Persönliches Profil

Inspiriert von einer lange Reise durch Indien und Nepal studierte ich Ethnologie, Japanologie und Sinologie an der Universität zu Köln; ein Auslandsjahr verbrachte ich an der Sophia-Universität Tokyo. Von den Ethnologen Thomas Schweizer, Peter Tschohl und Thomas Hauschild habe ich viel gelernt. Ich begann dann, Ethnologie an Universität zu Köln zu lehren, wo ich später promoviert und habilitiert wurde. Nach Vertretungsprofessuren für moderne Japanstudien und Ethnologie an den Universität Düsseldorf, Tübingen und Köln wechselte ich an das Max-Planck-Institut. Seit 2010 bin ich dort Forschungsgruppenleiter, erst in der von Chris Hann geleiteten Abteilung „Resilienz und Transformation in Eurasien“ und nun in der von Biao Xiang geleiteten Abteilung „Anthropologie des wirtschaftlichen Experimentierens“. Zudem bin ich Honorarprofessor für Ethnologie an der Universität Halle-Wittenberg.

Meine Forschung hat sich auf urbane Kontexte und moderne Organisationsformen konzentriert. Der commons-Aspekt geteilter materieller und symbolischer Ressourcen ist ein wiederkehrendes Anliegen, wie auch die weltweit zunehmende Reflexion und bewusste Formung der eigenen sozialen und kulturellen Umstände. Für meine Magisterarbeit besuchte ich eine Reihe von utopischen Kommunen in Japan, mit der Fragestellung, wie diese mit dem gesellschaftlichen Mainstream übereinstimmen und wo sie sich von ihm absetzen. In meiner Doktorarbeit und meinem ersten Buch erweiterte ich den Blickwinkel auf historische und gegenwärtige Kommunen in aller Welt. Sozialistische Wirtschaftsformen erschienen damals als überlebt, und so interessierte mich, wie es manchen Kommunen gelingt, über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte mit geteiltem Eigentum zu leben, obwohl die meisten schnell scheitern. Ich verwertete sowohl historische als auch gegenwartsbezogene Literatur in einem systematischen Vergleich und griff auch auf meine eigenen Beobachtungen in Japan zurück. In einem kleineren Projekt beschäftigte ich mit japanischen Geschenkpraktiken.

Im Anschluss unternahm ich eine anderthalbjährige Feldforschung in Kyoto. Diese alte japanische Kaiserstadt und ihr traditionelles Flair zogen mich an, doch wusste ich, dass die Einwohner:innen in der Frage historische Erhaltung versus moderne Entwicklung gespalten waren. Ich befasste mich mit Bürgeraktivist:innen, Stadtbeamt:innen, Eigentümer:innen, der Baubranche und gewöhnlichen Bürger:innen und verfolgte die Proteste gegen die geplante Kopie einer Pariser Brücke, die Bewegung für die Wiederbelebung der traditionellen Stadthäuser, den Widerstand gegen Wohntürme und die Organisation von Japans berühmtestes Traditionsfest. Die daraus hervorgehende Habilitationsschrift und mein zweites Buch analysieren, wie sich demokratische Bestrebungen und Praktiken, Haltungen zur Tradition und zur Vergangenheit sowie die Spannung zwischen öffentlichen Rechten und private Interessen in einer vielgerühmten historischen Stadt verquicken. Inspiriert davon habe ich auch zwei Bücher zu Kulturerbe in Japan und zu Stadträumen in Japan mitherausgegeben. Auch seitdem kehre ich immer wieder nach Kyoto zurück und konnte dabei eine Wende beobachten: War anfangs die Stadtgestaltung noch größtenteils den Vorlieben der einzelnen Eigentümer:innen überlassen, hat Kyoto heute die striktesten Bauregeln des Landes, zur allgemeinen Zufriedenheit der Bevölkerung. Staatliche Stellen und die Zivilgesellschaft haben dazu beigetragen, doch ihre Beziehung zueinander bleibt gespannt.

