CUREDI - Cultural and Religious Diversity under State Law across Europe (Kulturelle und religiöse Vielfalt in den staatlichen Rechtsordnungen Europas)

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Seit 2018 investiert die Abteilung in ein langfristig angelegtes Projekt unter dem Titel „Cultural and Religious Diversity under State Law across Europe“ (im Folgenden CUREDI). CUREDI ist ein digitales Fall-Repositorium mit einem Schwerpunkt auf Rechtsprechungsanalysen, die mit kultureller und religiöser Vielfalt zu tun haben und die zeigen, ob und wenn ja, wie und in welchem Umfang Vielfalt in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten, einschließlich Großbritannien und der Schweiz Anerkennung findet. CUREDI arbeitet in einem Netzwerk aus Forschungsteams mit einschlägigem Fachwissen zu den im Projekt behandelten Themen.[i] Sobald das Repositorium ausreichend entwickelt ist, wird die Datenbank öffentlich (in englischer Sprache) online zugänglich gemacht.

Eine einmalige Initiative

Das CUREDI-Projekt ist in Europa einzigartig in seinem Bemühen, juristische Argumente im Zusammenhang mit der wachsenden gesellschaftlichen Diversität in der gesamten EU (einschließlich Großbritannien und der Schweiz) zu identifizieren, zu dokumentieren und eingehend zu analysieren. Die Rechtsfälle zeigen wie sich die nationalen Rechtsordnungen allmählich an die Realität der zunehmenden kulturellen und religiösen Vielfalt und an die damit einhergehenden Forderungen nach Anerkennung anpassen.


Der Schwerpunkt der Datenbank liegt auf den Argumenten, die in Gerichtsurteilen verwendet werden, um die Gewährung oder, im Gegenteil, die Ablehnung von Ansprüchen auf Anerkennung von Traditionen, Weltanschauungen, Praktiken, Glaubensvorstellungen usw. zu begründen.

Eine Initiative, die den Bedürfnissen von Forschung und Rechtspraxis gerecht wird


Frühere Forschungsarbeiten der Abteilung, darunter eine 2014 durchgeführte Umfrage unter Richtern in ganz Europa[ii], sowie gemeinsame Initiativen mit dem European Network of Councils for the Judiciary (ENCJ) und dem European Judicial Training Network (EJTN), haben den Bedarf an einer umfassenden Plattform betont, die gründlich recherchierte Informationen bereitstellt, wie die zunehmende kulturelle und religiöse Vielfalt im staatlichen Recht in Europa behandelt wird.


Für sie besteht die Herausforderung darin, das richtige Gleichgewicht zwischen zwei konkurrierenden Überlegungen zu finden: (i) die Anwendung verbindlichen staatlichen Rechts und (ii) die Berücksichtigung von Forderungen nach Anerkennung von Traditionen, Weltanschauungen, Praktiken, Überzeugungen und Empfindungen mit dem sie möglicherweise nicht vollständig vertraut sind. Diese Suche nach der richtigen Behandlung ist mehr als eine bloß intellektuelle oder akademische Herausforderung. Immer häufiger ist sie auch von großer praktischer Bedeutung für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Akteuren und Interessengruppen, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gerichtsverfahren.


Das Projekt stützt sich nicht auf vorgegebene Definitionen von Kultur oder Religion, sondern hat zum Ziel, die verschiedenen Arten, wie Begriffe wie "Kultur", "Religion", "Tradition", "Weltanschauungen" etc. in der juristischen Argumentation verstanden werden, zu untersuchen, zu dokumentieren und zu vergleichen. In hochsensiblen, und daher oft viel diskutierten, gesellschaftlichen und institutionellen Interessenkonflikten ist die Bedeutung solcher Begriffe mitunter radikalen Neubewertungen unterworfen. CUREDI untersucht, wie verschiedene Rechtsordnungen mit ähnlichen oder vergleichbaren Konflikten konfrontiert sind, ohne eine bestimmte Auffassung von Kultur oder Religion gegenüber einer anderen zu bevorzugen.

Ein interdisziplinäres Vorhaben


Eine Besonderheit von CUREDI ist sein interdisziplinärer Charakter: Wann immer relevant und soweit möglich, beziehen die Analysen Beiträge insbesondere aus der Sozial- und Kulturanthropologie ein, einer Disziplin, die einzigartige Einblicke in die kulturelle Vielfalt bietet. Die Anthropologie trägt auf drei unterschiedliche, aber sich ergänzende Weisen zum Projekt bei: Erstens wird eine umfangreiche Bibliographie bereitgestellt, die dem Leser eine Auswahl ethnographischer Arbeiten zu einer Vielzahl von Themen bietet, die für die Rechtsprechung relevant sein könnten. Die Bibliographie folgt den gleichen Auswahlkriterien wie die zu analysierenden Gerichtsentscheidungen, um die gleichen Themen abzudecken. Soweit möglich, werden bei den Einträgen zu den Fällen auch Verweise auf die ethnographische Literatur aufgenommen, um dem Leser ein detaillierteres Verständnis der Quellen und neuen Perspektiven zu ermöglichen, die in der anthropologischen Literatur zu dem Thema vorhanden sind, über das die Gerichte in den in dem Repositorium enthaltenen Fällen zu entscheiden hatten. Zuletzt ist geplant, systematisch Sozial- und Kulturanthropologen einzuladen und um ihre Erkenntnisse bei jedem thematischen Treffen, die unter der Schirmherrschaft des Projekts stattfinden werden, einzubringen, um so einen offenen Austausch zwischen Rechtswissenschaftlern und Anthropologen zu ermöglichen. Anthropologen werden ebenso eingeladen, zu allen Publikationen beizutragen, die aus der Arbeit des Projekts hervorgehen werden.     

