Infrastrukturen der Vertreibung: Migrantenpolizei und Abschiebung im städtischen Indien

Inmitten der weltweiten Ausweitung der polizeilichen Maßnahmen zur Erfassung, Inhaftierung und Abschiebung von so genannten "illegalen" Migrant*innen untersucht dieses Projekt die erheblichen menschlichen und institutionellen Kosten dieser Polizeiarbeit. Am wenig erforschten Beispiel Indiens wird ein zentraler und anhaltender Widerspruch der Migrationsregulierung untersucht: Warum ist die Besorgnis des Staates, "illegale" Migrant*innen aufspüren und abschieben zu können, trotz immer strengerer Kontrollen nach wie vor so ausgeprägt? Das Projekt geht davon aus, dass dieser Widerspruch aus der kontingenten Verknüpfung verschiedener Formen der Polizeiarbeit resultiert, die eine Reihe von formellen und informellen Akteur*innen, Räumen und Prozessen auf unvorhersehbare Weise einbeziehen. Durch empirische Forschung in Delhi soll die Frage beantwortet werden, wie sich sich verschiedene soziale, materielle und biometrische Formen der Polizeiarbeit zusammensetzen, um Abschiebungsinfrastrukturen zu bilden. Welche Auswirkungen haben solche Abschiebungsinfrastrukturen auf unterschiedlich rassifizierte Migrant*innenpopulationen, in diesem Fall afrikanische Migrant*innen und bengalische südasiatische Migrant*innen? Wie hängen verschiedene Abschiebungsinfrastrukturen zusammen? Und wie stellen sie etwa staatliche Souveränität in Frage?

Indien beherbergt fast 5,2 Millionen Migrant*innen, vor allem aus südasiatischen Ländern wie Bangladesch und, in geringerem Maße, aus afrikanischen Ländern wie Nigeria. Neben der Gesetzgebung und der Durchsetzung von Grenzkontrollen erfolgt die Regulierung "illegaler" Migrant*innen durch verschiedene Formen der Polizeiarbeit: zum einen durch soziale Polizeiarbeit wie etwa informelle Überwachungsnetzwerke, durch materielle Polizeiarbeit wie die Überprüfung von Geburtsurkunden und Pässen, sowie durch biometrische Polizeiarbeit wie die Vergabe von nationalen Identitätsnummern (Aadhaar), mit denen verschiedene Subjekte lesbar gemacht werden sollen. Doch trotz dieser umfassenden polizeilichen Maßnahmen gibt es weiterhin Unklarheiten bei der Identifizierung, Aufdeckung und Abschiebung "illegaler" Migrant*innen. Zum Teil rühren diese Unklarheiten aus Identitätsfragen, da beispielsweise bengalische Migrant*innen aus dem Inland ethnolinguistische Ähnlichkeiten mit grenzüberschreitenden Migrant*innen aus Bangladesch aufweisen. Darüber hinaus zeigen Schwierigkeiten bei der Überprüfung von fälschungsanfälligen Dokumenten – wie etwa Visa für afrikanische Migrant*innen, die Ambivalenz der Aadhaar-Kennung oder Alltagsphänomene wie Schmiergelder und Vetternwirtschaft zwischen Migrant*innen und Polizeiakteur*innen – wie der ideologische Anspruch des Staates auf Abschiebung verhandelt und in Frage gestellt wird. Vor diesem Hintergrund konzeptualisiert dieses Projekt die Trennung und Verbindung zwischen diesen unterschiedlichen Formen der Polizeiarbeit als Ausweisungsinfrastrukturen. Ziel ist es, herauszufinden, wie ihre ungleiche Verflechtung sowohl Gewalt im Alltag der unterworfenen Bevölkerungsgruppen als auch Ambiguität für den Staat produziert.

Durch Ethnographie, teilnehmende Beobachtung und Interviews werden die alltäglichen Praktiken der Abschiebungspolizei in Delhis Wohnvierteln, Polizeistationen und Abschiebungsgefängnissen dokumentiert, sowie die Auswirkungen dieser Polizeiarbeit auf afrikanische und südasiatische Migrant*innen untersucht. Auf diese Weise will das Projekt die gegenseitigen Anhängigkeiten und Spannungen zwischen "alten" und "neuen" polizeilichen Technologien (einerseits etwa materielle Dokumente und Visa, anderseits etwa biometrische Personalausweise) bei der Herstellung zeitgenössischer Formen von Gouvernementalität und Subjektivierung für unterschiedlich rassifizierte Subjekte erforschen. So leistet das Projekt einen Beitrag zu Debatten über die entstehenden Verbindungen zwischen Datafizierung, Abschiebung und staatlicher Macht.

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