Schon früh habe ich außerdem über das ethnologische Kulturkonzept – das ich gegen unberechtigte Anwürfe verteidigt habe – und über die kulturellen Folgen der Globalisierung geschrieben. So lag es nah, dieses Interesse auf die internationale Bühne zu tragen. Ich begann eine Studie zum Welterbekomitee, dem mit der UNESCO verbundenen zwischenstaatlichen Gremium, das die Welterbeliste der wichtigsten Kultur- und Naturstätten führt. Mich interessierte, wie diese globale Arena funktioniert und wie sie der Herausforderung begegnet, in ihren Auswahlverfahren universale Maßstäbe anzuwenden. Ich beobachtete fünf der jährlich abgehaltenen zweiwöchigen Komiteesitzungen, führte Interviews und sichtete die Dokumente, und das daraus hervorgegangene Buch belegt nicht nur die ungebrochene Stärke der Nationalstaaten auf der Weltbühne, sondern auch, wie sehr unbewältigte Spannungen zwischen dem Globalen Norden und dem Süden die jüngere Transformation des Komitees bestimmt haben. Komplementär zu diesem transnationalen Fokus führte eine von mir geleitete Gruppe am MPI Lokalforschungen zum Welterbe in den drei Städten Istanbul (Türkei), Malakka (Malaysien) und Xi’an (China) durch. Ein von mir mitherausgegebenes Buch vereint weitere Welterbe-Lokalstudien aus der ganzen Welt.

Auf der Suche nach einem neuen thematischen Fokus für mein Kyoto-Interesse wendete ich mich dann den buddhistischen Tempeln zu, die dort ein bedeutendes Zentrum haben. Buddhistische Priester hatten mir erzählt, dass sie trotz des erdfernen Images des Buddhismus oftmals von praktischen und finanziellen Aspekten in Beschlag genommen sind. Da dies ein auch allgemein vernachlässigtes Thema ist, leitete ich eine zweite Forschungsgruppe zu buddhistischen Tempelökonomien. Die Forscherinnen untersuchten Tempel, Mönche und Laien in Ulan-Ude (Russland), Ulaanbaatar (Mongolei), Shangrila (dem früheren Zhongdian in China) und Tokyo (Japan), mit speziellem Augenmerk für buddhistische Praktiken und Moralvorstellungen in Bezug auf Geld und andere Ressourcen. Ich selbst verbrachte ein weiteres halbes Jahr in Kyoto und widmete mich den Bemühungen buddhistischer Priester:innen, ihre Tempel zu erhalten und mit neuer Bedeutung zu versehen. Wir gaben außerdem ein Buch zum Thema heraus, das weitere Fälle aus ganz Asien einbezieht.

Mit Kyoto, der japanischen Gesellschaft, Kulturerbe, UN-Organisationen und buddhistischen Ökonomien werde ich mich auch in Zukunft beschäftigen. Der gegenwärtige städtische Bauboom in der östlichen Hälfte Asiens und die Spezialist:innen, die ihn steuern, sind ein wahrscheinlicher neuer Forschungsfokus.

Warum Ethnologie heute?

Von der heutigen Globalisierung wird häufig die Nivellierung aller kulturellen Unterschiede erwartet, doch je mehr sie voranschreitet, desto bewusster wird uns das unerschöpfliche Potenzial der Menschen, neue Ideen, Gewohnheiten und Obsessionen hervorzubringen und die eigenen Besonderheiten herauszustreichen. Die Wissenschaft mit dem umfassendsten Interesse an menschlichen Gesellschaften und Kulturen wird daher niemals arbeitslos werden. Ethnolog:innen profitieren gegenüber anderen Sozialwissenschaften von der Tiefe ihrer empirischen Forschung: Ethnographische Langzeitstudien als teilnehmende Beobachtung des Alltagslebens erzeugen sonst nicht mögliche Vertrauensbeziehungen und sind in Kyotoer Nachbarschaften genauso effektiv wie bei UN-Gipfeltreffen. Feldforschung fängt sowohl das bewusst Verschwiegene als auch das unabsichtlich Übersehene ein und vermittelt so ein vollständigeres Bild des menschlichen Daseins als andere sozialwissenschaftliche Methoden.

Die Ethnologie zeichnet sich außerdem durch die Spannweite ihrer Vergleiche aus, die sonst gerne übersehene Menschen und Kontexte einbeziehen – Verbindungen zwischen einer melanesischen Dorfversammlung und einer Aufsichtsratssitzung zu ziehen, ist für Ethnolog:innen ganz normal und erzeugt die Hypothesen, die andere Sozialwissenschaftler:innen mit ihren makroskopischen Methoden testen können. In einer vielfältig vernetzten Welt ist dies nötiger denn je – wir brauchen ein realistisches Verständnis davon, was uns trennt und was uns eint, und wir können uns dabei nicht auf unsere Stereotypen oder auf Behauptungen aus Politik und Wirtschaft verlassen. Die Bedingung dafür ist allerdings der Wille, Erklärungen zu liefern: Ethnolog:innen sollten sich mit Ursachen und Wirkungen befassen, nicht nur damit, die Stimme der Erforschten zum Klingen zu bringen – nach meiner Erfahrung können diese das zumeist sehr gut selbst.

Zur Redakteursansicht