Drei Ansätze zur Wirkung des Projekts auf den juristischen Umgang mit Vielfalt


Langfristig sehen wir drei Möglichkeiten, wie das CUREDI-Datenbankprojekt direkt oder indirekt den rechtlichen Umgang mit Vielfalt in Europa beeinflussen kann. Erstens bietet CUREDI bisher einmalige vergleichende Einblicke in die zunehmenden Anforderungen, die kulturelle und religiöse Vielfalt an Regierungen, Gesetzgeber und die Justiz in den heutigen europäischen Gesellschaften stellt, und in die verschiedenen Arten, mit diesen Anforderungen umzugehen. Europäische WissenschaftlerInnen, RichterInnen, RechtspraktikerInnen, politische EntscheidungsträgerInnen und BürgerInnen stehen regelmäßig vor der Herausforderung, wie man der Diversität der Kulturen im heutigen Europa gerecht werden kann. Durch die sorgfältige Analyse der täglichen Rechtspraxis bietet CUREDI ein genaues Bild davon, wie sich kulturelle und religiöse Vielfalt auf das Recht auswirkt, sowohl im Bereich des öffentlichen als auch des privaten Rechts. Langfristig wird angestrebt, dass die Online-Plattform zur Forschung und zu vergleichenden Studien beiträgt, und ein besseres Verständnis für verschiedene Vorgehensweisen bei der Konfliktlösung rund um die Vielfalt im Recht und die Frage, wie man ihr Rechnung tragen kann, fördert.


Zweitens schlägt CUREDI keine standardisierten, vorgefertigten Lösungen für den Umgang mit kultureller und religiöser Vielfalt vor. Stattdessen stellt es in systematisierter Weise verschiedene Arten von Materialien zur Verfügung, die sich mit realen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Umgang befassen, und von denen sich ForscherInnen, RechtspraktikerInnen, RichterInnen und politische EntscheidungsträgerInnen inspirieren lassen können.


Drittens soll ein langfristiges Ziel von CUREDI sein, das Wissen zu erweitern, das für eine differenzierte Beurteilung der Auswirkungen religiöser und kultureller Vielfalt auf die nationalen Rechtssysteme in Europa erforderlich ist. Nur durch die Zusammenführung einer ausreichend großen Anzahl von Fallbeispielen, sozusagen einer kritischen Masse, kann man eine angemessene Bewertung dieser Auswirkungen vornehmen.

Projektentwicklung: Aufbau eines Teams für die wissenschaftliche Koordination und Ausbau eines akademischen Netzwerks


Die ehrgeizigen Ziele machen CUREDI zu einem langfristigen Projekt, das aus verschiedenen Phasen besteht.


Ende 2017 stellte die Abteilung zwei Vollzeit-Wissenschaftler*innen ein, zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren. Eugenia Relaño Pastor wurde mit der Koordination der Vorbereitungsphase des Projekts betraut: Sie instruierte die mitwirkenden Teams und stellte sicher, dass die von ihnen erbetenen Informationen (d. h. veröffentlichte Fälle/Gesetze, der Status von laufenden Fällen und Zusammenfassungen von unveröffentlichten Fällen) im vorgeschriebenen Format präsentiert werden. Rodrigo Céspedes war der erste wissenschaftliche Mitarbeiter, der mit der systematischen Sammlung von Daten zu einem bestimmten Thema begann und mehrere Dutzend Fälle aus dem Bereich der Bildung kommentierte. Im Dezember 2019 stieß Jonathan Bernaerts zum Koordinationsteam. Christoph Korb kam im September 2019 an Bord, um eine Plattform zu entwickeln, die es allen Partnern ermöglicht, Informationen zu verteilen, sich auszutauschen und die Fallanalysen zu kommentieren. Langfristig soll die Plattform alle relevanten Informationen für die Datenbank enthalten. Das Lektorat der von den mitwirkenden und Teams verfassten Texte liegt in den Händen von Sajjad Safaei, der sowohl mit der Rechtssprache als auch mit der anthropologischen Literatur vertraut ist. Im März 2021 ist Doreen Hofmann zu CUREDI gestoßen, sie bietet Unterstützung bei der wissenschaftlichen Koordination. Ab April 2021 ist ein erweitertes Koordinationsteam im Amt, Mitglieder dieses Teams sind: Jonathan Bernaerts, Kati Bianchini, Marie-Claire Foblets, Adriaan Overbeeke, Eugenia Relaño Pastor und Jinske Verhellen.

