen die Initiatoren des GPL-Projekts eindrücklich mit ethnografischen Filmen aufmerksam, in denen die traditionellen Formen des Anbaus und der Viehwirtschaft in Äthiopien im Detail gezeigt werden.
Unterstützung durch das MPI und den äthiopischen Staat
Die GPL-Initiative wurde bisher hauptsächlich von der Abteilung ‚Integration und Konflikt‘ am MPI gefördert. Das Institut unterstützt die Produktion ethnographischer Filme in Äthiopien und eine Reihe von Feldbesuchen, Austauschprogrammen und Tagungen, an denen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Europa und Äthiopien beteiligt waren. Zusätzliche Unterstützung bieten äthiopische Wissenschafts- und Regierungsorganisationen durch die Organisation von Tagungen und Beratungsleistungen.
Erforschung des globalen sozialen Wandels
Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung ist eines der weltweit führenden Forschungszentren auf dem Gebiet der Ethnologie (Sozialanthropologie). Es hat seine Arbeit 1999 mit den Gründungsdirektoren Prof. Dr. Chris Hann und Prof. Dr. Günther Schlee aufgenommen und 2001 seinen ständigen Sitz im Advokatenweg 36 bezogen. Mit Ernennung der Direktorin Prof. Dr. Marie-Claire Foblets im Jahre 2012 wurde das Institut um eine Abteilung zum Themenfeld ‚Recht & Ethnologie‘ erweitert. Forschungsleitend ist die vergleichende Untersuchung gegenwärtiger sozialer Wandlungsprozesse. Besonders auf diesem Gebiet leisten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institutes einen wichtigen Beitrag zur ethnologischen Theoriebildung. Sie befassen sich darüber hinaus in ihren Projekten oft auch mit Fragestellungen und Themen, die im Mittelpunkt aktueller politischer Debatten stehen. Am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung arbeiten gegenwärtig 230 Wissenschaftler aus über 30 Nationen. Darüber hinaus bietet das Institut zahlreichen Gastwissenschaftlern Raum und Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch.
Konferenzprogramm
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Kontakt für diese Pressemitteilung
Prof. Dr. Günther Schlee
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Abteilung ‘Integration und Konflikt’
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Email: schlee@eth.mpg.de
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Kontakt für die Presse
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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
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