Diskussionsveranstaltung: Globale Ursachen für Flucht und Vertreibung
Am Dienstag, 14. November 2017 findet um 19:00 Uhr im Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Wohin? Was passiert, wenn Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren“ statt. Dazu werden zunächst in Kurzvorträgen sieben ethnographische Fallstudien präsentiert. Im Anschluss daran ist eine Diskussion der Wissenschaftler mit dem Auditorium vorgesehen. Die Veranstaltung ist öffentlich und findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe Max-Planck-Forum statt. Um Anmeldung per Mail unter forum@gv.mpg.de oder Telefon 089 2108-1668 wird gebeten.
Menschen genau beobachten und verstehen
Durch konkurrierende Formen der Landnutzung wie großflächige, marktorientierte Landwirtschaft oder Tagebau, durch militärische Gewalt, durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure, darunter auch Terroristen, die sich als Staat gebärden, werden Menschen gezwungen, ihre bisherigen Lebensgrundlagen aufzugeben und sich auf Wanderschaft mit ungewissem Ziel und ungewissem Ausgang zu begeben. „Anhand ethnographischer Fallstudien, die die Stimmen der Betroffenen wiedergeben, wollen wir uns in diese Menschen hineindenken und ihr Denken und Handeln nachvollziehen. Dabei verstehen wir unter den Lebensgrundlagen sowohl die natürlichen Lebensgrundlagen wie die Bodenkrume und Wasser als auch die Bedingungen zur Bewahrung der Menschenwürde“, sagt Prof. Dr. Günther Schlee, Direktor der Abteilung ‚Integration und Konflikt‘ am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung. Oft spielt das eine in das andere, wenn durch die Verletzung von Menschenrechten Menschen aus ihrem Gebiet vertrieben werden. Auch bei der Neuorientierung sind die Gesichtspunkte des physischen Überlebens und der Wiedererlangung persönlicher Integrität nicht voneinander zu trennen.
Landraub für den globalen Norden
Die Bandbreite der sieben präsentierten Fallstudien ist groß. Am Beispiel der südlich von Leipzig gelegenen Dörfer Breunsdorf und Heuersdorf, die dem Braunkohletagebau weichen mussten, wird ein Phänomen beschrieben, das nahezu überall auf der Welt zu beobachten ist: die zwangsmäßige Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen für die Realisierung großer industrieller oder landwirtschaftlicher Entwicklungsprojekte. Noch sehr viel einschneidender für die Menschen sind solche Verluste, wenn sie nicht im Rahmen rechtsstaatlicher Regelungen erfolgen, wie dies in vielen Ländern außerhalb Europas der Fall ist. So ist die Produktion von Alltagsgütern wie Zuckerrohr, Bio-Ethanol, Schnittblumen, Möbeln oder Palmöl für den globalen Norden häufig mit massivem Landraub verbunden, in dessen Folge Menschen im globalen Süden ihren Grund und Boden an internationale Investoren abgeben müssen oder sogar gewaltsam vertrieben werden.
Terror als Fluchtursache
Terror gilt als eine der häufigsten Ursachen für die Flucht aus der Heimat. Aber viele Menschen haben die Möglichkeit zur Flucht gar nicht. Am Beispiel der kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in Syrien zeigt eine Fallstudie, dass es eine rationale Entscheidung für Menschen sein kann, in einer solchen Situation nicht vor den Gewalttätern zu fliehen oder sich ihnen zu beugen, sondern aktiv zu versuchen, durch Kooperation die eigenen Interessen zu wahren. Deshalb ist für Zivilisten der Anschluss an bewaffnete Gruppen eine Chance, an ihrem Wohnort zu bleiben und ihre existenzielle und ökonomische Sicherheit in bestimmtem Maße zu erhalten. So ändern diese Menschen nicht nur ihre Haltung zu den bewaffneten Akteuren, sondern werden Teil einer Allianz, die wiederum neue Risiken birgt und den Terror immer stärker ausweitet.
Vertreibung im Rechtsstaat
„Wir wollen aber nicht nur Fallbeispiele aus den Krisengebieten der Welt zeigen“, sagt Prof. Dr. Marie-Claire Foblets, Geschäftsführende Direktorin des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung. „Am Beispiel der christlichen Religionsgemeinschaft „Zwölf Stämme“, die Anfang der 1990er Jahre ihre erste Niederlassung in Deutschland gegründet hat, beschreiben wir, wie der deutsche Staat seine Perspektive auf das Kindeswohl rigoros durchgesetzt und den Mitgliedern der Gemeinschaft das Recht abgesprochen hat, ihre Kinder entsprechend ihren Vorstellungen zu erziehen.“ 2016 entschied die Gemeinschaft deshalb, Deutschland zu verlassen und nach Tschechien zu emigrieren, da man in Deutschland nicht in Würde im eigenen Glauben seine Kinder erziehen könne.
Das Max-Planck-Forum
Das Max-Planck-Forum ist eine Veranstaltungsreihe der Max-Planck-Gesellschaft. Dabei diskutieren Forscherinnen und Forscher regelmäßig mit einem an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft interessierten Publikum. Das Forum findet seit vielen Jahren mit großem Erfolg in Berlin und München statt. Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung ist zum ersten Mal Gastgeber des Forums.
Erforschung des globalen sozialen Wandels
Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung ist eines der weltweit führenden Forschungszentren auf dem Gebiet der Ethnologie (Sozialanthropologie). Es hat seine Arbeit 1999 mit den Gründungsdirektoren Prof. Dr. Chris Hann und Prof. Dr. Günther Schlee aufgenommen und 2001 seinen ständigen Sitz im Advokatenweg 36 bezogen. Mit der Ernennung der dritten Direktorin Prof. Dr. Marie-Claire Foblets im Jahre 2012 wurde das Institut um eine Abteilung zum Themenfeld ‚Recht & Ethnologie‘ erweitert. Forschungsleitend ist die vergleichende Untersuchung gegenwärtiger sozialer Wandlungsprozesse. Besonders auf diesem Gebiet leisten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institutes einen wichtigen Beitrag zur ethnologischen Theoriebildung, befassen sich darüber hinaus in ihren Projekten oft auch mit Fragestellungen und Themen, die im Mittelpunkt aktueller politischer Debatten stehen. Am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung arbeiten gegenwärtig 175 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 30 Nationen. Darüber hinaus bietet das Institut zahlreichen Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern Raum und Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch.
Kontakt für diese Pressemitteilung
Prof. Dr. Günther Schlee
Direktor – Abteilung 'Integration und Konflikt'
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-101
Mail: schlee@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de/de/schlee
Kontakt für die Presse
Stefan Schwendtner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
Advokatenweg 36, 06114 Halle (Saale)
Tel.: 0345 2927-425
Mail: schwendtner@eth.mpg.de
http://www.eth.mpg.de