Ab 2019 haben auch mehrere Mitarbeiter der Abteilung begonnen, zum CUREDI-Projekt beizutragen, wobei jedes von ihnen seine eigene Expertise einbringt. Dies sind, in alphabetischer Reihenfolge, Jonathan Bernaerts, Katia Bianchini, Rodrigo Céspedes, Jeanise Dalli, Michelle Flynn, Alice Margaria, Mariana Monteiro de Matos, Maria Nikolova, Stefano Osella, Eugenia Relaño Pastor und Federica Sona.


Ab 2020 haben sich Partner aus ganz Europa dem Projekt angeschlossen für jedes Land, das bisher von der Datenbank abgedeckt wurde. Nach Ländern (in alphabetischer Reihenfolge) und ihrer jeweiligen Mitwirkenden sind wie folgt: Belgien (Jinske Verhellen); Dänemark (Lisbet Christoffersen); Finnland (Sanna Mustasaari); Deutschland (Michael Germann, Imen Gallala-Arndt und Mareike Schmidt); Italien (Davide Strazzari); Niederlande (Susan Rutten); Spanien (Ana Quinones); Schweden (Maarit Jänterä-Jareborg); Schweiz (René Pahud de Mortanges).


Eine Reihe von Experten zu bestimmten Themene wurden ebenfalls eingeladen, um zu dem Projekt beizutragen: Katayoun Alidadi, Expertin für Religionsfreiheit am Arbeitsplatz; Adriaan Overbeeke, Experte für die Beziehungen zwischen Religionen und dem Staat sowie Religionsfreiheit und Bildung; Silvia Tellenbach, Strafrechtsexpertin; Anna Sledzinska-Simon, Expertin für Minderheitenschutz; Richter Mark Emerton, Experte für Religionsfreiheit am Arbeitsplatz; Jozef Marko, Kerstin Wonisch und Constantin Sergiu, Experten für Minderheitenschutz. Sie sind für die Auswahl von Fällen zuständig, die in den Bereich ihres Fachwissens fallen und es ihrer Meinung nach verdienen, analysiert und kommentiert zu werden. Sie liefern auch regelmäßig Zusammenfassungen über die relevanten rechtlichen Entwicklungen in ihrem Land.


Folgende GastwissenschaftlerInnen haben während ihres Aufenthalts am Institut zum CUREDI-Projekt beigetragen: Hanna Vasilevich und Kyril Kascian von dem Europäisches Zentrum für Minderheitenfragen, die Fälle aus der Tschechischen Republik, der Slowakei und den baltischen Republiken gesammelt haben, die sich alle um die Berücksichtigung von Minderheitenansprüchen drehen; Burim Ramaj (Universität Freiburg); und im Winter 2020, Alexander Ganepola (EURAC).


Ende 2020 wurde ein Redaktionsbeirat eingerichtet, der sich aus Forschenden zusammensetzt, die Experten für die vom CUREDI-Projekt behandelten Themen sind. Das Gremium bietet seine Unterstützung auf dreierlei Weise an: indem es den Überblick über relevante Fälle innerhalb der verschiedenen Fachgebiete behält; indem es bei der Überprüfung der Fallzusammenfassungen und -analysen (templates) behilflich ist; und indem es Ratschläge zur Gesamtentwicklung des Projekts erteilt. Einige der Mitglieder sind auch in anderen Bereichen von CUREDI tätig, zum Beispiel als nationale Mitwirkende oder Experten für bestimmte Themen. Derzeit sind folgende Mitglieder des Redaktionsbeirats: Lisbet Christoffersen, Mark Emerton, Silvio Ferrari, Michael Germann, Adriaan Overbeeke, Mareike Schmidt, Silvia Tellenbach, Jinske Verhellen. Zum Redaktionsbeirat gehören auch die Mitglieder des Koordinationsteams.


CUREDI befindet sich noch in der Anfangsphase, aber es gibt allen Grund zur Annahme, dass wir auf dem besten Weg sind, ein Projekt zu etablieren, das in nicht allzu ferner Zukunft die Vielfalt Europas wirklich widerspiegeln wird.

Endnoten



[i] Wir erkennen natürlich die Existenz mehrerer Datenbanken an, die sich mit Themen und Fragen befassen, die auch für die Zwecke der CUREDI-Initiative von Bedeutung sind. Wir denken hier vor allem an das Global Citizenship Observatory (früher EUDO Citizenship) https://globalcit.eu; EUREL (Soziologische und rechtliche Daten zu Religionen in Europa und darüber hinaus), http://www.eurel.info/?lang=en; Strasbourg Consortium for the Freedom of Conscience and Religion at the European Court of Human Rights (https://www.strasbourgconsortium.org/); und EURO-EXPERT (Datenbank über kulturelle Expertise) https://culturalexpertise.net/cultexp/, um nur einige zu nennen. Es versteht sich von selbst, dass CUREDI die notwendigen Querverweise bereitstellt.

[ii] Siehe L. Vetters & M.-C. Foblets, “Culture all Around? Contextualizing Anthropological Expertise in European Courtrooms” (2016) 12 (3) International Journal of Law in Context 272–292.

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