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Begriffsdefinition "Terroristische Gewalt"

"Terrorismus" und "Terroristen" sind offenkundig umstrittene Begriffe. Im politischen Diskurs dienen sie vor allem als polemische Konstrukte, um bestimmte politische Handlungen und Akteure als inakzeptabel zu markieren. Dennoch folgen wir als empirisches Projekt nicht den Forderungen, den Begriff des Terrorismus komplett aufzugeben, sondern halten es mit Richard Jackson und dessen Auffassung, dass die mit dem Begriff einhergehenden Probleme und seine häufige (Fehl-)Verwendung „provide[s] a reason for critical engagement rather than withdrawal and capitulation in the discursive struggle“.

Aus analytischer Sicht betrachten wir Terrorismus als eine spezifische Form politischer Gewalt, die sich heuristisch von anderen Mitteln und Formen der Ausübung gewalttätiger Konflikte unterscheiden lässt. Spezifisch handelt es sich um (die Androhung von) Gewalt als kalkuliertes Instrument in einem politischen Konflikt, welche auf Nichtkombattanten zielt und sich an ein Publikum jenseits der unmittelbaren Opfer richtet. Während auch Staaten dieses Instrument zweifellos mit verheerenden Folgen sowohl gegen ihre eigene als auch ausländische Bevölkerung eingesetzt haben und weiterhin einsetzen, verfügen sie über gänzlich andere Strukturen und Möglichkeiten als nicht-staatliche Akteure, die bei der Anwendung von Gewalt besonderen Einschränkungen und Bedingungen ausgesetzt sind. Im Sinne des übergeordneten Themas unserer Forschung vertreten wir dabei die Auffassung, dass den spezifischen Umständen und (subjektiven) Funktionen von Gewalt, einschließlich ihrer Wechselwirkung mit anderen Handlungen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Terroristische Kampagnen sind umfangreichen Veränderungs- und Lernprozessen unterworfen und die Wechselwirkungen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren tragen zu solchen Transformationsprozessen bei.

In der Praxis ist es allerdings nicht immer möglich, an einer strikten Definition des Begriffs festzuhalten: die Mitglieder der Forschungsgruppe müssen sich im Laufe ihrer Arbeit auch mit den Verwendungsweisen, Wahrnehmungen und Auswirkungen des Begriffs „Terrorismus“ im Feld auseinandersetzen, welche sowohl von globalen als auch lokalen Diskursen beeinflusst werden. Die Akteure können das Konzept rundheraus ablehnen, es anders verstehen oder es für ihre eigene politische Kommunikation nutzen. All das muss mit dem analytischen Ansatz abgestimmt und in der Analyse berücksichtigt werden.

Lernprozesse

Lernen ist ebenfalls ein äußerst komplexes Konzept. Ohne uns einem bestimmten Ansatz zu verschreiben, berücksichtigen wir insbesondere sowohl kognitive als auch Verhaltensaspekte von Transformationen und betrachten diese aus dem Blickwinkel organisationalen Lernens. Um verschiedene Aspekte des Lernens terroristischer Gruppen systematisch zu untersuchen, verwendet das Projekt ein Modell, dessen Struktur drei miteinander verbundenen Dimensionen folgt und welches die Quellen (von wem wird gelernt?), Mechanismen (wie wird gelernt?) und Ergebnisse (was wird gelernt?) des Lernprozesses abdeckt.

1. Bezüglich der Lernquellen können Organisationen auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, seien es Erfolge oder Misserfolge (Mikroebene), aber auch auf die von anderen nicht-staatlichen Akteuren (Mesoebene), zum Beispiel durch gemeinsames Training. Nicht zuletzt werden Transformationsprozesse maßgeblich vom historischen und geopolitischen Umfeld der Gruppe sowie spezifisch von Beziehungen zu Staaten geprägt, die entweder versuchen, Bewegungen zu unterdrücken oder aber mit ihnen sympathisieren können (Makroebene).

