Interview mit Farrah Raza über ihr Projekt zu Organspende und Organtransplantation

4. März 2021

Farrah Raza leitet seit September 2020 die Minerva-Forschungsgruppe "The Ethics of Exchange: The Regulation of Organ Donation and Transplantation" in der Abteilung 'Law & Anthropology' des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte für Öffentliches Recht am Pembroke College, University of Oxford. Das Minerva Fast Track Programm der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen, indem es ihnen eine langfristige Karriereperspektive in Führungspositionen eröffnet.

Farrah, welche rechtlichen und ethischen Aspekte der Organspende sind für Ihre Forschungsgruppe von besonderem Interesse?
Das Projekt besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil konzentriert wir uns auf die Ethikkommissionen und Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit Organspenden und Transplantationen. Wir untersuchen, wie Aufsichtsbehörden und Akteure Entscheidungen bei Organspenden und -transplantationen treffen. Ziel ist es, den aktuellen rechtlichen Rahmen zu bewerten und zu erforschen, wie ethische Fragen innerhalb dieses Rahmens behandelt werden.

Und worum geht es im zweiten Teil des Projekts?
Der zweite Teil hat den Titel „Culture and Minority Rights in Organ Donation and Transplantation“. Hier versuchen wir, Pluralismus in der Praxis zu verstehen. Mit anderen Worten, wir konzentrieren uns darauf, wie Patienten und ihre Familien lebensverändernde Entscheidungen treffen, und welche Rolle religiöse und kulturelle Vielfalt dabei spielen. Beide Arbeitsbereiche sind wichtig, um die Vielschichtigkeit der Entscheidungsfindung und den Begriff einer "Ethik des Austausches" zu beurteilen, der sich auf die Normen bezieht, die die Beziehungen innerhalb dieses Kontextes regeln. Die Kombination dieser beiden Arbeitsstränge wird uns hoffentlich ausreichend Daten liefern. Und wir gehen davon aus, dass sich der Umfang der Arbeitsbereiche im Laufe der Forschung weiter entwickeln wird.

Ihr Projekt untersucht, wie die Grenzen des Rechts im Kontext der Organspende gestaltet werden. Was genau bedeutet das und welche normativen und empirischen Beiträge erhoffen Sie sich?
Wir werden sowohl Feldforschung als auch rechtsdogmatische Forschung betreiben mit dem Ziel, Licht in das komplexe und sich ständig verändernde Feld der Organspende und Organtransplantation zu bringen. Dazu werden wir neben der Analyse der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen auch untersuchen, wie das Recht im Klinikalltag gelebt wird. Beide methodischen Ansätze haben ihre Stärken und ihre Grenzen. Die Beobachtung der Alltagspraktiken ist für unsere Forschung sehr wichtig, aber auch die theoretischen Debatten über die vielfältigen Bedeutungen, die dem menschlichen Körper zugeschrieben werden, die Rolle religiöser Gründe bei der Entscheidungsfindung oder die unterschiedlichen Konzepte wie die Einwilligung geregelt ist, sind von Bedeutung. Wir hoffen, dass das Projekt zu einer Vielfalt von Forschungsergebnissen führen wird. Zum Beispiel habe ich zuvor eine Konferenz mit dem Titel "Faith, Ethics and Organ Donation" organisiert, die im Februar 2019 im Woolf Institute in Cambridge für die Öffentlichkeit zugänglich war.

Sie planen auch eine rechtsvergleichende Recherche zu den Regelungen in Deutschland und Großbritannien. Was ist der aktuelle Hauptunterschied zwischen den beiden Ländern?
Einer der Hauptunterschiede ist die kürzlich erfolgte Einführung der "angenommenen Zustimmung" bei der Organspende in England, die durch den Organ Donation (Deemed Consent) Act 2019 eingeführt wurde. Wales ist bereits dazu übergegangen, das Deemed Consent-System einzuführen, und die Gesetzgebung, die dies ermöglicht, ist seit 2015 in Kraft. Auch in Deutschland gibt es Debatten über eine Änderung der aktuellen Regelung der Organspende. Weil es offensichtliche Argumente für und gegen die beiden so genannten Opt-in- und Opt-out-Systeme gibt, wollen wir spezifische Fälle innerhalb der jeweiligen Systeme untersuchen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied sind die Rechtsquellen und die Unterschiede zwischen dem englischen Common-Law-System im Vergleich zum deutschen Rechtssystem. Daher wird die Forschungsgruppe einen genaueren und vergleichenden Blick auf die rechtlichen Konzepte im medizinischen Kontext werfen.

Sie waren vor fünf Jahren zum ersten Mal an unserem Institut und haben seither den Kontakt aufrechterhalten. Was reizt Sie als Rechtswissenschaftlerin an der Denkweise der Ethnologen?
Ich hatte das Glück, 2015-2016 als Visiting Guest Fellow aufgenommen zu werden. Seitdem interessiere ich mich für die Art und Weise, wie Ethnologen die Praktiken von Individuen, Gruppen und Gesellschaften in ihrem sozialen Kontext untersuchen. Der Fokus auf Ethnographie als Methodologie ist reizvoll, da er mir die Möglichkeit gibt, meine eigene Forschung aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Außerdem hat die Abteilung 'Law & Anthropology' am Institut eine besondere Kompetenz in der Erforschung religiöser Vielfalt – was eines meiner Hauptforschungsinteressen ist. Da sich meine Doktorarbeit mit religiöser Anpassung beschäftigte, habe ich ein tieferes Verständnis dafür gewonnen, wie sich unterschiedliche Praktiken in rechtliche Ansprüche umsetzen lassen. Außerdem war ich 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut tätig, als ich eine Studie über das ehemalige UK Donation Ethics Committee durchführte.

Ist Feldforschung auch Bestandteil des Projekts?
Ja, das Design des Forschungsprojekts beinhaltet eine Feldforschungsphase in Großbritannien und Deutschland. Inge Fielder, die über fundierte religionswissenschaftlichen Kenntnisse verfügt, wird der Gruppe als Doktorandin beitreten und sich auf die Feldforschung in Deutschland konzentrieren. Ich selbst werde Feldforschung an relevanten Orten in Großbritannien durchführen.

Wie baut Ihr Projekt auf Ihrer bisherigen Forschung auf?
Meine Forschungsinteressen, die das britische öffentliche Recht, Recht und Religion sowie die Menschenrechte umfassen, fließen in mein aktuelles Projekt ein. Da die Lehre durch aktuelle Forschung untermauert werden sollte, fließt meine Forschung andererseits auch in meine Lehre ein und ermöglicht es mir, über öffentlich-rechtliche Prinzipien aus verschiedenen Blickwinkeln nachzudenken.

Was sind Ihre nächsten Schritte im Projekt?
Die nächsten Schritte bestehen darin, die Personalauswahl abzuschließen und die Feldforschung sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland zu organisieren. Die Organisation der Forschung beinhaltet die Berücksichtigung ethischer Fragen, die durch die Forschung selbst aufgeworfen werden, und diese Fragen müssen reflektiert und die Ergebnisse dieses Reflexionsprozesses müssen laufend überprüft werden. Aufgrund der Pandemie gibt es zusätzliche Faktoren, die wir angesichts der aktuellen Einschränkungen berücksichtigen müssen. Wir konnten erste Schritte unternehmen und mit relevanten Akteuren in Kontakt treten. Jetzt freuen wir uns darauf, zu gegebener Zeit weiteren Zugang zu unserem Forschungsfeld zu erhalten.

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