2. Die beiden wichtigsten allgemeinen Lernmechanismen sind Wettbewerb und Nachahmung. Gruppen konkurrieren mit den Staaten, gegen die sie kämpfen, aber auch mit anderen Gruppen auf dem gleichen „Markt der Gewalt“. Um zu überleben, müssen sie daher ihre Techniken kontinuierlich verbessern und Fehler gründlich analysieren. Ebenso zielen Organisationen darauf ab, vergangene Erfolge nachzuahmen, seien es eigene oder die von „Vorbildern“. Einige versuchen sogar, Staaten nachzuahmen, indem sie rudimentäre Regierungsstrukturen aufbauen. Im Laufe der Forschung wurden in einzelnen Projekten weitere Mechanismen aufgedeckt, woraufhin die mittlere Achse des Modells entsprechend angepasst wurde.

3. Schließlich kulminiert der Lernprozess in der Organisation, Planung und Umsetzung des Gelernten. Auf taktischer Ebene ergeben sich Verbesserungen etwa bei den konkreten Mitteln der Gewaltanwendung, seien es Techniken zum Bau von Bomben oder Taktiken bewaffneter Angriffe. Die strategische Ebene befasst sich mit den Absichten, die mit der Gewaltanwendung verfolgt werden, z.B. dem Wandel grundlegender Doktrinen oder der übergeordneten Ziele von Kampfhandlungen, oder sogar mit der gänzlichen Abkehr vom Terrorismus. Die operative Ebene schlägt eine Brücke zwischen diesen Aspekten und befasst sich unter anderem mit der Organisationsstruktur der Gruppe, die entsprechend ihrer taktischen und strategischen Ausrichtung angepasst werden muss.

Dieses Modell der Lernprozesse kann anhand parallel verlaufender Koordinaten abgebildet werden, die von links nach rechts einen Überblick über die verschiedenen Dimensionen ermöglichen. Indem relevante Ebenen entlang dieser Dimensionen verknüpft werden, können spezifische Lernprozesse abgebildet werden. So würden beispielsweise kleinere Veränderungen der Gruppe bei der Designentwicklung von Sprengfallen auf der Mikro- und taktischen Ebene stattfinden und durch eine Kombination aus Nachahmung (beibehalten, was funktioniert) und Wettbewerb (verbessern, was nicht funktioniert hat) erfolgen. Größere Lernprozesse umfassen mehr Ebenen: Der Einsatz von Selbstmordattentaten als taktische Maßnahme erfordert beispielsweise auch Änderungen im operativen Verhalten und stützt sich auf Erfahrungen anderer mit dieser Technik vertrauter Gruppen. Auf strategischer Ebene können sich terroristische Gruppen z.B. in Hinblick auf die Führungsstruktur verändern, etwa durch die Herausbildung eines politischen Flügels, oder indem sie mit einem Wandel von Einfach- zu Doppel-Schleifen-Lernen Informationen verknüpfen und ihre Normen und Herangehensweisen hinterfragen – was möglicherweise in der Wahl friedlicher Methoden resultieren kann.

Die Makro-Ebene und die Zukunft: rechtsextreme Gewalt als die fünfte Welle des Terrorismus

Während der ersten drei Jahre konnte die Forschungsgruppe seltene Einblicke in das Innenleben von Organisationen sowie die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Terrorgruppen gewinnen. Auf diese Weise haben wir dazu beigetragen, die Black Box terroristischer Gruppen aufzubrechen und Einblicke in Dynamiken auf der Mikroebene und Prozesse auf der Mesoebene zu bekommen. Für ein besseres Verständnis des Makrokontexts, in welchem Terrorgruppen lernen, betrachten wir zunehmend deren Interaktion mit Staaten in einem breiteren historischen Rahmen. Dabei setzen wir (Um-)Lernprozesse in Beziehung zu David Rapoports Arbeit über die Identifizierung von vier historischen Wellen des Terrorismus: die anarchistische Welle (1880-1920), die antikoloniale Welle (1920-1960), die Welle der Neuen Linken (1960-1980) und die religiöse Welle (seit 1979). Die Wellentheorie dient der Einbettung unserer Forschung in einen historischen Kontext. Diesen Rahmen nutzen wir als Basis zur Theoriebildung, indem wir Schlüsselmechanismen aufdecken, welche die Kontinuität und Diskontinuität von Gewalt erklären. Wir werden uns insbesondere mit den folgenden Fragen auseinandersetzen: Wie verbreitet sich Gewalt und wie sind die verschiedenen Wellen des Terrorismus und der staatlichen Gewalt miteinander verknüpft – inwieweit führt eine Welle zur nächsten?

Wenn jede der verschiedenen Wellen des Terrorismus ungefähr 40 Jahre andauerte, wie von Rapoport angenommen, könnte die religiöse Welle kurz vor dem Ende stehen und einer fünften Welle weichen. Können wir Muster aus der Vergangenheit nutzen, um die Natur dieser fünften Welle zu verstehen und vorherzusehen? Unter der Voraussetzung, dass Terrorgruppen und Staaten in einem Prozess wechselseitiger Eskalation aufeinander reagieren, muss man den Kontext eingehender betrachten, in welchem Terrorismus entsteht. Aus diesem Grund analysieren wir die von Terrorgruppen oftmals als Staatsterror aufgefassten Aktivitäten und ordnen diese Wahrnehmung in vier Wellen ein: Imperialismus, Kolonialismus, Kapitalismus und Neo-Kolonialismus. Wenn wir dieses Muster auf die Zukunft übertragen, könnte die fünfte Welle einer Reaktion auf die Globalisierung entsprechen. Es bestehen gewisse Gemeinsamkeiten zwischen der ersten und der dritten Welle, ebenso bei der zweiten und vierten Welle. Die Anarchisten propagierten ebenso wie die Neuen Linken Systemkritik, während die anti-koloniale und die religiöse Welle territoriale Ziele verfolgten. So lassen sich die sozialistischen Aktivisten der Neuen Linken (dritte Welle) durchaus als „Enkel“ der anarchistischen Revolutionäre begreifen, während sich arabische Islamisten ähnlich wie die anti-koloniale Bewegung vor ihnen auch als Befreier von neokolonialer Unterdrückung verstehen. Dass eine Welle der jeweils vorletzten ähnelt, legt nahe, dass man von einem Generationenmuster sprechen kann, bei dem die Großeltern ihr Erbe an die Enkel weitergeben. Wenn sich dieses Muster fortsetzt, kann davon ausgegangen werden, dass Systemkritik für die fünfte Welle von Bedeutung sein wird. Wenn die fünfte Welle außerdem eine Reaktion auf Globalisierung ist, könnte sich ihre Kritik in der Ablehnung des liberalen Kosmopolitismus und im Rückzug auf das Lokale und Nationale äußern. Die jüngste Reihe antisemitischer, antimuslimischer und rassistischer Attacken – nicht zuletzt in unserer Stadt Halle – zusammen mit einem Erstarken anti-liberaler und rechtsextremer Kräfte im öffentlichen Diskurs stützt diese Hypothese.

Allerdings sind rechtsextreme Täter nicht nur an lokale Bedingungen gebunden, sondern agieren auch auf globaler Ebene. Der australische Attentäter des Shootings in Christchurch, Neuseeland, nannte ausdrücklich amerikanische Vorbilder sowie den norwegischen Terroristen Anders Breivik. Außerdem spendete er Geld an die Identitäre Bewegung Österreich. Dennoch übernehmen rechtsextreme Täter auch lokale Traditionen, beziehen sich etwa auf den germanischen Paganismus, die amerikanische Grenzmentalität oder den christlichen Fundamentalismus – was nahelegt, dass eine mögliche rechtsextreme fünfte Welle Parallelen zur religiösen Welle aufweist. Gleichzeitig verstehen sich die Identitären der Alt-Right Bewegung in den USA als revolutionäre Akteure und übernehmen Konzepte der Linken, indem sie zum Beispiel das Sprachverbot als Resultat von Antidiskriminierung verurteilen. Die Tatsache, dass Terroristen mit verschiedenem ideologischem und historischem Hintergrund voneinander lernen und Ideen austauschen demonstriert die Kontinuität und Diskontinuität von Gewalt. Mittels Feldforschung in verschiedenen Ländern untersuchen wir die Transformation von Terrorgruppen innerhalb des Rahmens jener (Dis-)Kontinuitäten. Dabei verknüpfen wir unseren zunehmenden Fokus auf rechtsextreme Gewalt mit den bereits gesammelten Erkenntnissen zu ethno-separatistischem, linksradikalem und religiösem Terrorismus in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika.


1 Jackson, Richard. 2008. An Argument for Terrorism. Perspectives on Terrorism 2(2), p.29.

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